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Allen Protesten zum Trotz: Algerien beginnt Schnellverfahren gegen Schriftsteller Boualem Sansal
Seit Mitte November sitzt der französisch-algerische Schriftsteller Boualem Sansal in einem algerischen Gefängnis. Nun fordert ein Staatsanwalt zehn Jahre Haft für ihn.
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Erst vor gut zwei Wochen hatte es im Deutschen Theater in Berlin eine große Solidaritätsveranstaltung für den französisch-algerischen Schriftsteller Boualem Sansal gegeben. Unter anderen lasen dort Herta Müller und Daniel Kehlmann aus Texten von Sansal, der am 16. November auf dem Flughafen von Algier verhaftet wurde und seitdem im Gefängnis sitzt.
Alle Proteste gegen die Inhaftierung, alle Solidaritätsadressen der vergangenen Monate haben jedoch nichts geholfen: Am Donnerstag hat vor dem Strafgericht in Dar El Beida bei Algier ein Schnellverfahren gegen den Schriftsteller begonnen, der 2011 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen bekam.
Zehn Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft, das Urteil wird für den 27. März erwartet. Sansal soll nach Artikel 87 des algerischen Strafgesetzbuches wegen Vergehen gegen die Staatssicherheit verurteilt werden, so die offizielle Begründung.
Vermutlich beruht dieses Vergehen auf Aussagen, die Sansal in einem Interview zum sogenannten Westsahara-Konflikt gemacht hat, den Frankreich und Algerien aktuell wieder verschärft austragen. Dabei geht es um die französische Kolonialpolitik in Marokko und Algerien sowie die wahllosen Grenzziehungen zwischen den beiden Ländern zugunsten Marokkos.
Der Westsahara-Konflikt
Erst 2023 Jahr hatte Frankreich die Ansprüche Marokkos auf die Westsahara anerkannt. Sansal vertrat die Meinung, dass Marokko diese Ansprüche zu Recht erhebe. Algerien dagegen hat sich mit der Organisation Frente Polisario verbündet, die das Gebiet für sich beansprucht und 1976 die Arabische Republik Sahara ausgerufen hatte. Nachdem sich der französische Präsident Emmanuel Macron vergangenes Jahr auf die Seite Marokkos gestellt hatte, zog Algerien seinen Botschafter aus Paris ab.
Doch Sansal befindet sich seit Jahren im Visier der algerischen Regierungsverantwortlichen: Er kritisiert die fundamentalistischen Auswüchse des Islams, dessen politischen Handlanger, überhaupt den politischen Islam, sowie die totalitär anmutende Minderheitenpolitik Algeriens, insbesondere den Berbern gegenüber.
Seine Bücher sind in Algerien verboten und nur schwer erhältlich. Sansal hat sich trotzdem immer geweigert, ins französische Exil zu gehen und lebte bislang in dem 50 Kilometer von Algier gelegenen Städtchen Boumerdès. Vergangenes Jahr erst hatte er die französische Staatsbürgerschaft bekommen.
Sansal ist an Krebs erkrankt
Im Deutschen Theater sprach Sansals algerischer Schriftsteller-Kollege Kamel Daoud davon, dass die Situation „völlig blockiert“ sei, es keine Hoffnung gebe und die Islamisten in Algerien den Kultursektor zunehmend kontrollieren würden. Der 80 Jahre alte und an Krebs erkrankte Sansal wiederum hatte sich kurzzeitig im Gefängnis in einen Hungerstreik begeben, diesen aber auf Anraten der Ärzte wieder abgebrochen. Verteidigt wird er in Dar El Beida von einem Pflichtverteidiger; seinem französischen Anwalt François Zimeray wird von den algerischen Behörden die Einreise verweigert.
Wie sagte es Sansals deutsche Verlegerin Katharina E. Meyer im DT in Berlin: „Ich frage mich, ob wir ihn lebend wiedersehen.“ Angesichts von Sansals Zustand, dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß und der islamistischen Regierung in Algier scheint diese schockierende Frage mehr als berechtigt.
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