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Schlaraffenschland!

© dpa

Nebenschauplatz: Abenteuer Fanmeile: Jubel über den Jubel

Tagesspiegel-WM-Reporter Lucas Vogelsang war während des Deutschland-England-Spiels auf der Berliner Fanmeile und zieht Resümee über ein schwarz-rot-goldenes Massenspektakel bei 30 Grad im Schatten.

Hinter den Bauzäunen wird dasselbe Märchen immer und immer wieder aufgeführt. Ein Sommermärchen nach der strengen Choreografie eines 90. Geburtstags. Die Sonne brennt, bei Ballermann-Temperaturen. Sommer ist also immerhin schon, fehlt nur noch das Märchen, ein Sieg gegen England, aber der wird schon kommen, da sind sich hier alle sicher. Denn: So gehen die Deutschen – beziehungsweise stehen die Deutschen. Schon seit elf Uhr vor der Bühne an der Berliner Siegessäule, tragen ihre Sommermärchenkostüme, den Quartalspatriotismus als Hula-Kränze, dazu eigentlich alles, was der Textildiscount an schwarz-rot-goldenen Gimmicks auf die Grabbeltische geworfen hat. Und so warten menschliche Fahnen in der Hitze, die aussehen wie Fleisch gewordene „Bild“-Schlagzeilen.

Das Fifa-Fanfest, so heißt die Fanmeile jetzt, weil das internationaler klingt, nach Völkerverständigung, ist das Epizentrum einer neuen Party-Fankultur, die ihre Dynamik aus dem Jubel über den Jubel gewinnt. Die Stimmung ist jedenfalls gut. Aber eigentlich viel mehr: geil. Schwarzrotgeil. Im Herzen von Schland wird eine einfache Sprache gesprochen, die sich im Wesentlichen aus den Versatzstücken Deutschland, geil, Deutschland und Weltmeister zusammensetzt. Untermalt wird das Ganze zwei Stunden vor dem Anpfiff von einem vibrierenden Soundteppich der Fetenhits-WM-Songs in der Random-Playlist. Lady Gaga hängt in den Bäumen am 17. Juni, der flimmernde Asphalt glänzt schwarz auf weiß.

Zwei Stunden vor dem Anpfiff beginnt das Bühnenprogramm, Party auf Zuruf. Hallo, Berlin. „Heute werden es dreißig Grad!”, schreit der Moderator eines Berliner Radiosenders. Er trägt ein Deutschland-Trikot und die aufgeschminkte Euphorie eines Großraum-Disko-Einpeitschers. Die Masse kreischt, jubelt im Jubel. „Wir erwarten heute eine halbe Million Menschen“, peitscht die Stimme des Moderators. Wieder Jubel. Menschen feiern, dass Menschen feiern. Sonne, Ballermann und dazu Euphorie aus Eimern.

Hinter der Bühne warten die Künstler, die die Fans bis zum Anpfiff bespaßen sollen, auf ihre Auftritte. Neben der Garderobe von Bushido, der seinen WM-Song „Fackeln im Wind“ singen wird, bekleben Visagisten eine schmale Frau in glitzerndem Kleid mit Prinzessinnen-Make-up. Goldene Haare, schwarze Wimpern, roter Schmollmund. Eine Deutschland-Maske. Die Tochter des Unternehmers Rainer Fiutak ist nicht nur Schauspielerin, Playmate, sondern – natürlich – auch Sängerin. Deshalb singt sie heute einen Song zusammen mit dem Rapper Papa Bear, der in den Neunzigern mal mit dem Rapper Nana in den Charts stand.

Die Neunziger sind vor einem Jahrzehnt zu Ende gegangen. Es ist deshalb ein Auftritt, der ganz gut hierher passt, auf dieses Fanfest, das nur eine lautere, schrillere Coverversion eines vier Jahre alten Hits ist. Es gibt eben Lieder, zu denen man nur einen Sommer tanzen sollte.

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