
© IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Marcus Hartmann
Als Brüder zu den Paralympics: „Wir schreien uns nicht mehr an“
Der eine führt, der andere folgt: Theo Bold hat sich mit seinem Bruder Jakob als Guide für die Paralympics 2026 im Ski nordisch qualifiziert. Wie es ist, seinem Bruder den Weg zu weisen.
Stand:
8.30 Uhr in Canmore, Kanada. Hier fand der Weltcup im Para-Ski-nordisch am 4. Dezember statt. Während es in Deutschland bereits dämmerte, starteten die deutschen Brüder Theo und Jakob Bold in den Tag. Es ging um die Qualifizierungen für die anstehenden Paralympics 2026.
Ebenfalls vor Ort war Brian McKeever. Der heutige Trainer der kanadischen Nationalmannschaft galt als einer der besten seines Sports. Zwischen 2002 und 2022 nahm er im Langlauf in der Kategorie sehbehindert an insgesamt fünf Paralympics teil und holte 16 Goldmedaillen. Bis 2010 dabei an seiner Seite: sein älterer Bruder Robin als Guide. Klar, dass die Geschichte der McKeevers für die Bold-Geschwister als Vorbild dient.
Mit rund zehn Prozent Sehkraft infolge einer angeborenen Behinderung startet der 19-jährige Theo Bold gemeinsam mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Jakob, der ihn als Begleitläufer durch die Loipe führt. Beim Weltcup in Kanada haben sie ihr erstes großes Ziel erreicht. Durch einen vierten Platz haben sie sich qualifiziert für die Paralympics im März in Mailand/Cortina in Italien. Doch die Brüder wollen mehr.
„Jetzt liegt der ganze Fokus darauf, dass wir da unsere Topform haben“, sagt Theo. Der Schwerpunkt liegt auf einer Disziplin: dem Klassik-Sprint. Hier sehen sie ihre besten Chancen. Die Strecke in Italien bei den Paralympics kennen sie bereits aus Testwettkämpfen aus dem vorletzten Jahr. „Sie kommt uns eigentlich sehr entgegen, es geht lediglich einmal bergauf und dann nur noch bergab“, sagt Jakob.
Aller Anfang ist schwer
Das Interesse für den Para-Sport besteht bei den Brüdern selbst erst seit 2020. Bei einem gemeinsamen Langlauf-Kurs wurde der deutsche Para-Nachwuchstrainer Michael Huhn auf Theo, damals 14 Jahre alt, aufmerksam. Was noch fehlte, war ein Guide, also nahm Theo seinen Bruder Jakob kurzerhand mit auf die Loipe. Der war froh, dass er während der Pandemie sich sportlich betätigen konnte, da der Langlauf unter Leistungssport fiel und somit nicht von Ausgangsbeschränkungen betroffen war.
Der Start zusammen verlief holprig. Ein Problem war vor allem, dass Jakob am Anfang immer deutlich schneller unterwegs war als Theo. „Es kam öfter vor, dass ich den Berg hochgeprügelt bin, mich umgedreht und gesehen habe, Theo ist noch ganz woanders“, sagt Jakob.
Es kam öfter vor, dass ich den Berg hochgeprügelt bin, mich umgedreht habe und gesehen habe, Theo ist noch ganz woanders.
Jakob Bold, Guide
Auch in der Absprache gab es Unstimmigkeiten, etwa wenn Theo seinen Bruder im Windschatten aus Versehen überholte. Mittlerweile sind diese Probleme ausgeräumt und die beiden sind besser im Umgang miteinander geworden – auch weil sie älter sind. „Wir schreien uns nicht mehr an“, sagt Theo und lacht.
Gerade zu Beginn kam das noch vor, etwa wenn Jakob dachte, er müsse Theo zusätzlich motivieren, wenn es bergauf geht. „Das hat er immer extrem gehasst, aber für die Zuschauer war’s vor allem witzig“, sagt er. Die Unstimmigkeiten während eines Rennens sind jedoch schnell vergessen. Den eigenen Bruder als Partner zu haben, sei „schon ein Vorteil. Wir können viel direkter miteinander reden und erkennen uns natürlich auch besser“, erklärt Jakob.
Ein gemeinsamer Traum
Um die gemeinsame Karriere fortführen zu können, sind die beiden nach ihrem Schulabschluss nach Freiburg gezogen. Jakob studiert dort Medizin und Theo Volkswirtschaftslehre. Der Uni-Alltag wird so geplant, dass sie fast jeden Tag zusammen trainieren. Eine gemeinsame WG und einen Freundeskreis haben die beiden nicht. „Ich sehe Theo oft genug im Training. Das tut auch mal gut, wenn man andere Leute sieht“, sagt Jakob.

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Angst, dass der Sport ihr brüderliches Verhältnis negativ beeinflussen könnte, haben die beiden nicht. Jakob gibt zwar zu, dass er häufiger auf seinen jüngeren Bruder Theo reduziert werde. Das störe ihn aber nicht, im Gegenteil: Gedanken an eine eigene Sportler-Karriere seien lediglich vor der Zeit mit Theo aufgekommen.
„Wir haben vor unserer Karriere beide schon viel Sport unabhängig voneinander gemacht. Da hat jeder seinen eigenen Traum gehabt. Jetzt haben wir uns als Team gefunden und einen gemeinsamen Traum entwickelt“, sagt er. Im deutschen Kader gibt es die Unterscheidung zwischen Jakob und Theo ohnehin nicht: „Da sind wir einfach die Bold-Brüder. So heißen wir, und dann ist es relativ egal, wer wer von uns ist“, sagt Jakob.
Man kann vom Para-Sport leider nicht leben. Wenn Theo nach seinem Bachelor wegziehen will, werde ich nicht hinterhergehen.
Jakob Bold, Guide
Mehr Publikum, mehr Sichtbarkeit
Die Spiele in Italien werden das bisherige sportliche Highlight der Bold-Brüder ablösen: die nordische Ski-WM 2024 in Trondheim. Para-Athleten starteten dort zwischen den Rennen der nichtbehinderten Sportlerinnen und Sportler. „Das war einfach ein cooles Erlebnis, weil viel mehr Zuschauer da waren“, erzählt Theo. Normalerweise seien sie es gewöhnt, vor weniger als 20 Schaulustigen zu starten. Die Atmosphäre in Norwegen bot da eine angenehme Abwechslung.
Der Mix von Para- und Nicht-Para-Wettkämpfen ist ein Format, das sich die beiden auch für die Winterspiele vorstellen könnten, um dem Para-Sport mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Diese gebe es außerhalb der Bubble noch viel zu wenig: „Wenn man den Sport als Nicht-Para noch nie gesehen hat, weiß man einfach gar nicht, dass es das gibt“, sagt Theo. Verübeln könne man das fehlende Interesse dann niemandem. Auch spannendere Rennformate, näher angelehnt an den Sprint, könnten laut den Geschwistern für mehr Aufmerksamkeit sorgen.
Die Langlaufwettbewerbe der kommenden Spiele werden im Tesero Skistadion in Val di Fiemme stattfinden. Vom 8. bis zum 15. März geht das deutsche Team hier auf die Loipe. Eine offizielle Nominierungsliste wird vom DBS voraussichtlich erst im Februar veröffentlicht. Neben Theo und Jakob Bold werden auch Paralympics-Medaillen-Gewinnerinnen wie Leonie Walter, Linn Kazmaier oder Anja Wicker dabei sein. Für ihre ersten Paralympics hängen die Bold-Geschwister die Ansprüche nicht zu hoch. Konkrete Medaillenziele lassen sie sich nicht entlocken: Sie wollen einfach „gut dabei sein“.
Wie es danach weitergeht, ist offen. Keiner der beiden verfolgt einen klaren Karriereplan. Klar ist jedenfalls: Wenn einer der beiden keine Lust mehr haben sollte, wird es keinen Zwist geben. Das Studium genießt bei beiden eine höhere Priorität. „Man kann vom Para-Sport leider nicht leben. Wenn Theo nach seinem Bachelor wegziehen will, werde ich nicht hinterhergehen“, kündigt Jakob an, dessen Medizinstudium deutlich länger dauern wird. Eine sportliche Karriere bis ins hohe Alter schließen beide aus.
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