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Sport: Argentinien feiert das Wunder

Wie Messis Tor in seiner Heimat bejubelt wird

Einen durchschnittlicheren Ort als Viedma wird man in Argentinien kaum finden. Eine gesichtslose Kleinstadt, dort wo das Grasland der Pampa aufhört und das Ödland Patagoniens beginnt. Doch die Menschen hier bewegt seit Mittwoch dasselbe wie in der tausend Kilometer entfernten Hauptstadt Buenos Aires und überall sonst im Land. Lionel Messi hat im fernen Barcelona ein Tor geschossen. Es war das 2:0 beim 5:2-Sieg über Getafe im spanischen Pokalhalbfinal-Hinspiel. Argentinien ist sich einig: Es war ein Wunder.

An den Tischen der Cafeteria des Busbahnhofs sitzen am Donnerstagmorgen einzelne Rentner und frühstücken. Die Cafeteria sieht aus wie alle Cafeterien hier. Ein paar einfache Tische, eine Bar, ein Fernseher. Rechts neben der Bar hängt ein Foto des jubelnden Diego Maradona. Es ist die Titelseite einer Sportzeitschrift vom 23. Juni 1986. Am Tag zuvor hatte Argentinien im Viertelfinale der Weltmeistertschaft in Mexiko 2:1 gegen England gewonnen – und vier Jahre nach dem verlorenen Falklandkrieg wenigstens auf dem Fußballplatz gesiegt. Das entscheidende 2:0 war ein Sololauf Diego Maradonas, der in Argentinien bis heute als Jahrhunderttor gilt.

Am Mittwochabend in Barcelona hat der 19 Jahre alte Lionel Messi eben dieses Tor wiederholt. Es war eine nahezu perfekte Kopie – als hätte Messi es jahrelang einstudiert. Nun spricht in Argentinien niemand mehr über das glanzlose 0:0 der Nationalelf im Testspiel gegen Chile. Die Rede ist nur noch von Messidona, manchmal auch vom Messias. Fast alle Zeitungen heben die Meldung des Tores auf ihre Titelseite. „Der Tag, an dem Messi Maradona war“, schreibt „Clarin“ und widmet dem Tor eine Doppelseite mit Fotostrecken beider Treffer. Am Freitag steigert die seriöse Tageszeitung „La Nacion“ die Hysterie noch und veröffentlicht eine Reportage: „Was Messi am Tag danach machte.“ In den Fernsehnachrichten läuft das Tor als Top-Meldung – im Splitscreen, links Maradona, rechts Messi. Jede Sekunde hält das Bild an, die Tore gleichen sich bis ins Detail. Die Menschen in der Cafeteria von Viedma stehen vor dem Fernseher und schütteln mit dem Kopf. „Dieser Junge ist unglaublich“, sagt Rodrigo, der hinter der Bar steht – und Wert darauf legt, dass er „Maradona liebt“.

Seitdem sich Diego Maradona vom aktiven Fußball zurückgezogen hat, ist die fußballverrückte argentinische Nation auf der Suche nach einem Nachfolger. Noch immer verfolgen die Zeitungen beinahe täglich den Gesundheitszustand des Mittelfeldspielers, der in Argentinien wie ein Heiliger verehrt wird. Zuletzt wurde er wegen einer Hepatitis behandelt, die sein starker Alkoholkonsum verursacht hat. Maradona selbst hat Messi zu seinem Nachfolger ausgerufen. Das hat er zwar auch schon bei einigen anderen Spielern getan, doch dieses Mal wird er in den Augen der Argentinier recht behalten.

Messi selbst sagte nach dem Tor: „Es war ein Tor ähnlich dem von Diego, aber ich kann mich nicht mit ihm vergleichen.“ Seine Bescheidenheit wird in den Zeitungen gelobt, doch ab jetzt wird er an Maradona gemessen werden. „Messi ist der beste Spieler der Welt“, ist sich Barmann Rodrigo sicher. „Wer ist schon Ronaldinho?“ Einen Makel hat der Fan dennoch gefunden: „Es war nicht die WM und es war nicht England.“ Aber der Tag wird kommen, an dem Messi Argentinien zum WM-Titel schießt. Da ist sich Rodrigo sicher.

Das Tor im Internet:

www.tagesspiegel.de/themen

www.lionelmessi.org

Steffen Hudemann[Buenos Aires]

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