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Kohle und Asche. Johannes Schneider wurde zwar in Bochum geboren, aufgewachsen ist er jedoch in Dortmund-Aplerbeck..

© Mike Wolff

Ein BVB-Fan leistet Abbitte: Asche auf mein Haupt

Vor vier Jahren schrieb unser Autor an dieser Stelle darüber, dass er mit Borussia Dortmund mal wieder richtig leiden möchte. Höchste Zeit für einen Widerruf.

Jahaa, ich habe einen Fehler gemacht. Vor ziemlich genau vier Jahren. Borussia Dortmund startete damals als Herbstmeister in die Bundesliga-Rückrunde. Die Mannschaft, die sich in den Jahren zuvor eher gemächlich aus dem Mittelmaß nach oben gearbeitet hatte, war in der Hinrunde erschütternd dominant gewesen. An diesem 15. Januar 2011, einem Freitag, erschien auf der „11 Freunde“-Seite im Tagesspiegel ein Text von mir mit dem Titel „Ich möchte, dass es wehtut“. Darin schrieb ich, dass besagte Hinrunde aus Fan-Sicht „so surreal“ gewesen sei, „dass ich Siege am Ende nicht mehr unbedingt als Gewinn betrachten konnte“. Ich bemängelte fehlende emotionale Tiefe im Höhenrausch und stellte fest: „Eine Meisterschaft kann nicht nur für eine junge Mannschaft ,zu früh‘ kommen, sie kann es auch für die, die sie lieben und lieben lernen.“

Seitdem habe ich, bilde ich mir ein, ein bisschen mehr über das Leiden am Fußball gelernt. Ich habe zunächst gelernt, dass seine Abwesenheit dem Fansein nicht unbedingt alle seelische Tiefe nehmen muss. Klar, von den Herthanern, Frankfurtern, Bremern und Gladbachern dieser Welt wurde man spätestens nach der zweiten Meisterschaft in Folge als Erfolgsfan eines auf Arbeiterverein getrimmten Plastikklubs behandelt. Doch drinnen in der Fangemeinde, zumindest in dem kleinen Ausschnitt, den ich von ihr kenne, ließ die verwöhnte Abgebrühtheit erfreulich lange auf sich warten. Zu lang war die Durststrecke zuvor gewesen, zu beherzt dann doch die Art und Weise, wie Siege buchstäblich errungen wurden.

Genörgel gab es irgendwann natürlich, klar, auch selbstzufriedenes „War ja eh Pflicht“ nach manchem Liga-Sieg gegen kleinere Vereine. Doch über alldem lag lange auch, so zumindest habe ich es erlebt, ein zartes, fast demütiges Staunen, und, ja, eine große Dankbarkeit. Erst die ungestüme Meisterschaft 2011, dann das Double 2012 und schließlich der vielleicht großartigste Moment dieser Reise: der Last-Minute-Sieg über Malaga im Champions-League-Viertelfinale 2013. Diese für unmöglich gehaltene Steigerung aller Höhepunkte meines mitteljungen Fan-Lebens gab die Antwort auf die Frage, wie viel ekstatische Freude in eine Nachspielzeit passt. Unendlich viel! Und noch ein bisschen echtes Glück obendrauf. Dass die Bayern am Ende den Titel gewannen: Einen Sommer lang war das ärgerlich. Aber in der Rückschau, ehrlich: geschenkt.

Auch große Niederlagen haben ihre Leidensreize

Das Zweite, was ich dann über das Leiden lernte, war, dass nicht nur Abstiegskampf oder das entnervende Auf und Ab im Mittelmaß ihre Leidensreize haben. Sondern auch große Niederlagen. Wer kein BVB-Fan, aber allgemein sportbegeistert ist, kann das vielleicht ermessen, indem er an Jan Ullrich zurückdenkt. Hatte nicht auch die stoische Vergeblichkeit seines Kampfes gegen Lance Armstrong bei diversen Auflagen der Tour de France etwas Berührendes, Episches, Grandioses? Einen ganz eigenen, zutiefst masochistischen Kitzel?

Nun, ich sage: Was die Borussia ab der Saison 2012/13 zumeist mit den Bayern und einmal mit Real Madrid in Liga, Pokal und Champions League erlebte, war noch viel besser als Ullrichs Version des ewigen Zweiten. Nicht nur, dass zumindest bis heute beim BVB nichts von Doping und Manipulation bekannt ist. Auch hat der Klub das Privileg gehabt, seine späteren Bezwinger zuvor bis aufs Blut zu reizen. Ihre Siege über ihn waren, auch und gerade in ihrer Verbissenheit, direkte Folge des Besiegtwerdens zuvor. Ihre Stärke war, mal streng dialektisch betrachtet, unsere Stärke. Wir waren und bleiben das Trauma einer Generation des europäischen Spitzenfußballs. Arjen Robben kann uns noch so oft fertigmachen. Wir wissen, dass er es deshalb tut, weil Neven Subotic ihm damals, nach dem verschossenen Elfmeter 2012, was auch immer ins Gesicht schrie.

Borussia Dortmund: Kein Verein mehr, sondern eine Sekte?

Umso bitterer ist nun alles, wie es nun einmal ist. Es ist wieder Freitag, wieder Rückrundenstart. Wieder wird es im ersten Spiel gegen Bayer Leverkusen gehen. Borussia Dortmund, Vizemeister der Vorsaison, steht auf dem vorletzten Platz der Bundesligatabelle. Das „System Klopp“ gilt vielen als wahlweise „entschlüsselt“, „ausgedient“ oder noch Schlimmeres. Am Mittwoch konstatierte etwa der Philosoph Wolfram Eilenberger in einem Interview bei „Zeit Online“: „Dortmund, wie es sich in der späten Vorrunde zeigte, war kein Verein mehr, sondern eine Sekte. Und zwar mit allen klassischen Attributen: Artikulationsverbote, totale Gemeinschaftssuggestion, unbedingter Erlöserglaube.“

Nun kann man gewiss darüber diskutieren, ob Verantwortliche, die sich nach außen vor einen verdienten Trainer stellen, und Fans, die zögern, eine stets bemühte Mannschaft zu beschimpfen, gleich zwangsläufig als Sekte diffamiert werden müssen. Aber es stimmt natürlich schon: Fast alle von uns, die Nörgler ebenso wie die Überloyalen, die Dauersinger ebenso wie die, die im Angesicht der Niederlage verstummen, schauen am Ende doch immer noch auf ihn, Jürgen Klopp. Und hoffen, dass er einen Weg findet. Zu groß ist die Angst, dass es ohne ihn dauerhaft dahin zurückgehen könnte, wo alles kleiner und auch der Schmerz nicht so schön ist wie an der Spitze oder unmittelbar dahinter.

Die weltbeste Kreuzberger BVB-Kneipe ist nicht mehr schrecklich überfüllt

Natürlich hätte auch das seine Vorteile, die zeichneten sich schon in dieser Hinrunde ab: Die weltbeste Kreuzberger BVB-Kneipe, deren Name aus guten Gründen nicht genannt sein soll, war zuletzt nicht mehr so schrecklich überfüllt mit fellkapuzentragenden Unbekannten. Und die Liga-Samstage dienten dem Stammpublikum – „Ralf, ein Kleines für Uli!“ – nicht mehr allein dazu, sich plaudernd und das Spiel nur so am Rande beachtend – „Ist der Dieter jetzt eigentlich schon in Rente?“ – von den Europapokalabenden zu erholen. Nun war das Kollektiv wieder aufmerksam. Wenn auch leider oft genug, bis auf einzelne, halbernste „Alle verschenken“-Rufe, schweigend entsetzt über das, was es sah.

Ich muss nun gestehen, dass ich die dritte Lektion des Leidens seit 2011, die es wohl noch zu lernen gilt, noch nicht gelernt habe. Zu frisch sind Unglaube und Entsetzen, die nun, wie in den Jahren zuvor das demütige Staunen, als feiner Hauch über den meisten Spieltagen liegen. Ich müsste lügen, wenn ich sagte, dass das nicht auch, wie von mir 2011 beschworen, seinen Reiz hätte: wieder und wieder einen in die Fresse zu bekommen und trotzdem stehen zu bleiben. Vielleicht ist es nach Krise, Mittelmaß und Euphorie nun auch tatsächlich an der Zeit, noch eine weitere Facette des Leidens kennenzulernen: den Sturz ins Bodenlose, idealerweise als Vorspiel einer furiosen Auferstehung.

Eins aber habe ich in den vergangenen vier Jahren gelernt: Mit dem Leiden, auch dem am Fußball, kokettiert man nicht. Es kommt, wenn es kommt, und wenn es kommt, kommt es immer früh genug. Es einzufordern steht uns genau so wenig zu wie das Einfordern vermeintlicher Pflichtsiege. Was ich nur weiß: Verlieren fühlt sich immer erst einmal scheiße an, heroisches Leidenwollen hin oder her. Ein Sieg am Samstag wäre daher fein. Dann sehen wir weiter.

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