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Kitzbühel: Auf der brutalsten Linie

Mit Didier Cuche setzt sich auf der Streif der mutigste Abfahrer durch. Bei Olympia ist er nun der große Favorit, und er genießt die Rolle des Gejagten.

Das Motto für die geplante Rache am wichtigsten Tag der österreichischen Skifans hatte die „Kronenzeitung“ ausgegeben, und es stammte von Rheinländern. „Wenn nicht jetzt, wann dann? Komm, wir nehmen das Glück in die Hand“, mit diesem Lied sangen „De Höhner“ aus Köln 2007 Deutschlands Handballer zum WM-Titel. In Kitzbühel wirkte das musikalische Doping für Österreichs Abfahrer gestern allerdings nicht. Und wenn man von Glück sprechen konnte, dann nur, weil sich der Österreicher Michael Walchhofer bei seinem Sturz samt Abflug ins Fangnetz nicht ernsthaft verletzt hatte.

Statt vor 44 000 Fans auf der Kitzbüheler Streif, hier, wo Fans schon am Morgen mit stattlichem Promillepegel aus den Zügen purzeln, endlich den ersten Abfahrtssieg der Saison zu erreichen, verpasste Mario Scheiber als Bester des Austria-Teams um zwölf Hundertstelsekunden als Vierter das Podest. Ganz oben stand der Schweizer Didier Cuche, er gewann vor dem Slowenen Andrej Sporn und dem Italiener Werner Heel. Cuche gelang nach dem Super-G-Triumph somit ein Doppelsieg.

Der Umsatz auf der Partymeile war gleichwohl wunderbar, die Stimmung im Team Austria aber eher trist. Die Athleten der einstigen Ski-Großmacht Österreich müssen sich schon als „Abfahrts-Zwerge“ betiteln lassen. Vor einigen Jahren, als es noch Seriensiege gegeben hatte, fand vor Großereignissen ein Hauen und Stechen um die Startplätze statt; da saßen manche Topläufer sogar trotz Podestplätzen bei Olympia vor dem Fernseher. Diesmal war von Drängen nichts zu sehen.

Einer wie Hermann Maier fehlt eben. Der frühere Superstar, mit sechs Siegen Rekordsieger in Kitzbühel (fünf Mal Super-G, einmal Abfahrt) ließ sich erstmals seit seinem Rücktritt wieder im Weltcup blicken und wurde auch prompt befragt, ob er nicht doch nochmal ... „Danke, im Moment nicht“, hieß die Antwort. „Da schneide ich lieber zu Hause Speck auf.“

Es müssen andere richten, Michael Walchhofer zum Beispiel, der aber nach der Hausbergkante stürzte. „Ich habe mich schon besser gefühlt“, sagte er später, auch wenn er unverletzt geblieben war. Im Hinblick auf Olympia sagte er ironisch: „Da spricht jetzt alles für mich.“ Der Deutsche Stephan Keppler hatte ebenfalls einen Schutzengel an seiner Seite. Auch er stürzte und flog ins Netz, blieb aber ebenfalls unverletzt. Eine ernsthafte Verletzung hätte gerade noch gefehlt, da er doch tags zuvor mit Platz 14 sein Ticket für Vancouver gelöst hatte.

Bei Olympia ist Didier Cuche nun der große Favorit, und er genießt die Rolle des Gejagten. Dieser Sieg mache ihn mächtig stolz, sagte der 35-Jährige. Seine gnadenlose Fahrt auf der Streif machte Cuche um 70 000 Euro reicher. Er fährt so waghalsig wie kein Zweiter, und die Fans jubeln, wenn er einen Ski abschnallt, indem er ihn durch die Luft wirbeln lässt.

In der Schweiz verehren sie ihn als Helden. 2009 gewann er die Wahl zum Schweizer Sportler des Jahres vor Tennis-Star Roger Federer. Kaum etwas kann Cuche auf den Abfahrts-Pisten bremsen. Nur im Flachen, da hapert es manchmal. Nach der Siegerehrung lag er gestern plötzlich auf dem Boden, ausgerutscht. „Man muss aufpassen“, sagte er grinsend, „in Kitzbühel ist es eisig.“

Jörg Köhle[Kitzbühel]

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