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Sport: Australiens neuer Starschwimmer wird vereinnahmt, provoziert aber zugleich Fragen

Mum und Dad würden manchmal schon ganz gern wissen, wo sich ihr Sohn herumtreibt. Sicher, der Junge ist schon 17, er trägt Schuhgröße 51, ragt 1,95 Meter auf, aber so sind Mum und Dad nun mal.

Mum und Dad würden manchmal schon ganz gern wissen, wo sich ihr Sohn herumtreibt. Sicher, der Junge ist schon 17, er trägt Schuhgröße 51, ragt 1,95 Meter auf, aber so sind Mum und Dad nun mal. Ist doch kein Problem, antwortet der Junge dann, fragt doch Doug Frost. Der trainiert Ian Thorpe schließlich, der weiß, wo er startet. Dann seufzen Mum und Dad und nicken. Sie verstehen es ja, dass Ian Thorpe zu Hause nicht über Schwimmen redet und sehr ungern sagt, wo er startet. In der Wohnung der Eltern sagt er es auf jeden Fall nicht. Hier ist der Job des Jungen tabu, und Thorpe braucht eine Schutzzone. Wenn er vor die Tür geht, hat er Reporter am Hals und Kameras und Fans. Er ist Sportler des Jahres 99 in Australien und der populärste Athlet des Landes. Er ist Schwimmer 99 von Australien, Welt-Schwimmer 99, "young australian of the year 99", er verbesserte bei den Pan Pacific Games 99 innerhalb von vier Tagen vier Weltrekorde und schwamm insgesamt sieben Mal Weltrekord, den letzten am Sonntag in Berlin. Diese Bilanz reicht zur Flucht. Frost schleppt Thorpe in Kürze an einen "geheimen Ort. Er braucht Ruhe".

Die hat er nötig. Australier verehren Top-Schwimmer, und Minderjährige, die mit ihren Weltrekorden die Fachwelt verblüffen, vergöttern sie. 1:46,00 Minuten über 200 m Freistil und 3:41,83 über 400 m Freistil sind Thorpes Bestzeiten. Sensationen, passend zu den Olympischen Spielen in Sydney. Schwimmer verkörpern den ganzen Stolz der Australier, und Thorpe verkörpert ihn am meisten. Eine Million Dollar kassiert er jetzt schon pro Jahr durch Sponsoren. Und mit Olympiagold kassiert er noch viel mehr.

Thorpe ist genau der Typ, den Mittelklasse-Australier ans Herz drücken können. Zurückhaltend, aber höflich, ohne Star-Allüren, ehrgeizig, fleißig. Mit 16 ging er aus der Schule ab, für eine gewisse Zeit nur un mit ausgezeichneten Noten. Und hilfsbereit ist er auch. Als er mal 25 000 Dollar Preisgeld gewonnen hatte, gab er die eine Hälfte als Spende an die Telefonseelsorge, die andere an eine Krebsklinik.

Thorpe steht da wie ein makelloses Hochglanzbild. Alles hübsch, alles nett, alles bewundernswert. Aber es gibt Kritik hinter der Fassade. Thorpe verkörpert nicht bloß den strahlenden Helden, er verkörpert auch wie zurzeit kein zweiter Schwimmer die Frage, wie sehr man solchen Leistungen trauen darf. Er verbesserte zwischen 1997 und 1998 seine Bestzeit über 200 Meter Freistil um vier Sekunden auf 1:46,70, knapp überm Weltrekord. Und über 400 m Freistil in zwei Jahren um acht Sekunden. Und je mehr die Australier Thorper feiern, umso misstrauischer werden ausländische Beobachter. "Ein Supertalent mit einer absoluten Fitness kann in einem solchen Alter solche Sprünge machen" sagt Horst Melzer, der Trainer von Brust-Weltrekordler Mark Warnecke. Aber die Sprünge führten Thorpe direkt zum Weltrekord beziehungsweise knapp darüber. "Ich nehme die Zeiten zur Kenntnis", sagt Melzer deshalb auch noch. "Es ist schon grenzwertig", erklärt Gerd Eßer, der Trainer von Franziska van Almsick. "Wir alle stutzen doch", ergänzt eine Trainerin. Das sind Kommentare, die so weit gehen, wie man vernünftigerweise gehen kann.

Angeblich wird Thorpe alle zwei Wochen kontrolliert. Und im Januar erklärte er sich freiwillig zu Blutkontrollen bereit. Seine Füße, sagt der australische Biomechaniker Robert Neal, "arbeiten wie die Flossen eines Delfins. Deshalb ist er so schnell." Deshalb ist er so schnell? "Bei der Erklärung", erwidert ein deutscher Top-Schwimmer, "lache ich mich doch tot." Als ein ungarischer Brustschwimmer sich mal in einem Jahr um 2,5 Sekunden verbesserte, sagte Mark Warnecke: "Das ist nicht bloß ein Quantensprung, das sind drei Sprünge."

Vielleicht tut man Thorpe Unrecht. Er ist noch nie positiv getestet worden. Aber zu schnell nach oben gekommen, um Zweifel und Fragen zu verhindern. Nur wären die Fragen vielleicht weniger bohrend, wenn die australischen Medien nicht mit großer Empörung überall tiefsten Dopingsumpf witterten - bei den Konkurrenten allerdings nur. Kurz vor dem Weltcup in Berlin schrieb die Tageszeitung "Australian" in einer Ausgabe sechs Seiten über Schwimmen. Vier Seiten davon waren Dopingvorwürfe gegen Länder wie China und Schweden.

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