
© imago/Jan Huebner/IMAGO/Michael Taeger
Bei Hertha BSC wird es wieder ungemütlich: Das Ziel Aufstieg wirkt wie Hohn
Nach dem 0:2 gegen Elversberg kippt bei Hertha die Stimmung. Das Team hat einfach zu viele Ausfälle – auch unter den Spielern auf dem Platz.
Stand:
Stefan Leitl zog sich erst einmal eine Jacke über. Das Spiel seiner Mannschaft hatte der Trainer von Hertha BSC im kurzärmeligen T-Shirt verfolgt. Als es vorbei war, schien Leitl zu merken, dass die Temperaturen inzwischen in den Keller gerauscht waren. Vor allem im übertragenen Sinne.
Rund um Hertha BSC ist es wieder einmal ungemütlich geworden. Die Stimmung kippt. Am Freitagabend, bei der 0:2-Heimniederlage des Berliner Fußball-Zweitligisten gegen die SV Elversberg, dauerte es eine Viertelstunde, bis die Zuschauer im Olympiastadion ihrer Erschütterung Ausdruck verliehen und erstmals deutlich vernehmbar pfiffen. Am Ende der ersten Halbzeit und nach dem Spiel war es nicht anders. Aus der eigenen Kurve erreichte die Spieler die klare Botschaft, dass es so nicht weitergehen könne.
„Wir haben Ziele, und jetzt stehst du nach vier Spielen mit zwei Punkten und einem geschossenen Tor da. Das ist viel zu wenig. Da müssen wir nicht drum herumreden“, sagte Herthas Torhüter Tjark Ernst, der beim frühen Gegentor zum 0:1 nicht gut ausgesehen hatte, in der zweiten Halbzeit aber auch zweimal eine höhere Niederlage verhinderte. „Da dürfen die Fans auch ihren Unmut äußern. Das muss man abkönnen.“
Das Ziel, das Hertha sich vor der Saison gesetzt hat, wirkt aktuell wie Hohn. In der derzeitigen Verfassung der Mannschaft verbietet sich jeder Gedanke an den Aufstieg geradezu. Die Berliner sind Vorletzter der Zweiten Liga, warten immer noch auf ihren ersten Saisonsieg und haben in 480 Pflichtspielminuten ein einziges Tor erzielt.
Wie schon im Pokal gegen Münster war die Mannschaft einem Gegner, der individuell als deutlich schwächer eingeschätzt wurde, in jeder Hinsicht klar unterlegen. Die Elversberger spielten Fußball, Hertha lief hinterher.
„Wenn man die elf sieht, die heute angefangen haben, und mit den elf von Elversberg vergleicht, dann glaube ich schon, dass wir von der individuellen Qualität eine bessere Mannschaft auf dem Platz haben – ohne dass das jetzt arrogant klingen soll“, sagte Torhüter Ernst. „Aber das hat man in der ersten Halbzeit null Komma null gesehen.“
Das war alles andere als das, was wir erwartet haben, was wir uns vorgestellt haben. Da fehlen mir auch die Worte.
Herthas Trainer Stefan Leitl
Der Auftritt vor der Pause war hochgradig verstörend. Selbst die Beteiligten wirkten ratlos. „Das war alles andere als das, was wir erwartet haben, was wir uns vorgestellt haben“, sagte Leitl. „Da fehlen mir auch die Worte.“ Gerade nach dem mehr als anständigen Auswärtsspiel fünf Tage zuvor in Darmstadt, das die Hoffnung auf Besserung genährt hatte.
Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. „Kein Einzelner ist an sein Leistungsvermögen rangekommen“, sagte Sportdirektor Weber. „Wir haben keine Energie auf dem Platz gehabt. Keiner wollte den Ball haben. Individuell war das einfach eine ganz schwache Leistung.“
In der zweiten Hälfte wurde es etwas besser
Zur Pause stellte Leitl das System um, ließ fortan mit Viererkette verteidigen. Er erhörte den Wunsch des Volkes, versetzte Fabian Reese auf die linke Außenbahn und besetzte die Position des Mittelstürmers mit einem richtigen Mittelstürmer, dem Dänen Sebastian Grönning.
Der Plan war, „dass wir einfach vorne voll draufgehen, mit zehn Spielern Mann auf Mann schieben, damit man überhaupt mal ins Spiel kommt, Bälle gewinnt und von außen in die Box bringt“, erklärte Tjark Ernst. „Ich glaube, das ist uns in den ersten zehn Minuten auch gut gelungen. Man hat schon gesehen, dass ein leichter Auftrieb durch das Stadion gegangen ist.“
In der zweiten Halbzeit habe sich die Mannschaft wenigstens gewehrt, sagte Herthas Torhüter. „Das ist aber auch schlicht und ergreifend das Nötigste, was wir zu tun hatten: einfach eine gewisse Ehre zu zeigen, vor unseren Fans, in unserem eigenen Stadion.“
Alles, was darüber hinausgeht, scheint derzeit von der Mannschaft zu viel verlangt zu sein. Hertha hat einfach zu viele Ausfälle. Und damit sind nicht nur die Spieler gemeint, die verletzt fehlen – aktuell neun –, sondern auch viele von denen, die auf dem Platz stehen. „Jeder muss sich selbst überdenken, ob er wirklich genug investiert“, sagte Torhüter Ernst.

© imago/Contrast/IMAGO/O.Behrendt
Dass die Mannschaft nicht als Mannschaft funktioniert, dass sie nun schon zum wiederholten Male nicht das gespielt hat, was sie spielen sollte, das liegt auch daran, dass viele und vor allem wichtige Spieler deutlich unter ihrem normalen Leistungsniveau bleiben.
Das gilt auf geradezu dramatische Weise für Innenverteidiger Marton Dardai, der das frühe 0:1 initiierte; das gilt für Michael Cuisance, der in dieser Saison wie ein Gespenst seiner selbst wirkt, aber auch für Kapitän Fabian Reese, auf dem nach seiner aufwendig inszenierten Vertragsverlängerung so viele Erwartungen lasten.
Schon jetzt steht fest, dass Leitl beim nächsten Spiel gegen Hannover 96 einen weiteren Spieler wird ersetzen müssen. Innenverteidiger Linus Gechter sah gegen Elversberg eine Viertelstunde vor Schluss Gelb-Rot. Anderseits hofft Herthas Trainer, dass bald die ersten der Verletzten wieder zur Verfügung stehen, vor allem Paul Seguin, der als ordnende Hand im zentralen Mittelfeld dringend benötigt wird.
Auch deshalb bleibt es fürs Erste dabei, dass die Berliner bis zum Ende der Transferperiode keine weiteren Verpflichtungen mehr planen. Sportdirektor Weber verwies auf die hohe Fluktuation, die es in diesem Sommer schon im Kader gegeben habe. „Es ist nicht zu erwarten, dass wir am Wochenende hektisch werden“, sagte er im Interview bei Sky.
Mit Blick auf die verletzten Spieler, die irgendwann zurückkehren werden, kann Trainer Leitl verstehen, „dass man sagt, man macht jetzt nichts mehr“. Trotzdem sei es eine schwierige Situation, erklärte er.
Das gilt vor allem für die Außenbahn, für die Hertha eigentlich noch einen Zugang eingeplant hatte, betrifft inzwischen durch die Verletzungen (Kolbe, Klemens, Brooks), durch die Sperre Gechters und durch Dardais offenbar andauernde Unpässlichkeit allerdings auch die Innenverteidigung. „Aber wenn nichts geht, dann hat man das als Trainer zu akzeptieren“, sagte Stefan Leitl. Glücklich klang er dabei nicht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: