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Das beklemmende Gefühl ist verschwunden: Die DFB-Elf blickt der WM deutlich zuversichtlicher entgegen
Die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2026 war von Zweifeln durchzogen. Doch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft überzeugt, als sie überzeugen muss.
Stand:
Zu Beginn der zweiten Halbzeit erklang aus dem Fanblock der deutschen Fußball-Nationalmannschaft eine alte Weise, erst zaghaft, dann ein bisschen lauter. Sie wirkte ein wenig unpassend, ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit. „Es gibt nur ein‘ Rudi Völler“, sangen die deutschen Fans in der Arena in Leipzig.
Völler arbeitet als Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes eher im Hintergrund. Die Zeit, da er in der ersten Reihe stand – erst als Spieler, dann als Teamchef der Nationalmannschaft –, liegen lange beziehungsweise sehr lange zurück.
Ich weiß, was in der Mannschaft schlummert.
Bundestrainer Julian Nagelsmann
Insofern war es etwas ungewöhnlich, dass die Anhänger die Vergangenheit feierten. Denn die Gegenwart bot eigentlich genug Anlass zur Freude. Die Nationalmannschaft führte zu Beginn der zweiten Halbzeit 4:0 gegen die Slowakei; die Darbietung vor der Pause war eine der besten, seitdem Julian Nagelsmann Bundestrainer ist.
„Das war wirklich ein geiler Auftritt von unserer Mannschaft“, sagte Serge Gnabry, der beim 6:0-Erfolg der Deutschen zum zwischenzeitlichen 2:0 getroffen hatte. Oder, wie es der slowakische Verteidiger David Hancko ausdrückte: „Sie haben uns komplett zerstört.“
Selbstverständlich war das nicht. Nicht nach allem, was in den vergangenen Wochen passiert ist – unabhängig davon, dass die Slowakei als Nummer 46 der Welt ein überschaubares Bedrohungspotenzial ausstrahlt. Aber vor zwei Monaten hat dieses Bedrohungspotenzial gereicht, um die Deutschen in ein tiefes Tal der Zweifel zu stürzen.
Die Bürde der Auftaktniederlage hat die Nationalmannschaft die ganze Qualifikation mit sich geschleppt. Bis zum letzten Spiel am Montagabend bestand die Gefahr, dass der viermalige Weltmeister die Teilnahme an der WM-Endrunde im kommenden Sommer verpasst. „In Deutschland ist man nicht gewohnt, dass das auf der Kippe steht“, sagte Kapitän Joshua Kimmich. „Aber ich glaube, dass jeder heute ein Zeichen setzen wollte. Jeder wusste, was auf dem Spiel steht.“
Der Münchner kehrte nach seiner Kapselverletzung ins Team zurück, spielte wieder als rechter Außenverteidiger und hatte auch als vermeintliche Randfigur einen heilsamen Einfluss auf das Spiel seiner Mannschaft. Exemplarisch zu beobachten nach etwas mehr als einer Viertelstunde, als er von der Seite eine perfekte Flanke auf Nick Woltemade schlug, die dieser per Kopf zum 1:0 veredelte.
„Jeder Spieler hat ein extrem gutes Spiel gemacht und gearbeitet wie das rosafarbene Tier“, sagte Julian Nagelsmann im ZDF. „Heute gibt’s wenig zu meckern. Ich bin schon stolz auf die Mannschaft, weil sie gegen Widrigkeiten ankämpfen musste.“
Der Bundestrainer bescheinigte seinem Team „ein Riesen-Invest defensiv“. Und wenn man in der Angebersprache der Finanzwelt bleiben will, dann war der gesamte Auftritt die Benchmark, an der sich die Nationalmannschaft künftig messen lassen muss. Oder in den Worten von Serge Gnabry. „Wir haben heute gezeigt, wozu wir imstande sind. Wenn wir so spielen wie heute, haben wir Chancen, etwas Großes zu erreichen.“

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Auch wenn Nagelsmann mahnte, „dass wir nicht immer von Schwarz auf Weiß kippen innerhalb von 90 Minuten“, hat der Auftritt gegen die Slowakei die Grundstimmung im Fußballvolk verändert, vielleicht sogar grundlegend verändert. Die Aussicht, sich bei der WM in Nordamerika mit den Besten zu messen, nachdem man zuletzt sogar Luxemburg fürchten musste, löst zumindest keine Beklemmung mehr aus.
Dass es trotzdem schwer ist, ein solches Spiel verlässlich auf die Zukunft hochzurechnen, das weiß man hierzulande schon seit Rudi Völlers Zeiten als Fußballer; seitdem Franz Beckenbauer dem deutschen Fußball bei seinem Abschied als Teamchef eine goldene Ära prophezeite, weil nun ja auch noch die Spieler aus der ehemaligen DDR dazukämen.
Leroy Sané gab die richtige Antwort
Und wenn jetzt auch noch all die verletzten Spieler dazukommen? Marc-André ter Stegen, Antonio Rüdiger, Jamal Musiala, Kai Havertz, Tim Kleindienst. Vielleicht Angelo Stiller und Said El Mala. Oder der noch jüngere Lennart Karl.
„Wir sind alle keine Hellseher“, sagte Nagelsmann. „Ich habe mich jetzt noch nicht entschieden, wer alles im WM-Kader ist, aber ich kann schon versprechen, dass wir versuchen werden, die beste Auswahl zu treffen.“
Das Spiel gegen die Slowaken zeigte zumindest, dass es Alternativen gibt. Oliver Baumann im Tor war da, als er da sein musste und blieb im vierten Spiel nacheinander ohne Gegentor. Aleksandar Pavlovic trug das Trikot mit der Nummer 5 mit kaiserlicher Grandezza und gab im Mittelfeld die großen Linien vor. Leroy Sané wiederum, zu Beginn des Lehrgangs öffentlich angezählt von Julian Nagelsmann, konterte die Kritik an seiner Person mit zwei Toren und zwei Vorlagen in den beiden Länderspielen gegen Luxemburg und die Slowakei.
Selbst von der Bank kam noch neuer Schwung. Der eingewechselte Ridle Baku erzielte das 5:0. Und sein ebenfalls eingewechselter Leipziger Teamkollege Assan Ouedraogo traf mit seinem zweiten Ballkontakt zum 6:0-Endstand. Der 19-Jährige feierte gegen die Slowaken sein Länderspieldebüt, nachdem er kurzfristig für den angeschlagenen Nadiem Amiri nachnominiert worden war.
„Ich weiß, was in der Mannschaft schlummert“, sagte Julian Nagelsmann. Seine Aufgabe wird es nun sein, diese schlummernden Kräfte bei der WM im kommenden Jahr zur vollen Entfaltung zu bringen.
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