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Das einzige Bundesligaspiel im Poststadion: Im Duell mit Kaiserslautern musste Hertha BSC einmal fremdgehen
An diesem Samstag trifft Hertha BSC auf den 1. FC Kaiserslautern. Das Duell der beiden Klubs im August 1978 war ein historisches Spiel für die Berliner.
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Ralph Henschel-Winkler konsultierte die üblichen Datenbanken im Internet, „alle relevanten Quellen“, wie er sagt. Unter anderem den Kicker und die Internetseite des Deutschen Fußball-Bundes. Aber keine seiner Recherchen führte zum erhofften Ergebnis. Im Gegenteil.
Überall stand, dass das Bundesligaspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Kaiserslautern am 17. August 1978 im Olympiastadion stattgefunden hatte – so wie alle Bundesligaspiele des Vereins in jener Zeit. Ralph Henschel-Winkler war damals, als Zwölfjähriger, im Stadion gewesen. Aber er hätte schwören können, dass es nicht im Olympiastadion war. Sondern im Poststadion an der Lehrter Straße in Moabit.
Seine Erinnerung hat ihn nicht getrogen. Es ist tatsächlich so gewesen, wie es Henschel-Winkler im Gedächtnis hatte. Hertha im Poststadion: Das war in den Achtzigern, nach dem Abstieg des Klubs in die drittklassige Oberliga, nichts Ungewöhnliches. In der Bundesliga aber ist Hertha dort nur ein einziges Mal angetreten: an jenem 17. August 1978 eben, gegen den 1. FC Kaiserslautern, der an diesem Samstag (20.30 Uhr, live bei Sport1 und Sky) in Berlin gastiert.

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Von diesem „Handikap für Hertha und Tennis Borussia“ hatte der Tagesspiegel schon im Februar 1978 berichtet. Das Olympiastadion, so war dort zu lesen, sei von Mai bis Ende August gesperrt. Der Rasen müsse erneuert werden. Und was heute eine Sache weniger Tage ist, war damals noch deutlich komplizierter und vor allem wesentlich zeitaufwendiger.
In noch größerem Maße als Hertha ist von der Platzsperre der damalige Zweitligist TeBe betroffen. Denn während die Bundesligasaison im Mai wegen der Weltmeisterschaft in Argentinien bereits beendet ist, läuft der Spielbetrieb eine Klasse tiefer noch.
Vor der Pause hat mir Hertha gefallen. Nach Wiederanpfiff war der 1. FC Kaiserslautern die tonangebende Mannschaft.
Der damals neue Bundestrainer Jupp Derwall über das Spiel im Poststadion
„Weitaus härter trifft es Tennis Borussia“, schreibt daher der Tagesspiegel im Februar. Denn für TeBe steht im Mai noch das attraktive Heimspiel gegen Rot-Weiss Essen an. „TeBe hat den Senat darum gebeten, für den finanziellen Verlust geradezustehen“, heißt es in dem Artikel.
Wenn man Herthas früheren Profi Karl-Heinz Granitza auf das Spiel gegen Kaiserslautern im August 1978 anspricht, dann kommt ihm gleich das Poststadion in den Sinn. Granitza, 73 Jahre alt inzwischen, ist immer noch regelmäßig auf den Fußballplätzen der näheren Umgebung unterwegs. Er mag das Poststadion, das in der Mitte der Stadt liegt, fußläufig vom Hauptbahnhof und auch nicht weit entfernt von Herthas eigentlicher Heimat am Gesundbrunnen.

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Das Spiel vor 46 Jahren war nicht nur für Hertha ein historisch besonderes. Das war es auch für Granitza. Es ist sein erstes, nachdem er noch einmal aus den USA zurückgekehrt ist, wo er auf Leihbasis für Chicago Sting in der North American Soccer League (NASL) gespielt hat.
Die Hoffnungen ruhen auf Granitza
Nicht mal zehn Tage zuvor hat der Stürmer noch in Florida auf dem Feld gestanden und mit Chicago in der ersten Runde der Play-offs gegen die Tampa Bay Rowdies verloren. Seit einer Woche ist er zurück in Deutschland, und nun, gegen den FCK, steht er erstmals wieder im Kader der Berliner. „Mit Granitza soll Herthas Parole ,Angriff‘ heißen“, titelt am Tag des Spiels der Tagesspiegel, der den Rückkehrer sogar gleich in der Startelf erwartet.
Aber Granitza, in der Vorsaison Herthas bester Torschütze, fühlt sich noch nicht bereit. Er ist im Mai, direkt nach dem Saisonende in der Bundesliga, nach Chicago gewechselt. Und während seine Teamkollegen bei Hertha erst Urlaub hatten, ehe sie in die Vorbereitung auf die neue Spielzeit starteten, hat Granitza den ganzen Sommer durchgespielt. In nicht mal drei Monaten hat er 23 Spiele in der NASL bestritten.
„Von der Kondition bringt Granitza noch keine Bundesliga-Reife“, befindet Herthas Nationalspieler Erich Beer über den Rückkehrer. Granitza sieht es ähnlich und hat deshalb kein Problem damit, dass Trainer Kuno Klötzer ihn beim ersten Heimspiel der Saison erst einmal auf die Bank setzt.
Das Poststadion, bei seiner Eröffnung im Jahr 1926 mit 40.000 Plätzen Deutschlands größtes Vereinsstadion, fasst im August 1978 noch rund 35.000 Menschen und ist gegen Kaiserslautern, an einem Donnerstagabend, mit 17.595 Zuschauern ziemlich genau zur Hälfte gefüllt.
„Das war natürlich eine kleine Nummer, verglichen mit dem, was man damals noch gewohnt war“, erinnert sich Ralph Henschel-Winkler. Im Stadionheft dankt Herthas Präsident Ottomar Domrich den Zuschauern sogar ausdrücklich für ihre Mühe, „in das leider wenig komfortable Poststadion zu kommen“.
Anpfiff ist um 19.30 Uhr. In den Tagen zuvor war es noch schwül-warm gewesen, aber am Abend ist es dank frischer Meeresluft subpolaren Ursprungs merklich abgekühlt. Irgendwann, so erinnert sich Henschel-Winkler, fängt es auch noch an zu regnen.
Hertha kommt gut ins Spiel. „Eine Halbzeit lang stand den Herthanern der Fußball-Himmel noch offen“, schreibt der Tagesspiegel. „Die Berliner spielten einen dynamischen, gradlinigen und optisch gefälligen Fußball.“ Von den Rängen gibt es Beifall auf offener Szene. „Vor der Pause hat mir Hertha gefallen“, sagt der neue Bundestrainer Jupp Derwall, der mit einigen Bundesligatrainern auf der Tribüne sitzt.
Auch Ralph Henschel-Winkler hat die Hausherren als „weitgehend dominant“ in Erinnerung. Nur ein Tor will ihnen nicht gelingen. 0:0 heißt es zur Halbzeit. Herthas Mannschaft wartet immer noch auf das erste Tor der neuen Saison, nachdem sie sich am ersten Spieltag bei den Feierabendfußballern des Aufsteigers Darmstadt 98 mit einem 0:0 hatte begnügen müssen.
Immerhin: Auf der Bank der Berliner sitzt ein Stürmer, dessen Spezialität das Toreschießen ist: Karl-Heinz Granitza. In der 56. Minute wird er von Klötzer für den dänischen Neuzugang Henrik Agerbeck eingewechselt. Und tatsächlich fallen nun Tore. Allerdings nur für die Gäste aus der Pfalz.
„Nach Wiederanpfiff war der 1. FC Kaiserslautern die tonangebende Mannschaft“, sagt Bundestrainer Derwall. Ein Eigentor von Herthas Vorstopper Uwe Kliemann, seit Saisonbeginn als Nachfolger von Erich Beer Kapitän der Berliner, bringt die Lauterer 20 Minuten vor dem Ende in Führung. In der Schlussphase legen die Gäste dann noch zwei Tore zum 3:0-Endstand nach. „Da fiel es ein bisschen auseinander“, erinnert sich Ralph Henschel-Winkler.
Während sich der FCK mit dem zweiten Sieg im zweiten Spiel an die Tabellenspitze vorschiebt, rutscht Hertha mit nur einem Punkt und immer noch ohne Torerfolg auf einen Abstiegsplatz. „Meine Leistung war sehr, sehr dürftig, um nicht zu sagen: schwach“, sagt Karl-Heinz Granitza über sein Comeback in der Bundesliga. „Aber die Leistung der ganzen Mannschaft war es auch.“
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