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Abflug. Jon Dagur Thorsteinsson war nach seinem ersten Tor für Hertha BSC erkennbar erleichtert.

© imago/Matthias Koch

Das Rührstück im Olympiastadion: Fabian Reese überlässt Jon Dagur Thorsteinsson die große Bühne

Mit einem verwandelten Elfmeter gelingt dem Isländer das erste Tor für Hertha BSC. Für den Ausgang des Spiels war der Treffer nachrangig. Für Thorsteinsson erkennbar nicht.

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Fabian Reese verließ seinen Arbeitsplatz mit einem Blumenstrauß in der Hand. Aber anders, als man hätte vermuten können, handelte es sich dabei nicht um ein Geschenk von Jon Dagur Thorsteinsson. „Der ist von Kays Mutter“, sagte der Kapitän von Hertha BSC. Der Mutter von Kay Bernstein also, dem vor knapp zwei Jahren verstorbenen Präsidenten des Berliner Fußball-Zweitligisten.

Ein Fanbetreuer von Hertha war Reese vom Feld in die Katakomben gefolgt und hatte ihm den Strauß übergeben. Warum und weshalb, das berichtete Reese nicht.

Jon Dagur Thorsteinsson, Herthas isländischer Offensivspieler, hätte auch allen Grund gehabt, sich bei seinem Mitspieler erkenntlich zu zeigen – weil Reese ihm einen bisher seltenen Moment des persönlichen Glücks beschert und den souveränen Pokalerfolg gegen die SV Elversberg mit einem echten Rührstück beendet hatte.

Rückblende auf das Heimspiel am vergangenen Wochenende. Zwischen Hertha und Fortuna Düsseldorf steht es gegen Ende der zweiten Halbzeit immer noch 0:0, als Reese von der rechten Seite eine schnittige Hereingabe vor das gegnerische Tor spielt. Thorsteinsson hat sich am langen Pfosten in perfekte Position gebracht, aber er schafft es nicht, den Ball aus gefühlt einem Meter sechsundzwanzig über die Torlinie zu bugsieren.

Er hatte in der einen oder anderen Situation ein bisschen Pech, gerade letzte Woche hat er sich sehr viel Spott anhören müssen. Die Öffentlichkeit ist in solchen Momenten brutal.

Fabian Reese über Jon Dagur Thorsteinsson

„Er hatte in der einen oder anderen Situation ein bisschen Pech, gerade letzte Woche hat er sich sehr viel Spott anhören müssen“, sagte Fabian Reese am Dienstagabend nach Herthas 3:0-Erfolg über Elversberg und dem Einzug ins Achtelfinale des DFB-Pokals. „Die Öffentlichkeit ist in solchen Momenten brutal.“

Thorsteinsson, 26 Jahre alt, isländischer Nationalspieler und seit dem Sommer 2024 in Berlin, wurde nach seinem Fauxpas gegen Düsseldorf als Depp der Nation verhöhnt. Wer eine solche Chance versemmelt, wer als Stürmer nach bald anderthalb Jahren immer noch kein einziges Tor für seinen Klub erzielt hat, kann auf wenig Gnade hoffen, selbst wenn er sonst macht und tut. „Jon ist ein super Junge. Er ist fleißig und gibt immer alles für die Mannschaft“, sagte Fabian Reese.

Gegen Düsseldorf hatte Thorsteinsson eine riesige Chance kläglich vergeben.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian Räppold/Matthias Koch

Gegen Elversberg provozierte Thorsteinsson in der dritten Minute der Nachspielzeit beim Stand von 2:0 einen Foulelfmeter. Reese, als Schütze eingeteilt, nahm sich den Ball. Unmittelbar vor der Ausführung aber trat er dann doch noch zurück. Der Kapitän überließ Thorsteinsson den Ball und die große Bühne.

Reese war der Gedanke durch den Kopf geschossen, „dass man Jon damit eine große Freude machen konnte. Er hat ihn gemacht, das macht uns alle glücklich“, sagte er. Für den Ausgang des Spiels war der Treffer von nachrangiger Bedeutung. Für Jon Dagur Thorsteinsson erkennbar nicht. „Er hat sich riesig gefreut. Man hat vor der Kurve gesehen, was von dem Jungen abgefallen ist“, sagte Reese.

Nach dem Spiel wurde er von der Kurve gefeiert

Im 30. Pflichtspiel für Hertha hatte Thorsteinsson sein erstes Tor erzielt. Und so stand er am Ende des Abends allein vor den Fans in der Ostkurve und wurde gefeiert. Der Rest des Teams stand hinter ihm und stärkte ihm symbolisch den Rücken.

„Im Fußball brauchst du manchmal das Glück auf deiner Seite. Und falls du es nicht hast, musst du weitermachen“, sagte Thorsteinsson. „Das habe ich getan und endlich getroffen. Ich habe lange auf diesen Moment gewartet und bin nun umso glücklicher.“

Zu seiner unglücklichen Geschichte gehört auch, dass Thorsteinsson sein erstes Tor eigentlich schon vor ziemlich genau einem Jahr erzielt hat. In Darmstadt war ihm kurz nach der Pause das vermeintliche 2:1 für Hertha gelungen. Doch der Treffer zählte nicht, weil der VAR in der Entstehung ein Handspiel erkannt haben wollte. Am Ende verloren die Berliner das Spiel mit 1:3. Seitdem war Jon Dagur Thorsteinsson seinem Premierentor für Hertha vergeblich hinterhergejagt. Bis Dienstagabend.

„Ich glaube, dass man dazu nicht mehr allzu viel sagen muss. Ich bin wirklich happy, dass Fabi Jon den Ball gibt und Jon das Tor macht“, sagte Herthas Trainer Stefan Leitl über die vorletzte und die letzte Aktion des Pokalspiels. „Wenn man dann sieht, wie die Jungs miteinander feiern, wie sie Jon unterstützen, dann ist das einfach großartig.“

Mit Blick auf die öffentlichen Reaktionen auf Thorsteinssons vergebene Chance gegen Düsseldorf mahnte Leitl noch, dass „man sich schon mal Gedanken machen“ sollte, „wie man hier mit meinen Spielern oder grundsätzlich mit Menschen umgeht“. Der Shitstorm, der auf Thorsteinsson niedergeprasselt war, sei absolut nicht fair gewesen. „Keiner meiner Jungs vergibt eine Chance mit Absicht“, sagte Herthas Trainer.

Und so entfaltete der für den Spielausgang scheinbar unwichtige Elfmeter kurz vor Schluss am Ende doch noch eine mächtige Wirkung. Er wurde zum Sinnbild für das, was Hertha aktuell auszeichnet. Nach dem zähen Saisonstart wird das Team den eigenen Ansprüchen immer mehr gerecht. Fünf der jüngsten sieben Pflichtspiele haben die Berliner gewonnen.

„Es macht uns gerade aus, dass wir ein Team sind, dass jeder für den anderen kämpft und sich jeder für den anderen sich freut. Das ist die Basis“, sagte Fabian Reese. „Das muss man als Kapitän genauso vorleben.“

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