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Ohne Proteste. Fan aus dem Iran beim Spiel gegen die USA.

© Imago/Agencia MexSport/Cristian de Marchena

Das Trauerspiel der WM 2022: Iran unterdrückt Proteste mit Androhung von Folter

Im Spiel gegen den Iran siegt das Team USA 1:0 und zieht ins Achtelfinale ein. Das iranische Regime gewinnt die Kontrolle über die Protestbewegung in den WM-Stadien zurück.

Der katarische Überwachungsapparat funktioniert. Nachdem am Montag letzter Woche beim Spiel des Iran gegen England die iranische Opposition ihren Protest noch weithin unbehelligt von den Sicherheitskräften öffentlich machen konnte, war die Bewegung beim Duell mit den USA am Dienstagabend offenkundig mundtot gemacht. Keine Transparente mit der Aufschrift „Woman, Life, Freedom“ mehr.

Keine Protestflaggen mit dem Slogan, die fröhlich über den Köpfen der Fans wandern. Nur vereinzelt Trikots sieht man Anhänger mit Trikots der regimekritischen Altinternationalen Ali Daie und Ali Karimi. Stattdessen ein monoton durchs Al-Thumama-Stadion schallender „Iran“-Schlachtruf aus tausenden Münden, angetrieben von Pauken und vuvuzelaartigen Tröten.  

Was sind das bloß für Zeiten? Kein Spiel bringt all die Widersprüche dieser WM und der Region, in der sie stattfindet, besser auf den Punkt als diese Partie. Die „Mutter aller Spiele“ titelt eine regimetreue Zeitung in Teheran pathostriefend am Spieltag.

Schließlich kommt es beim Aufeinandertreffen des Iran mit dem großen Rivalen aus den USA im letzten Gruppenspiel zu einer K.O.-Konstellation. Dem Iran reicht aller Voraussicht nach ein Punkt zum Weiterkommen. Die USA sind, wollen sie das Achtelfinale erreichen, zum Siegen verdammt.

Seit mehr als 40 Jahren gibt es keine diplomatischen Beziehungen zwischen den Ländern. Die US-Amerikaner belegen den Iran seit Langem mit harten Sanktionen. Auch deshalb gilt die westliche Supermacht bei der iranischen Führung als „Großer Satan“. Der Oberste Religiöse Führer, Ayatollah Ali Khamenei, macht keinen Hehl daraus, dass er die Vereinigten Staaten mitverantwortlich für die Revolutionsbewegung in seinem Land hält: „Das Problem sind nicht ein paar Krawallmacher auf der Straße, auch wenn jeder Krawallmacher, jeder Terrorist, bestraft werden muss. Das Schlachtfeld ist viel größer. Der Hauptfeind ist die globale Arroganz.“

Kein Wunder, dass es im Vorfeld der Partie fast nur um sportferne Fragen ging, von denen die Trainer beider Teams nur schwerlich ablenken konnten. Zumal es unter Woche auch zwischen den Verbänden gekracht hatte, als der US-Bund auf seiner Homepage die iranische Nationalflagge ohne das Zeichen für „Allah“ verwandte, das den Iran als islamischen Gottesstaat kennzeichnet.

„Das Spiel wird hart umkämpft sein,“ versuchte US-Coach Gregg Berhalter zu beschwichtigen, „weil beide weiterkommen wollen und nicht, weil es um Politik geht.“

1998 gab es Blumen für die US-Boys

Dass die USA in Katar ihre größte Militärbasis im Mittleren Osten unterhalten, die in den kommenden Jahren noch deutlich ausgebaut wird, macht die schwer durchschaubare geopolitische Lage in der Region vollends paradox. Zumal in den letzten Tagen Chat-Protokolle aufgetaucht waren, aus denen hervorgeht, dass der katarische Geheimdienst mit den iranischen Behörden zusammenarbeitet und wohl schon im Vorfeld der WM bei der Überprüfung der Daten etwa 500 Regimekritiker aus dem Nachbarstaat herausgefiltert hat, die WM-Tickets erworben hatten. Und zeitgleich bekannt wurde, dass 5000 regimetreue Fans aus dem Iran auf Einladung des Staates Katar zur WM gereist seien, um das Stimmungsbild auf den Rängen zu beeinflussen.

5000
regimetreue Fans aus dem Iran sind auf Einladung Katars dabei

Vor diesem Hintergrund drängt sich vor Anpfiff tatsächlich der Eindruck auf, als säßen im Oberrang der Haupttribüne viele regimekonforme Anhänger. An den Spielfeldbegrenzungen hinterm Tor hängen ausschließlich Landesfahnen mit dem „Allah“-Symbol und keine Spruchbänder, die irgendwie auf oppositionelle Haltungen hindeuten.

Beim bislang einzigen WM-Aufeinandertreffen beider Teams hatte die iranische Elf 1998 als Zeichen der Annäherung den US-Boys vor Anpfiff Blumen überreicht. Derlei freundschaftliche Gesten gibt es diesmal nicht. Wohl auch, um die aufgeheizte Stimmung nicht noch weiter anzuheizen.

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Nur zwei iranische Spieler – unter anderem Leverkusens Stürmer Sadar Azmoun – verzichten darauf, die Hymne lauthals anzustimmen. Was auf den Tribünen postwendend ein Pfeifkonzert nach sich zieht, als die Gesichter der schüchtern schweigenden Akteure auf den Stadionbildschirmen erscheinen.

Dennoch hat es den Anschein, als würde der konzertierte Support mit Pauken und Tröten das iranische Team von Beginn an einschüchtern. Während die US-Boys mit viel Tempo nach vorne spielen, igelt sich der Iran vor dem eigenen Tor ein.

Torschütze Christian Pulisic verletzt sich schwer

Das fällige Tor jedoch lässt etwas auf sich warten: In der 39. Minute köpft Milan-Verteidiger Sergino Dest vom rechten Flügel in den Fünfmeterraum auf Christian Pulisic, der sich mit dem Ball nur noch ins Tor fallen lässt. Bei der Aktion jedoch verletzt sich der Ex-Dortmunder so stark am Bauch, dass er ausgewechselt wird und später sogar ins Krankenhaus muss.

Christian Pulisic bleibt nach seinem Tor gegen den Iran verletzt liegen.
Christian Pulisic bleibt nach seinem Tor gegen den Iran verletzt liegen.

© Imago/Xinhua/Meng Dingbo

Ohne den Kapitän geben die Amerikaner ihre Überlegenheit nach Wiederanpfiff auf und verlegen sich aufs Kontern. Doch trotz der Überlegenheit gelingt es den Spielern aus der islamischen Republik nicht, wirklich zwingende Torchancen herauszuspielen. In der Nachspielzeit versucht Angreifer Mehdi Taremi in seiner Verzweiflung noch einen Elfmeter zu schinden, doch der umsichtige Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz behält auch in dieser hitzigen Situation, Auge in Auge mit fast der kompletten iranischen Ersatzbank, die Ruhe.

Die USA gewinnen das Spiel verdient 1:0 und treffen nun im Achtelfinale auf die Niederlande. „Uns hat ein Tor gefehlt, der Traum ist vorbei“, moderiert Irans portugiesischer Coach Carlos Queiroz die ideologisch überladene Partie am Ende recht nüchtern ab. Als er diese Worte bei der Pressekonferenz spricht, scheint es fast, als sei eine schwere Last von ihm genommen.

Eine Last, die ungleich schwerer auf den Schultern vieler seiner Spieler gelastet haben muss. Laut Informationen des Nachrichtensenders CNN soll nach dem WM-Spiel gegen England den Familien der iranischen Akteure Folter und Haft angedroht worden sein, falls sich die WM-Reisenden weiterhin mehrheitlich mit der Protestbewegung. Was sind das bloß für Zeiten.

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