Sport: Der Höhepunkt vor dem Höhepunkt
Schon das Halbfinale der Hockey-WM war ein magisches Ereignis – heute tritt Deutschland im Finale an
Für Christian Schulte läuft es gerade nicht besonders gut. Der Torhüter der deutschen Hockey-Nationalmannschaft hat bei der Weltmeisterschaft noch keine Minute gespielt, im Halbfinale gegen Spanien aber kam der Moment, auf den er gewartet hatte. 2:2 stand es nach Verlängerung, es gab Siebenmeterschießen, und Schulte ist ein Spezialist für diesen Wettbewerb. Nur – Schulte saß auf der Tribüne. Der Torhüter ist dann zu Uli Bubolz gegangen, seinem Vertreter im Tor, und hat ihm wenigstens noch ein paar Tipps gegeben. Wenn Santiago Freixa zum Beispiel den ersten Siebenmeter nach links schieße, schieße er den zweiten nach rechts. Eine nutzlose Information. Es gab keine zweite Runde. Nur viermal durften die Spanier antreten, und nur einmal konnten sie Bubolz bezwingen. Einmal sprang der Ball an den Pfosten, zweimal klatschte er dem deutschen Torhüter an den Körper. „Im Siebenmeterschießen sind die Schützen klar im Vorteil“, sagte Tibor Weißenborn, der als fünfter Schütze der Deutschen gar nicht mehr zum Zug kam. Uli Bubolz verkehrte dieses Prinzip an diesem magischen Abend von Mönchengladbach in sein Gegenteil.
„Gigantisch“ nannte Weißenborn die Leistung des Torhüters, „dafür kann man nur die höchsten Superlative finden.“ Bundestrainer Bernhard Peters bezeichnete den Berliner als „the man of the evening“. Und es war nicht irgendein Abend, es war ein Abend, den das deutsche Hockey in dieser Form vielleicht noch nie erlebt hat. Das Hockey-Publikum zeichnet sich eher durch distinguierte Zurückhaltung als hemmungslose Ekstase aus, beim Halbfinale aber toste die Kulisse von der ersten Minute an, und sie hörte zwei Stunden lang nicht auf zu tosen. „Ich hatte es mir irgendwie erträumt“, sagte Bernhard Peters. „Aber ich konnte es mir nicht vorstellen. Für das deutsche Hockey ist es ein großer Tag.“
Jetzt, zum Ende des Turniers, entfaltet der Heimvorteil doch noch seine ganze Wirkung. „Das ist der Hauptunterschied zu unseren Gegnern“, sagte Peters. Der Bundestrainer wurde später gefragt, ob denn nicht die Gefahr bestehe, dass sich seine Mannschaft bereits selbst überholt habe. Völlig unbegründet ist die Sorge nicht. Von seiner ganzen Anmutung her wirkte dieser Abend bereits wie der emotionale Höhepunkt für die deutschen Spieler. Welche Steigerung soll es noch geben? „Wenn man Weltmeister wird, ist der emotionale Höhepunkt noch höher“, sagte Tibor Weißenborn.
Er hat das erlebt, 2002 im Endspiel von Kuala Lumpur, als die Sekunden heruntergezählt und die Deutschen zum ersten Mal Weltmeister wurden. Heute (15.30 Uhr, live in der ARD) treffen sie wieder auf Australien, den Finalgegner von 2002. Eigentlich galt die Mannschaft von Bernhard Peters als zu unerfahren für das ganz große Ding, doch sie hat sich im Laufe der WM gesteigert; sie hat sich auch gegen die Spanier gesteigert, die deutlich reifer wirkten; nach der Pause aber legten die Deutschen das flirrende Spiel ihres Gegners weitgehend lahm.
Die Deutschen haben mit dem Einzug ins Finale eine wunderbare Geschichte geschrieben; doch noch wunderbarer ist ihre Nebenhandlung. Es ist die Geschichte von Torhüter Uli Bubolz, der sich im Juni, am letzten Bundesligaspieltag neun Minuten vor Schluss, an der Schulter verletzt hat und operiert werden musste. Als er damals vom Feld ging, war nicht nur seine WM-Teilnahme in Gefahr, seine Mannschaft, der Berliner HC, stand auch noch auf einem Abstiegsplatz. „Es hätte der schlimmste Tag meiner Karriere werden können“, sagt Bubolz. Doch der BHC schaffte in den letzten neun Minuten den Klassenerhalt und Bubolz im letzten Moment den Sprung in den WM-Kader als vermeintliche Nummer zwei hinter Christian Schulte. Aber Bubolz wurde die Nummer eins, und jetzt ist er der beste Torhüter der WM. „Ich bin positiv überrascht von mir“, sagte er.
Das Siebenmeterschießen gegen Spanien war nur die spektakuläre Bestätigung für Bubolz’ grandiose Leistung. Tibor Weißenborn sagt: „Wenn er im Finale nur halb so gut spielt, werden wir auch Weltmeister.“ Im Halbfinale parierte Bubolz fünf Strafecken, einmal flog der Ball am Tor vorbei, nur einmal konnten die Spanier ihn bezwungen, im sechsten WM-Spiel zum ersten Mal überhaupt nach einer Strafecke. Wie konnte das passieren, wurde Bubolz nach dem Spiel im Spaß gefragt. „Und dann auch noch flach Mitte“, antwortete er. Durch die Beine war ihm der Ball geflogen. Uli Bubolz lachte.