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Das Trikot ist im Museum. Der Mann, der es 1974 trug, ist noch sehr aktiv: Jürgen Sparwasser.

© Imago

Jürgen Sparwasser wird 70: Der Mann, der das Tor schoss

Es ist der Treffer, der sein Leben begleitet - das Siegtor im einzigen Spiel der DDR gegen die BRD. Dabei hatte er noch ganz andere große Auftritte. Zum 70. Geburtstag von Jürgen Sparwasser.

Mensch, Jürgen Sparwasser. Ein Tor, ein Erdrutsch, ein Hoch für den Osten, eine Enttäuschung für den Westen - die am Ende ihr Gutes haben sollte. Für den Westen. Hamburger Volksparkstadion, 22. Juni 1974, drittes WM-Gruppenspiel für Deutschland West und Deutschland Ost. Beide Mannschaften sind bereits für die zweite Runde qualifiziert, zum Glück. Sonst wäre das Tamtam vor dem Spiel noch unerträglicher geworden. Denn es war auch trotz der geschlossenen Ostverträge noch für viele ganz Kalter Krieg. Die "Bild" titelte damals die Ansetzung "Deutschland gegen 'DDR'".

Das Spiel lief mau für Deutschland West, lange stand es 0:0. Zwölf Minuten vor Schluss dann wird es ganz bitter für die Mannschaft von Helmut Schön: Erich Hamann vom FC Vorwärts Frankfurt überquert mit dem Ball die Mittellinie und schlägt einen Diagonalpass über 40 Meter auf die linke Seite, der Magdeburger Jürgen Sparwasser zieht ab. Sepp Maier ist geschlagen. Sparwasser schlägt einen Purzelbaum. Der Westen ist geschlagen.

Es war der größte Tag in der Karriere des Jürgen Sparwasser. Es war ein riesiger Tag für die DDR, die sonst im Fußball immer hinter der BRD einzuordnen war. "Für uns Spieler war das aber kein Kampf der Systeme", sagte Jürgen Sparwasser später.  

Es war das nicht das erste Turnierspiel, in dem vieles schief lief für Helmut Schöns Team aus der Bundesrepublik - bei einer Weltmeisterschaft im eigenen Lande, die nicht ungünstig begonnen hatte mit dem mühevollen 1:0 gegen Chile und dem erwartbaren 3:0 gegen Außenseiter Australien, da wurden die Deutschen sogar ausgepfiffen.

Bundestrainer Schön wirkte auch gegen die DDR, übrigens das einzige Spiel, in dem Günter Netzer bei der WM zum Einsatz kam, überfordert. Und es gibt bis heute Gerüchte, dass nach der Pleite gegen die DDR die großen Spieler die Regie für das Team führten. In jedem Fall hatte Sparwasser mit seinem Tor die Mannschaft wachgerüttelt. Der Westen siegte danach vier Mal in Serie und wurde Weltmeister. Die DDR schied bei ihrer einzigen WM-Teilnahme in der Zwischenrunde aus. Franz Beckenbauer forderte mit Abstand sogar eine WM-Medaille für Jürgen Sparwasser, den Wachrüttler..

Er war seinem Klub als Spieler treu: Von 1966 bis 1979 spielte Sparwasser für den 1. FC Magdeburg

Sparwasser, der bescheidene Harzer, taugte nicht als der Held im Sport. Er war – obwohl SED-Mitglied – immer mehr 1. FC Magdeburg als DDR-Nationalmannschaft. Sparwasser verschwand nach seinem Tor wieder in der Nische DDR-Fußball. Mit seinem Klub hatte er 1974 ohnehin den größten Erfolg, den Sieg im Europapokal der Pokalsieger im Finale gegen den großen AC Mailand errungen. Auf dem Weg dahin hatte er auch sein nach seiner Wahrnehmung wichtigstes Tor geschossen, wie er 2014 im Tagesspiegel schrieb: "Das (wichtigste Tor meiner Karriere, d. A,) habe ich ... im Halbfinale des Europacups zum 2:1 für den 1. FC Magdeburg gegen Sporting Lissabon erzielt. Ohne diesen Treffer wären wir nicht ins Endspiel gekommen, hätten also auch nicht den Europapokal gewonnen – als einzige Mannschaft überhaupt aus der DDR."

Von 1966 bis 1979 spielte Jürgen Sparwasser für Magdeburg, dann wurde er Co-Trainer – und neun Jahre später verschwand er in den Westen. 1988 wurde er Co-Trainer bei Eintracht Frankfurt. Der DDR-Nachrichtendienst "ADN" meldete: "Die Anwesenheit einer Altherrenmannschaft des 1. FC Magdeburg in Saarbrücken benutzten sportfeindliche Kräfte zur Abwerbung von Jürgen Sparwasser, der seine Mannschaft verriet." Der Sparwasser ein Verräter, ein Wahlwessi, an sich ein Schlag gegen den Osten. Aber da spielte der Bescheidende auch nicht mit, laute Worte sind nicht die Sache.

Dafür aber große Tore, aber darauf kommt es ja an bei Stürmern. Und ein historisches Tor bleibt es, das vom 22. Juni 1974. Das Einzige, das je gefallen ist im Duell BRD gegen DDR beim einzigen auch heute noch offiziell anerkannten Spiel des geteilten Landes überhaupt (es gab in den 50er- und 60er-Jahren vier Spiele im Rahmen der internen Olympia-Qualifikation, als Deutschland noch ein Team stellte).

Für den DFB bleiben Begegnungen mit der DDR eine ewige Negativbilanz. Auch wenn es für Jürgen Sparwasser nicht das einzige große Tor seines Lebens ist: Aber natürlich wird er auch noch am 70. Geburtstag, den er an diesem Montag feiert, daran erinnert. Und was gibt es für einen Sportler Schöneres, wenn er noch lange nach der Karriere durch einen derart großen Treffer in Erinnerung bleibt.

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