Sport: Der Mythos wankt
Der Dopingverdacht gegen den Schwimmstar Ian Thorpe schockiert Australien
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Es war keiner dabei, als Ian Thorpe gestern Vormittag die Nachricht hörte, überliefert ist bloß seine Reaktion: „Er war geschockt.“ So erzählte es Alan Thompson, der Cheftrainer der australischen Schwimm-Nationalmannschaft. Er hatte dem fünfmaligen Olympiasieger eine Überschrift der französischen Sportzeitung „L’Equipe“ vorgelesen: „Hat Thorpe betrogen?“ Auf einer ganzen Seite schreibt die Zeitung am Samstag über Thorpe, der Kern der Geschichte lautet: Es gibt einen Dopingverdacht gegen den 24-Jährigen. Und der australische Verband habe eine verdächtige Probe „wegen wissenschaftlicher Zweifel“ abgehakt. Der Vorwurf schwingt mit: Er habe etwas vertuscht.
Bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Melbourne schlug die Nachricht wie eine Bombe ein. Kein anderes Thema beschäftigte Medien und Funktionäre mehr. In den Nachrichten des australischen Fernsehens war es die Topnachricht, Premierminister John Howard erklärte, Thorpe bleibe trotzdem „ein großer Australier“. Dass Thorpe bei diesen aktuellen Weltmeisterschaften in Melbourne gar nicht schwimmt, dass er im November 2006 zurückgetreten ist: eine Nebensächlichkeit.
Ian Thorpe ist ein Mythos, in Australien sowieso, aber auch weltweit. Würde er als Dopingsünder auffliegen, wäre das einer der spektakulärsten Fälle des Weltsports. Thorpe beherrschte über Jahre die 400 Meter Freistil, er war mit 14 Jahren der jüngste Schwimmer in der australischen Nationalmannschaft und mit 15 Jahren der bisher jüngste Einzel-Weltmeister im Schwimmen.
Weil das Reizwort Doping wie ein Stromschlag wirkt, dauerte es nach den ersten Aufgeregtheiten in Australien erst einmal, bis sich Feinheiten des Falls herausfilterten. Und der ist kompliziert. Ian Thorpe ist nicht mit einer positiven Probe erwischt worden, er hatte nur einen auffälligen Wert. Im Mai hatte die australische Anti-Dopingagentur Asada Thorpe unangemeldet kontrolliert. Im Labor sollen die Experten laut „L’Equipe“ dann gemessen haben, dass der Quotient Testosteron/Epitestosteron höher als 4:1 war. Dieses Verhältnis ist aber der Grenzwert für Doping. Werte, die geringfügig höher sind, gelten als Auffälligkeiten. In so einem Fall muss untersucht werden, ob ein Athlet körpereigene Anomalien hat oder ob er künstliches Testosteron zu sich genommen hat. Eine exogene Zufuhr gilt als Doping. Tour-de-France-Sieger Floyd Landis wurde im vergangenen Jahr mit einem stark überhöhten Quotienten getestet. Der war aber so hoch, dass kein Zweifel daran bestand, dass Landis Dopingmittel angewendet hatte.
Die Frage, ob tatsächlich Doping mit Testosteron vorliegt, ist in bestimmten Fällen schwer zu klären. Es gibt verschiedene Messmethoden, jedes Labor wendet offenbar andere an. Deshalb gibt es nicht automatisch einheitliche Resultate. „Die australische Anti-Doping-Agentur entschied, dass diese Auffälligkeiten keinen Dopingverstoß darstellen“, sagte Andrew Pipe, der Vorsitzende der Anti-Dopingkommission des Weltverbands Fina.
Allerdings hat die Asada dieser Darstellung gestern in einer eilig anberaumten Pressekonferenz widersprochen. Der Asada-Vorsitzende Richard Ings machte deutlich, dass das Verfahren um die betroffene Probe noch nicht beendet sei. Man habe den betroffenen Athleten bereits informiert, sagte er.
Da eine Probe bei Auffälligkeiten zugleich an die Fina und die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada geht, befragte der Schwimm-Weltverband auch eigene Wissenschaftler. Und die empfahlen im Dezember 2006, der Sache weiter nach zugehen. Von der Wada ist keine Reaktion bekannt. Der Fall liegt nun beim Welt-Sportgerichtshof Cas. Der muss entscheiden, ob der Fall Thorpe zu den Akten gelegt wird oder ob er weiter untersucht wird. Allerdings bestätigte die Fina den Namen Thorpe nicht. „Wir haben nur eine Nummer erhalten“, sagte ein Funktionär.
Thorpe saß gestern bereits wieder unter den Zuschauern in Melbourne. Er hatte nach den Olympischen Spielen in Athen ein Jahr pausiert, und als im Mai ein Kontrolleur kam, war er auch nicht einsatzfähig. Er konnte wegen eines Drüsenfiebers seit Wochen nicht trainieren. Im Juli wechselte er nach Los Angeles zu Coach Dave Salo. Vier Monate später trat die australische Schwimmlegende zurück. Ob er ein Mythos bleiben wird, weiß heute keiner.
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