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Der norwegische Anzug-Skandal wirkt nach: „Es gibt jetzt ein Durchrütteln bei den Springern“
Der Auftakt in die Olympiasaison im Skispringen steht im Zeichen des WM-Betrugs in der Vorsaison. Experte Sven Hannawald blickt Richtung Predazzo, wo die Olympiaschanze einige Sorgen bereitet.
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Bevor die Skispringerinnen und Skispringer am Freitag in den Olympia-Winter starten, ist noch längst nicht abgehakt, was sich am Schluss der vergangenen Saison ereignet hatte. „Ich habe sie zum Glück wenig gesehen. Aber ich will sie auch gar nicht sehen“, sagte Andreas Wellinger vor Kurzem über die norwegischen Konkurrenten Marius Lindvik und Johann André Forfang.
Die beiden Norweger standen im Mittelpunkt des Eklats um manipulierte Sprunganzüge bei der WM in ihrer Heimat und kamen mit milden Strafen davon. Nun geht es also ausgerechnet im norwegischen Lillehammer wieder los, und die beiden sind startberechtigt.
„Nach den Erfahrungen, die man mitgenommen hat, gibt es jetzt ein Durchrütteln bei den Springern“, sagt der frühere Weltklasseathlet und ARD-Experte Sven Hannawald, der nach den Vorkommnissen in Trondheim vor Wut kochte. „Mit den neuesten Nachrichten bekomme ich schon den nächsten Würgereiz, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass sich alle Beteiligten versuchen herauszureden und angeben, nichts davon gewusst zu haben, um diesem Betrug zu enteilen“, hatte er im März unmittelbar nach den Vorfällen gesagt.
Ich wäre dafür, bei einem Millimeter zu viel jeden rauszuschmeißen.
Sven Hannawald, ARD-Experte
Für Hannawald ist vor dem Auftakt dieses Winters wichtig, dass die Regeln rund um das Material genauestens eingehalten werden. Er meint damit weniger dir Aktiven als vielmehr diejenigen, die das kontrollieren. „Für mich war es ein Grundproblem, dass es zu Beginn der vergangenen Saison klare Regeln gab und die Anzüge auch dementsprechend konzipiert waren. Nachdem dann alles wieder etwas lockerer gehandhabt wurde, hat sich diese Dramatik entwickelt.“
Gelbe und Rote Karten werden eingeführt
Inzwischen gibt es neue Kontrolleure, auch hat sich der Schnitt der Anzüge verändert, sodass sie einfacher zu messen sind. Um Manipulationsversuche zu unterbinden, plädiert Hannawald dafür, dass selbst kleinste Überschreitungen der festgelegten Anzugmaße knallhart sanktioniert werden. „So könnte man verhindern, dass die Springer bereits am Limit zur Kontrolle kommen.“

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Um das Publikum besser in diese Materialproblematik einzubinden, gibt es nun Gelbe und Rote Karten – vergleichbar mit den Wirkungen im Fußball. „Das klingt erst mal spektakulär“, sagt Hannawald. „Man hat jetzt eine Vorwarnung, die angezeigt wird, wenn derjenige auf dem Balken sitzt. Dann bekommt man vielleicht etwas mehr Würze rein. Aber alles in allem ist das unnötig, wenn man den Weg klar einhält.“
Der Rückenwind an sich ist noch nicht gefährlich, aber du brauchst eben eine grundsolide Technik, die unheimlich viel Feingefühl erfordert.
Sven Hannawald über die Olympiaschanze in Predazzo
Gerade in einem olympischen Winter werden die Nationen intensiv tüfteln, um ihre Springerinnen und Springer bestmöglich auf den zweiten Saisonhöhepunkt nach der Vierschanzentournee vorzubereiten.
Im Gegensatz zu den Schanzen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen muss die Olympiaschanze in Predazzo noch erschlossen werden. Der Weltcupzirkus machte immer mal wieder halt im Fleimstal. Allerdings musste die Anlage für Olympia komplett neu errichtet werden.
Und die ersten Erfahrungen mit der Anlage im Sommer waren desaströs. Bei den Tests auf Matten hatten sich die Österreicherin Eva Pinkelnig und die kanadische Ex-Weltmeisterin Alexandra Loutitt das Kreuzband gerissen. Beide werden Olympia verpassen. „Die Wettbewerbe überlebt, die Anlagen getestet und ganz ehrlich – alleine für die Aussicht würde ich wiederkommen“, hatte Katharina Schmid anschließend geschrieben.
Philipp Raimund gewann den Grand Prix im Sommer
„Ich kenne die Schanze noch von früher und ich weiß, dass die Bedingungen in Predazzo immer schon schwierig waren“, sagt Hannawald. „Der Rückenwind hatte sich bei den Tests im Sommer bei den Frauen mehr widergespiegelt – mit diesen traurigen Folgen.“
Anschließend wurde nicht nur das Schanzenprofil verändert, sondern auch die Anzüge für die Frauen. „Jetzt gibt es etwas mehr Schrittmaß und entsprechend etwas mehr Tragfläche“, sagt Hannawald. „Damit können sie mit weniger Anlauf weiter springen. Im Sommer war zu viel Anlauf nötig und die Energie, die wirkte, war viel höher als bei den Männern, die mit weniger Anlauf auf dieselben Weiten kommen.“
Dennoch bleibt die Schanze eine Herausforderung. „Es gab das Problem, dass der Hang abgerutscht ist und man über Jahre hier nicht springen konnte“, sagt Hannawald. Vielleicht habe man für diese Schanze etwas das Gefühl verloren. „Der Rückenwind an sich ist noch nicht gefährlich, aber du brauchst eben eine grundsolide Technik, die unheimlich viel Feingefühl erfordert.“
Auf ein gutes Sprunggefühl hoffen die deutschen Springerinnen und Springer natürlich schon am kommenden Wochenende. Während sich Selina Freitag und Katharina Schmid in der Vorsaison und Nika Prevc im Gesamt-Weltcup geschlagen geben mussten, war Andreas Wellinger auf Platz sieben der konstanteste Springer des Deutschen Ski-Verbandes (DSV).
Nachdem Philipp Raimund den Grand Prix im Sommer gewonnen hatte, liegt ein besonderes Augenmerk nun auf ihm. „Es ist ein gutes Zeichen, dass er im Sommer auf der kleinen Schanze gut zurechtkam, wo es immer auf eine gute Technik ankommt. Damit gehört er zu den Mitfavoriten.“ Spannend werde zu sehen sein, wie die Konkurrenz aus den Startlöchern kommt.
Ganz intensiv werden die Sprünge der Norweger unter die Lupe genommen werden. Denn noch wird es dauern, bis das Vertrauen nach dem WM-Knall wiederhergestellt ist.
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