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Fabian Drescher war von der Zustimmung der Mitglieder sichtbar überwältigt.

© IMAGO/Jan Huebner

Update

Deutliche Mehrheit für den Interimschef: Fabian Drescher ist neuer Präsident von Hertha BSC

Der Berliner Fußball-Zweitligist hat einen Nachfolger für Kay Bernstein. Sein früherer Stellvertreter Fabian Drescher wird mit deutlicher Mehrheit zum Präsidenten gewählt.

Stand:

Fabian Drescher muss erst einmal seine Brille abnehmen. Er wischt sich die Tränen aus den Augen und atmet einmal tief durch. Als er „dieses überragende Ergebnis“ erwähnt, bricht ihm fast die Stimme weg.

Drescher, 42 Jahre alt, ist am Sonntag zum neuen Präsidenten von Hertha BSC gewählt worden. Und das mit einem überraschend deutlichen und damit triumphalen Ergebnis bereits im ersten Wahlgang. 2983 von 3651 gültigen Stimmen entfallen auf Drescher, der den Berliner Fußball-Zweitligisten seit Anfang des Jahres bereits kommissarisch geleitet hat. Die Zustimmung beträgt 81,7 Prozent.

Von einem solchen Votum hat sein Vorvorgänger Werner Gegenbauer bei seiner letzten Wiederwahl im Oktober 2020 nur träumen können – obwohl er damals als alleiniger Kandidat angetreten war. Drescher hingegen sieht sich gleich vier Mitbewerbern gegenüber, die alle unter ferner liefen bleiben. Allein Uwe Dinnebier kommt auf eine dreistellige Stimmenzahl (582).

Dirk Lentfer, Leiter der Mitgliederversammlung, kommt bei der Verkündung von Dreschers Wahlergebnis nur bis zweitausendneunhundert ... Der Rest geht im Jubel unter. Die Mitglieder erheben sich von ihren Sitzen. „Ha! Ho! He!“, rufen sie. Ein bisschen ist es wie im Juni 2022, als im selben Saal des City Cubes der Messe Berlin Kay Bernstein zum Präsidenten von Hertha BSC gewählt worden ist. Wie Bernstein vor zweieinhalb Jahren, so hat auch Drescher die aktive Fanszene hinter sich. Aber nicht nur die.

Anne Noske ist neue Vizepräsidentin

Eindeutig ist auch das Ergebnis bei der Wahl für das Amt des Vizepräsidenten. Anne Noske, einzige Frau unter allen Bewerbern und seit Oktober des vergangenen Jahres im Präsidium des Vereins, erhält 76,2 Prozent der gültigen Stimmen und setzt sich damit deutlich vor dem zweitplatzierten Marko Pantelic (11,2 Prozent), dem früheren Hertha-Profi, durch.

Als einfache Mitglieder wurden ins Präsidium gewählt: Ralf Thaeter und Saravanan Sundaram, die bereits zuvor dem Gremium angehört haben, sowie Knut Beyer, Niklas Lohse und Ferhat Dogru. Alle fünf erhielten bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen.

Die Entscheidung für Drescher, ohnehin der klare Favorit, ist keine allzu überraschende. Im Gegenteil. Sie hat sich im Laufe einer langwierigen und teilweise zähen Vorstellung der insgesamt fünf Kandidaten bereits abgezeichnet. Nach Dreschers Rede gibt es den größten Applaus. Ein Großteil der Mitglieder erhebt sich sogar von seinen Sitzen.

Mehr als 4000 Hertha-Mitglieder sind am Sonntag ins City Cube der Messe Berlin gekommen.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian Räppold/Matthias Koch

„Es ist eine Richtungswahl“, hat Drescher in seiner Rede gesagt. Und bei dieser Richtungswahl präsentiert er sich den Mitgliedern als der Kandidat, der den unter Bernstein eingeschlagenen Berliner Weg entschlossen fortführen will. Der Rechtsanwalt, seit 2016 Mitglied in Herthas Präsidium, war Bernsteins Stellvertreter; nach dessen Tod Anfang des Jahres hat er das Präsidentenamt kommissarisch übernommen.

Hertha befinde sich auf „einem verdammt guten Weg“, erklärt Drescher. Der Klub sei zusammengerückt, habe Vertrauen zurückgewonnen und sei auch bei der wirtschaftlichen Gesundung vorangekommen. Geschäftsführer Tom Herrich verkündet sogar: „Wir haben den Turnaround geschafft.“

Es ist so voll wie nie

Dass Herrich für das vergangene Geschäftsjahr einen Verlust von 33 Millionen Euro statt der prognostizierten 20 Millionen Euro verkünden musste, hat laut Drescher hauptsächlich buchhalterische Gründe. Das im jüngsten Geschäftsbericht ausgewiesene negative Eigenkapital von 23 Millionen Euro sei weder lizenzrelevant noch existenzbedrohend. „Wir haben ja Liquidität. Wir haben kein Liquiditätsproblem“, sagt er.

Drescher kann auch verkünden, dass die Zahl der Hertha-Mitglieder auf einen weiteren Rekordstand gestiegen ist. 58.147 sind es inzwischen. Allein seit 2022, als Kay Bernstein zum Präsidenten gewählt worden ist, sind 17.000 hinzugekommen.

58.147
Mitglieder hat Hertha BSC

Einen neuen Rekord vermeldet Versammlungsleiter Dirk Lentfer auch bei der Zahl der anwesenden Mitglieder. Mehr als 4000 sind es – so viele wie nie zuvor bei einer Mitgliederversammlung von Hertha BSC. Es ist so voll, dass viele der Anwesenden sogar am Rand stehen. „Sieht Wahnsinn von hier oben aus“, sagt Andreas „Zecke“ Neuendorf, der Direktor Lizenzspielerabteilung und Akademie, vom Podium herab.

Diese Mitgliederversammlung sprengt – zumindest für Herthas Verhältnisse – alle Dimensionen. Es ist kurz vor vier, Wolfgang Sidka, der letzte der fünf Präsidentschaftskandidaten, steht noch auf dem Podium, um Fragen aus dem Auditorium zu beantworten. Ein Mitglied meldet sich zu Wort: „Das Essen ist alle. Das finde ich scheiße.“

Als Versammlungsleiter Lentfer den Tagesordnungspunkt elf aufgerufen hat, die Wahl des neuen Präsidiums des e. V., geht ein leichtes Raunen durch den Saal. Die wilde Fahrt könne nun losgehen, sagt Lentfer.

Wild wird es in der Tat in der Folge, mal mehr, mal weniger. Zum Teil auch skurril. Präsidentschaftskandidat Olaf Brandt, der vor dem Olympiastadion eine Imbissbude betreibt, spielt zu Beginn seiner Vorstellungsrede eine fiktive Radioreportage ein, in der Hertha 2030 Deutscher Meister wird.

Ein Mitglied weist Brandt später daraufhin, dass der in dieser Reportage auftauchende Florian Niederlechner 2030 bereits 40 Jahre alt sei. Als seine Rede sich dem Ende nähert und die Sekunden auf den Videowänden herunterticken, fangen im Auditorium die Mitglieder an zu zählen: „Drei, zwei, eins, null. Hey!“

Vieles, was an diesem Tag auf dem Podium erzählt wird, ist nur schwer zu ertragen, wenn man es wirklich gut meint mit Hertha. Oder nur mit viel Humor.

Stepan Timoshin, 23 Jahre alt, hält auf der Bühne einen 50-Euro-Schein in der einen Hand und tut so, als würde er ihn mit einem Feuerzeug anzünden wollen – als Sinnbild dafür, dass Hertha viel Geld verbrenne. „Darauf habe ich keinen Bock!“, ruft er. In Richtung Interimspräsident Drescher sagt Timoshin: „Du verantwortest diese Scheiße. Du bist eine Marionette. Du musst weg.“

Das von ihm im Interview mit dem Tagesspiegel angekündigte Feuerwerk entpuppt sich dann allerdings eher als Blindgänger. Der Unternehmer, vom Boulevard als „Turnschuh-Millionär“ apostrophiert, galoppiert in einem derartigen Affentempo durch seine Rede, dass er schon eine halbe Minute vor der gewährten Redezeit von fünf Minuten fertig ist. Der Applaus fällt denkbar dünn aus.

Danach melden sich die Mitglieder zu Wort. Timoshin muss sich mit Blick auf seine Angriffe auf die bisherige Klubführung anhören: „Sie haben dem Verein schweren Schaden zugefügt. Das ist vereinsschädigend.“ Ein Lob bekommt Timoshin nur von Versammlungsleiter Lentfer: „Sie haben ja die Zeit gar nicht aufgebraucht. Klasse. Super.“ Wie so oft spricht Lentfer den Mitgliedern damit aus der Seele.

Wie Timoshin versucht auch Uwe Dinnebier seine wirtschaftliche Kompetenz als Unternehmer auszuspielen. Er hat einen verschlossenen Umschlag dabei, den er Versammlungsleiter Lentfer nach seiner Rede überreicht. Darin die Namen und Zusagen von Berliner Unternehmen, die den Verein unterstützen wollen. „Wir reden über 50 bis 100 Millionen Euro“, sagt Dinnebier. Die Stimmung ihm gegenüber im Saal ist allerdings eher skeptisch bis feindselig. Das Ergebnis der Abstimmung spricht am Ende für sich.

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