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Thomas Müller (rechts) und Jerome Boateng sind offenbar Vertreter zweier Gruppen im Nationalteam.

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Update

Deutsche Nationalmannschaft: Die Nationalspieler, die sich "Kanaken" nannten

In der deutschen Nationalmannschaft gibt es offenbar zwei große Gruppen. Dieses Problem muss Joachim Löw bei seiner WM-Analyse in den Griff bekommen.

Joachim Löw in München, Joachim Löw in Düsseldorf, Joachim Löw in Mönchengladbach. Am ersten Bundesliga-Wochenende der neuen Saison besuchte der Bundestrainer rekordverdächtige drei Spielen in 22 Stunden. An diesem Montag trifft er sich zum letzten Feinschliff der WM-Analyse wieder mit seinen Assistenten in München.

„Viele frische Eindrücke“ werde Löw sammeln, hatte Reinhard Grindel gesagt. Der DFB-Präsident wollte zum Liga-Start rechtfertigen, dass die Fans noch bis Mittwoch warten müssen, bis der entthronte Weltmeister-Trainer erst mehrere Tage nach den Verbands-Funktionären auch der Öffentlichkeit sein Maßnahmen-Paket zum Neustart nach dem WM-Desaster präsentiert.

Dass Löw bei der Analyse des Turniers auch vor allem die Grüppchenbildung innerhalb der Nationalmannschaft in den Blick nehmen muss, wird nach einem "Spiegel"-Artikel zum Innenleben des Teams immer deutlicher. So zitiert das Magazin einen Insider, laut dem es in der Nationalmannschaft vor allem zwei Gruppen geben soll: "Vereinfacht gesagt, geht es um den Unterschied zwischen Kanaken, wie sie sich selbst nennen, und Deutschen." Zu der Gruppe der Spieler mit Migrationshintergrund gehören Jerome Boateng, Antonio Rüdiger, Leroy Sané, Mesut Özil und Ilkay Gündogan - doch auch Julian Draxler soll sich laut Spiegel zu dieser Gruppe "hingezogen" fühlen.

Die Hierarchie bei der Nationalmannschaft ist wohl so flach, dass alle machen, was sie wollen. Lahm hatte wohl Recht, als er eine Änderung des Führungsstils anmahnte. 

schreibt NutzerIn daemmi

Zu den "typischen Deutschen" gehören Mats Hummels und Thomas Müller. Über deren gelegentlich spießig erscheinenden Lebensstil sollen sich die Spieler mit Migrationshintergrund manchmal auch lustig gemacht haben und die andere Gruppe spaßeshalber auch schon mal als „Kartoffeln“ bezeichnet haben.

Auf Nachfrage der "Bild"-Zeitung verneinte DFB-Präsident Grindel, von dieser Grüppchenbildung gewusst zu haben und auch von Löw nichts dazu gehört zu haben. Grindel will darüber nun mit dem Mannschaftsrat des Nationalteams sprechen, direkt vor dem Länderspiel am 6. September gegen Frankreich in München.

Das Thema Teamgeist ist für Löw unabhängig des Wahrheits- oder Relevanzgehaltes der aktuellen Schlagzeilen von Bedeutung. Denn in den Medien wird die spekulative Spurensuche nach den Gründen für das WM-Aus unvermindert weitergehen, auch weil Löw aus seiner WM-Analyse bis zum Mittwoch für die Öffentlichkeit weiter ein großes Geheimnis macht.

Nach der sommerlichen Dauerdebatte um die Erdogan-Fotos von Özil und Ilkay Gündogan, zu der sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem ARD-Sommerinterview am Wochenende befragt wurde, geht es beim Nationalteam schon wieder um die gesellschaftlich brisante Frage, was es heißt, ein deutscher Fußball-Nationalspieler zu sein.

Löw scheint das Gefühl für das Klima im Team abhandengekommen sein

„Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob das mit dem Foto richtig oder falsch war, aber die Diskussion und die Art der Diskussion, die sich hinterher angeschlossen hat, die hat mir zum Teil überhaupt nicht gefallen, und da habe ich mich auch sehr darauf ausgerichtet“, sagte Merkel und sprach damit womöglich auch Löw, der sich zur Causa Özil immer noch nicht öffentlich äußerte, aus dem Herzen.

DFB-Chef Grindel hingegen dürfte die Worte seiner CDU-Parteikollegin auch als Kritik an seinem Umgang mit dem komplexen Thema verstehen. „Wir müssen uns um das Empfinden derjenigen, die betroffen sind, kümmern. Wenn uns jemand mit Migrationshintergrund, ob das jetzt Özil ist oder jemand anderes ist, sagt, ich fühle mich nicht richtig behandelt in dieser Gesellschaft, dann muss ich es zumindest ernst nehmen und mich darüber unterhalten“, sagte die Kanzlerin.

Die Debatte um „Kanaken“ und „Kartoffeln“, wie sich die Nationalspieler untereinander oder auch selbst, bierernst oder doch nur im Scherz bezeichnet haben sollen, trifft höchstens einen Randaspekt der Zersplitterung des gescheiterten Titelverteidigers in Russland. Während des Turniers wurde vielmehr über Konflikte zwischen den Fraktionen der 2014-Weltmeister und der Confed-Cup-Sieger 2017 - also zwischen Jung und Alt - debattiert. „Es gibt keine Gruppen, hier die Weltmeister, hier Confed-Cup-Sieger“, versicherte Kapitän Manuel Neuer während des Turniers.

Löws abhandengekommenes Gespür für das Binnenklima im DFB-Team wurde schon vielfach als Aspekt für das WM-Scheitern thematisiert. Auch auf diese Frage wird sich der Bundestrainer einstellen müssen, wenn er am Mittwoch in München seine WM-Konsequenzen und den Kader für die September-Spiele bei einer großen Pressekonferenz vorstellt. Löw war immer besonders stolz darauf, dass unter seiner Führung im DFB-Trikot Herkunft keine Rolle spielt, die Nationalmannschaft zum Stilbild der gelungenen Integration wurde.

Beim WM-Sieg 2014 hatte der Bundestrainer vorab mögliche Dissonanzen gespürt und im mittlerweile zur Titel-Wiege verklärten Campo Bahia gezielt Wohngemeinschaften gebildet, um ein Wir-Gefühl zu erzeugen. Damals waren die Konfliktlinien nicht schwarz und weiß, sondern rot und schwarz-gelb. Münchner und Dortmunder mussten zusammengeführt werden. Der Ur-Borusse Kevin Großkreutz wurde zum Beispiel gezielt ins Appartement des Ur-Bayern Bastian Schweinsteiger gesteckt.

Der am Montag mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnete Schweinsteiger traut dem Bundestrainer zu, die richtigen Schlüsse aus dem WM-Desaster zu ziehen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Löw die Qualitäten hat, um die richtigen Entscheidungen zu treffen und die richtigen Änderungen zu machen. Dafür ist er der richtige Mann.“ (Tsp/dpa)

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