
© Clive Brunskill/AFP
Streit um Länderspiele in Pandemiezeiten: Die Bedenken der Klubs sind verständlich, aber heuchlerisch
Einige Klubs wollen ihre Nationalspieler wegen der Infektionsgefahr nicht für Länderspiele abstellen, weichen im Europapokal aber selbst in Risikogebiete aus.
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Irgendwann ist die ganze Herumreiserei auch den Fußballklubs zu viel in Coronazeiten wie diesen. Zumindest dann, wenn sie ihre Nationalspieler abstellen sollen. Der Profifußball, der dank der Unterstützung der Politik bislang sehr sanft gefallen ist in der Pandemie, geriert sich plötzlich als Mahner.
Peter Bosz zum Beispiel, der mehr und mehr glücklose Trainer von Bayer Leverkusen, sagt jetzt, dass er „ein bisschen Angst“ habe, wenn seine Spieler auf Reisen gehen würden. Und Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc hat nun „als Vereinsfunktionär (...) ein leicht ungutes Bauchgefühl, weil es in der Vergangenheit die ein oder andere Infektion in Verbindung mit Länderspiel-Reisen gab“.
Die vorsichtigen Töne aus der Welt des Profifußballs in Sachen Coronavirus sind gewöhnungsbedürftig. Weil sie überhaupt nicht zu den vergangenen Wochen und Monaten passen, als die Klubs keine Probleme damit hatten, quer durch den Kontinent zu fliegen, um diverse Europapokalbegegnungen auszutragen. Aber nun liegt der Fall anders.
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Länderspielabstellungen sind für die Klubs seit jeher ein Graus. Für eine verhältnismäßig geringe Abstellgebühr sind die Spieler der Klubs für ihre Nationalmannschaften aktiv. Oft kommen die Spieler müde oder – schlimmer noch – verletzt zurück. Kurz: Länderspiele sind die natürlichen Feinde der Klubs. Potenziert wird das schwierige Verhältnis in der Coronavirus-Pandemie. Nun kann im schlimmsten Fall ein infizierter Spieler eine ganze Mannschaft lahmlegen. Hinzu kommt, dass Abstellungen zu Spielen in Risikogebieten Quarantänemaßnahmen nach sich ziehen.
Daher verwundert es nicht, dass einige Klubs ihre Spieler eben nicht zu den vielen WM-Qualifikationsspielen Ende März abstellen wollen. „Es ergibt keinen Sinn, zur Nationalmannschaft zu reisen und dann zehn Tage in Quarantäne zu gehen. Wir investieren viel Zeit, Mühe und Geld. Wenn dann sechs, sieben Spieler so lange ausfallen – das ergibt keinen Sinn“, wurde jüngst Trainer Pep Guardiola von Manchester City zitiert. Sein Trainerkollege Jürgen Klopp vom FC Liverpool, sprach davon, dass man sich eingestehen müsse, dass die Spieler von den Vereinen bezahlt würden. „Also bedeutet das, dass wir die oberste Priorität genießen müssen.“ Die Aussage von Klopp war so arrogant wie ehrlich – und offenbar wirkungsvoll: Der südamerikanische Verband Conmebol, dessen Spieler in großer Zahl in der Premier League aktiv sind, sagte kurz entschlossen alle Spiele ab. Doch noch immer werden hunderte Spieler durch die Welt fliegen.
Bereits bei den Länderspielen im vergangenen Jahr hatte es in der Bundesliga zahlreiche Corona-Fälle gegeben. Die Infektionen der Hoffenheimer Andrej Kramaric und Kasim Adams, der Leipziger Amadou Haidara und Hee-chan Hwang, von Leverkusens Edmond Tapsoba sowie von Wolfsburgs Marin Pongracic wurden mit Länderspiel-Reisen im Oktober und November in Verbindung gebracht.
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Arminia Bielefeld etwa hat nur wenige Nationalspieler, aber Trainer Frank Kramer spricht vielen aus der Seele. „Ich stehe der Sache sehr kritisch gegenüber. Wir schicken die Spieler in aller Herren Länder, in denen die Vorkehrungen, Hygienemaßnahmen und Strukturen völlig anders sind“, sagte der 48-Jährige. Und Klopp stützt die These der Ungewissheit: „Immer wenn jemand die Blase verlassen musste, gab es nach der Länderspielpause mehr Fälle als vorher.“
Die Bedenken der Klub-Angestellten erscheinen nur allzu verständlich. Aber sie sind auch heuchlerisch. Eigeninteressen diktieren letztlich den Umgang der Profiklubs mit dem Thema Corona. So umfliegen Europas Klubs die Corona-Regeln in ihren jeweiligen Ländern. Verbieten nationale Regierungen die Einreisen von Teams, dann wird das Spiel an neutralen Orten ausgetragen.
Das mag rechtlich im Rahmen sein, doch gerade jetzt, wo überall empfohlen wird, möglichst wenig zu reisen, stößt das auf Unverständnis – zumal es zu bizarren Konstellationen kommt: Die Ausweichvariante Budapest, wo nun auch Borussia Mönchengladbach am Dienstag gegen Manchester City antritt, ist vom Robert Koch-Institut nicht als Virusvarianten-Gebiet, sondern seit dem 7. März als Hochinzidenzgebiet eingestuft. Bei diesen kann eine fünftägige Isolation nach negativen Testbefunden ausreichen. Ums Stadion von Manchester City liegt ein Inzidenzwert von um die 90 vor, in Budapest von etwa 670. (mit dpa)
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