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Marco Reus fand gegen Nordirland kaum ins Spiel.

© Imago/Schüler

Ein Zitterspiel nach dem anderen: Die EM-Qualifikation zeigt ein grundlegendes Problem der DFB-Elf

Die Perspektive des deutschen Teams sieht gut aus, aber nicht so gut wie oft angenommen. Es gibt aktuell aktuell keinen Spieler von Weltklasseformat

Kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit im Windsor Park wird sich so mancher deutscher Fußballfan an die WM in Russland erinnert haben. Die neuformierte deutsche Elf rumpelte vor sich hin, nur mit Glück war sie gegen biedere Nordiren nicht in Rückstand geraten. Von der Seitenlinie kam jedenfalls keine Hilfe. Joachim Löw saß wie eingeschnappt auf seiner Trainerbank. Er wirkte verärgert und hilflos – geradezu so wie beim WM-Auftaktspiel im vorigen Sommer. Damals sah Löw tatenlos zu, wie seine Mannschaft, immerhin die des Titelverteidigers, von Außenseiter Mexiko mit einer billigen Taktik übertölpelt wurde. Noch nie hatte Mexiko bei einer WM Deutschland schlagen können.

Der Absturz der einstigen Weltmeistermannschaft und ihres Weltmeistertrainers liegt etwas mehr als ein Jahr zurück. Passiert ist in der Zwischenzeit nicht so wahnsinnig viel. Die desolaten WM-Leistungen setzten sich im vorigen Herbst in der Nations League fort, das deutsche Team stieg als Gruppenletzter aus der A-Kategorie ab. Löw hatte einfach da weitergemacht, wo er bei der WM aufgehört hatte. Er hielt am alten Stil wie am alten Personal fest.

Weder die Leistungen der ermüdeten Mannschaft noch des abgehobenen Trainers entsprachen den Erfordernissen des modernen Fußballs mehr. Erst im Frühjahr dieses Jahres machte Löw halbwegs ernst mit der Erneuerung, er warf Spieler wie Hummels, Boateng und Müller aus der Mannschaft, weil es ihn sonst vermutlich weggespült hätte.

Bis heute, nach vier Siegen in fünf EM-Qualifikationsspielen, bleibt vieles fragil. Weder konnte Löw den Beweis erbringen, dass er der Richtige für den Umbruch und Aufschwung ist. Noch hat die Mannschaft gezeigt, dass sie in absehbarer Zeit wieder zur Weltspitze gehören kann. Genau das aber haben Löw und Oliver Bierhoff als Ziel ausgegeben.

Doch davon ist die DFB-Auswahl weiter entfernt als intern angenommen. „Ich würde nicht sagen, dass wir wie zwischen 2010 und 2018 garantiert zu den Top vier gehören“, sagte Direktor Bierhoff neulich und fügte etwas kryptisch an: „Irgendwie gehören wir auch noch dazu mit unserer technischen und taktischen Qualität.“

Klar ist, dass Potenzial in der Mannschaft von Joachim Löw steckt

Ist das wirklich so? Die beiden zurückliegenden Spiele, das 2:4 in Hamburg gegen Holland, aber auch der Wackelsieg in Belfast sprechen nicht dafür. Man muss leider sagen, dass sowohl die Ausrichtung der Mannschaft als auch deren Umsetzung derzeit kein Weltformat haben.

Vor allem die merkwürdige Angsthasentaktik gegen Holland hat nicht nur die guten Eindrücke vom März-Sieg über Holland geschluckt, sondern auch wieder alte Zweifel aufkommen lassen. Löw bittet um Nachsicht. „Der Weg in die Spitze ist kein einfaches Unterfangen“, sagte er in der Nacht von Belfast. Man befinde sich in einem Prozess, das alles gelinge nicht von heute auf morgen.

Aber das hat auch keiner verlangt, wenn denn wenigstens die Basics stimmen würden. Wille, Mut und Leidenschaft fehlten gegen Holland und das Spiel in Nordirland zeigte, wie leicht die neuformierte deutsche Mannschaft in Kalamitäten zu bringen ist. So kann der Weg zurück in die Weltspitze nicht aussehen. Vielleicht gelingt es der jungen Mannschaft unter dem alten Trainer auch nicht mehr. Das wäre auch gar nicht schlimm, nur sollte es einfach mal akzeptiert werden. Deutschland liegt in der Weltrangliste auf Platz 15. Das entspricht wohl ziemlich gut dem tatsächlichen Vermögen.

Im deutschen Kader gibt es aktuell keinen Spieler, auf den das Prädikat Weltklasse zutrifft. Manuel Neuer und Toni Kroos, die beiden übrig gebliebenen Weltmeisterstammspieler, waren es einmal. An guten Tagen können sie es auch noch heute sein. Und von den vielen nachrückenden Talente trägt längst nicht jeder das Vermögen in sich, Weltklasse zu werden. Am ehesten noch Leroy Sané. Noch vor einem Jahr befand ihn Löw für die WM als nicht gut genug. Inzwischen schmerzt sein Ausfall. Und dann wäre da noch Kai Havertz. Der 20 Jahre alte Leverkusener sollte es ins oberste Regal des Weltfußballs schaffen.

Niemand muss sich dafür schämen, wenn es am Ende nicht für die absolute Weltklasse reicht. Selbst im Fußballland Deutschland ist nicht jede Generation reich gesegnet mit größter Begabung.

Marco Reus, ein wirklich guter Fußballer, hat neulich etwas in eigener Sache erzählt. Auf die Frage, ob er bei der kommenden EM nicht eine der prägenden Figuren werden wolle, antwortete er ausweichend. So viele Turniere werden für ihn nicht mehr kommen. Reus ist mit 30 Jahren der älteste deutsche Feldspieler im Auswahlkader. Bis hierhin hat der Dortmunder Offensivspieler einige Turniere verletzungsbedingt verpasst, andererseits hat er seine Klasse noch nie im Nationaldress unter Beweis stellen können. Gegen Holland und Nordirland blieb er blass. Er wird den deutschen Fußball nicht zurück in die Weltspitze führen.

Die Perspektive des deutschen Teams sieht gut aus, aber nicht so gut wie vielleicht angenommen.

Joachim Löw hat neulich von sich aus einen Vergleich zu dem Team von vor zehn Jahren gezogen. Eine Mannschaft, die zur Hälfte aus den U-21-Europameistern von 2009 bestand, aus Neuer, Boateng, Khedira und Özil. Bei der WM 2010 sorgten sie sie mit einem erfrischenden Offensivfußball für Furore. 2014 holten sie den WM-Titel.

Ist aber ein solcher Vergleich zulässig? Klar ist, dass Potenzial in der Mannschaft steckt. Aber wie weit kann es jeden Einzelnen und die Gruppe tragen? Wird ein Kimmich so gut wie Lahm oder Schweinsteiger es waren? Erreichen Tah, Ginter und Süle je das Format von Hummels und Boateng? Können Brandt oder Goretzka Künstler wie Özil oder Sonderlinge wie Müller vergessen machen? Von einem Klose mal ganz zu schweigen. Einen solchen Stürmertypen gibt es derzeit gar nicht. Serge Gnabry ist von den deutschen Stürmern noch am stärksten. Im Unterschied zu Reus und Werner funktioniert er nicht nur im Klubtrikot sondern auch in der Nationalmannschaft.

Und so bleibt ein Jahr nach dem WM-Desaster weiterhin die wichtigste Frage offen. Kann der Bundestrainer sich neu erfinden und die sich im Umbruch befindende Mannschaft wieder nach oben führen? Diejenigen, die das bezweifeln, werden nicht weniger.

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