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Den BMX-Fahrer im Blick, den Biergarten im Rücken. Die European Championships wollten den Zuschauern nah sein. Die Sportler genossen das.

© imago/Mis

Erster Platz für Deutschland im Medaillenspiegel: Die Multi-EM war ein sportliches Volksfest

Die European Championships sind vorbei. Sie waren ein Erfolg für die deutschen Athleten, das Fernsehen und die Stadt München.

Was sind die Bilder aus deutscher Sicht, die geblieben sind von den European Championships? Oder das eine Bild, das es auf das Cover des Rückblicks schaffen wird? Es böte sich die Sprinterin Gina Lückenkemper an, wie sie auf der Tartanbahn sitzt und Freudentränen weint? Oder die Läuferin Konstanze Klosterhalfen, wie sie mit einer Deutschland-Flagge in der Hand eine Ehrenrunde läuft. Es gäbe aber noch viele andere, die jubelnde Bahnradfahrerin Emma Hinze etwa, den stählernen Kanuten Sebastian Brendel, die Turnerin Elisabeth Seitz und, und, und.

Sicher ist, die European Championships, wie die gebündelten Europameisterschaften aus neun Sportarten offiziell heißen, waren ein voller sportlicher Erfolg. Besonders aus deutscher Perspektive. Die deutschen Sportlerinnen und Sportler lagen am Ende nach 176 Entscheidungen mit 26 gewonnenen Goldmedaillen und 60 gewonnenen Medaillen insgesamt auf dem ersten Platz im Medaillenspiegel.

Sportnation Deutschland, davon war im Zusammenhang mit den olympischen Disziplinen lange nichts mehr zu hören. Im Gegenteil, gerade in der olympischen Kernsportart Leichtathletik waren die Deutschen abgehängt worden – erst vor wenigen Wochen bei der WM in Eugene im US-Bundesstaat Oregon. Der Deutsche Leichtathletik-Verband war mit 80 Athletinnen und Athleten angereist und gewann mickrige zwei Medaillen.

Als die Zeitungsredaktionen hierzulande passende Bilder für das Ergebnis in Eugene aussuchten, wählten sie häufig ein Foto vom Hindernislauf der Frauen. Es zeigte die Deutsche Lea Meyer kopfüber im Wassergraben. Das Foto stand stellvertretend für das Debakel des deutschen Verbandes.

Jene Lea Meyer konnte am Samstagabend ihre Tränen nicht zurückhalten, vor Freude. Die 24-Jährige lief im Münchner Olympiastadion über 3000 Meter Hindernis das Rennen ihres Lebens, verbesserte ihre persönliche Bestleistung um zehn Sekunden und wurde völlig überraschend Zweite.

Dabei hatte sie viele Rückschläge einstecken müssen, nicht nur den Sturz bei der WM, sondern viel härtere. Ihr Trainer Henning von Papen war Anfang des Jahres gestorben. Und nur wenige Wochen vor der WM infizierte sie sich auch noch mit Corona, konnte kaum trainieren. Ihr Ziel war der Einzug ins Finale. Am Ende wurde es also Silber.

Die Erwartungen waren niedrig, die Euphorie dann umso größer

Überhaupt war von den deutschen Athleten wenig erwartet worden – weshalb die Ergebnisse umso euphorischer gefeiert wurden. Es ging schon los am ersten Wettkampftag der Leichtathletik. Der Marathonläufer Richard Ringer, den kaum jemand auf der Rechnung hatte, legte auf der Ludwigstraße in der Münchner Innenstadt einen famosen Endspurt hin und gewann als erster Deutscher Marathon-Gold.

Einen Tag später folgte ein fast schon magischer Abend für die Leichtathletik. Der Zehnkämpfer Niklas Kaul brachte das Olympiastadion zum Beben, als er im abschließenden 1500-Meter-Lauf alleine seine Runden zog und sich die Goldmedaille sicherte. Kaul galt zwei Disziplinen vor Schluss schon als abgeschlagen.

Wenig später spurtete dann Gina Lückenkemper über 100 Meter zum Sieg. Auch damit hatte kein Mensch gerechnet. Ähnlich war es zwei Tage später, als die zuletzt etwas formschwache Konstanze Klosterhalfen die Favoritin Yasemin Can über 5000 Meter besiegte. Und am Sonntag, dem krönenden Abschlusstag, holten der Speerwerfer Julian Weber und die Frauen-Staffel über 100 Meter Gold. Es sprangen etliche Medaillen heraus, mit denen nicht einmal geliebäugelt worden war. Das nicht nur in der Leichtathletik.

Ein Erfolg waren die Spiele auch für das Fernsehen. Die Quoten waren herausragend. Am Samstagabend toppte die Leichtathletik in absoluten Zahlen sogar den König Fußball. 4,5 Millionen Menschen sahen sich die Leichtathletik-Wettbewerbe an. Die Sportschau in der ARD mit Fußball verfolgten nur 3,41 Millionen Interessierte. Am Mittag hatten die Sendungen von dem Multisportevent bis zu zwei Millionen Zuschauer eingeschaltet.

Das Kalkül der Macher der European Championships ist aufgegangen. Die Multi-EM ist eine Geburt des Fernsehens. Das Format schnell aufeinanderfolgender Entscheidungen hat sich bewährt, Wochenende für Wochenende im Wintersport, und alle zwei Jahre bei Olympischen Spielen.

Ein fast schon anti-olympisches Event

Mit Olympia hatten die Wettbewerbe in der bayrischen Landeshauptstadt aber herzlich wenig zu tun – was sie so atmosphärisch machte. Die European Championships glichen eher einem Volksfest oder – wer sich im Olympiapark befand – einem Festival. Dort saßen Tag für Tag Tausende Besucherinnen und Besucher, die vermutlich mit Sport gar nicht so viel am Hut haben, und lauschten den Bands und anderen Acts des Nebenprogramms – im Übrigen alles kostenlos. Es wurde Bier getrunken und geraucht. Hin und wieder wehte sogar ein Cannabiswölkchen zu einem herüber.

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Sicher, auch die Veranstaltung in München musste finanziert werden. Die Tickets, speziell für die Leichtathletik, hatten ihren Preis und vergrätzten einige Zuschauer. Aber mit Olympia war das Setting nicht zu vergleichen. Im Gegenteil, die Spiele in München waren ein Stück weit anti-olympisch.

Schon allein deshalb, weil sie auf einem Grund stattfanden, auf den nicht groß gebaut werden musste. Millionen- und Milliardeninvestitionen waren nicht nötig. Die Münchner nutzten den für die Sommerspiele 1972 errichteten Olympiapark. Und wenn es hakte, wie bei der inzwischen zu kleinen Münchner Olympia-Schwimmhalle, wurde nicht teuer gebaut. Sondern die Wettbewerbe im Schwimmen einfach nach Rom vergeben, wo man sich darüber freute.

„Es ist grandios, wie gut eine Großveranstaltung aufgenommen werden kann, wenn sie richtig aufgezogen ist“, sagte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter am Sonntag. „Die positive Stimmung hat sich in der ganzen Stadt verbreitet.“ Derlei Lobeshymnen sind nicht neu am Ende von sportlichen Großveranstaltungen. Nicht immer sind sie gerechtfertigt. Dieses Mal aber schon.

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