zum Hauptinhalt
Martina Willing im Pariser Stade de France.

© IMAGO/Beautiful Sports

„Die Mutter der Kompanie“: Martina Willing über ihre zehnten Paralympics

Mit ihren 64 Jahren geht Martina Willing schon ihr halbes Leben lang bei den Paralympischen Spielen an den Start. An ihre vergangenen Spiele erinnert sie sich gerne.

Von Anna von Gymnich

Stand:

Martina Willing nimmt seit 32 Jahren an Paralympischen Spielen teil – und damit ihr halbes Leben lang. Die ersten Paralympics, an denen die heute 64-Jährige teilnahm, waren die Spiele in Barcelona 1992.

Seither hat sie an allen Sommerspielen teilgenommen – und 1994 in Lillehammer sogar an Winter Paralympics. Zu den Erfolgen der Leichtathletin gehören drei paralympische Medaillen und fünf Weltmeistertitel. Die 64-Jährige, die eine Sehbehinderung hat und querschnittgelähmt ist, wurde in Paris im Speerwurf Sechste.

Die Spiele in Paris sind Ihre zehnten Paralympics. Wie war diese Erfahrung für Sie und wie haben Sie sich dabei gefühlt?
Es ist toll hier zu sein, gerade nach Tokio. Die Paralympics 2021 waren von Corona geprägt und nicht so, wie wir uns das alle gewünscht hatten. Es gab keine Zuschauer, sodass wir selbst Stimmung machen mussten. Verglichen damit ist das hier natürlich der absolute Kracher. Ich freue mich riesig, dass ich nominiert wurde und das nochmal machen darf. Zehn Paralympics, das ist schon eine Nummer. 

Sie wurden in Paris Sechste. Wie war der Wettkampf für Sie?
Natürlich kann ich nicht mehr ganz vorne mitspielen. Aber sie mussten immerhin fünf Frauen ranschaffen, um mich zu schlagen! Mein Ziel war es, Achte zu werden und den Endkampf zu erreichen. Jetzt ist es sogar Platz sechs geworden. Ich bin aber einen Meter unter meiner eigentlichen Weite geblieben. Ich musste mit einer anderen Rückenlehne antreten als ich gewohnt war. Die, mit der ich normalerweise trainiere, wurde in der Materialkontrolle nicht abgenommen. Das war natürlich ungewohnt für mich und ich musste ein wenig improvisieren. Ich denke, dass ich da meinen Meter gelassen habe. Wenn ich aber überlege, dass die Mehrzahl der Teilnehmerinnen mehr als 30, 35 Jahre jünger sind als ich, bin ich absolut zufrieden.

Ihre ersten Paralympischen Spiele waren 1992 in Barcelona. Können Sie sich daran noch gut erinnern?
Sogar sehr genau. Wenn man als Sportlerin das ganze Stadion für sich hat und man schon während des Einwerfens über den Weltrekord wirft, dann vergisst man das nicht. In diesem Wettkampf habe ich dann dreimal den Weltrekord verbessert. Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. In Barcelona war die Stimmung großartig. Das sind Dinge, die vergisst man nicht. Die Spanier sind in ihrer Stimmung auch ein wenig temperamentvoller als die Franzosen gewesen. Da wurde man überall angehalten und nach Fotos und Autogrammen gefragt. Das ist hier in Paris nicht ganz so. Alle Spiele, an denen ich teilgenommen habe, waren auf ihre eigene Art und Weise schön. Obwohl ich Tokio aufgrund der Corona-Situation ausklammern würde. 

Haben Sie einen Favoriten unter den zehn Spielen?
Am zweitschlechtesten nach Tokio waren die Spiele in Atlanta 1996. Wir sind da angereist und hatten das Gefühl, dass uns die Veranstalter vergessen hatten. Die waren schon mit dem Abbau beschäftigt! Einen Favoriten kann ich nicht auswählen, da bin ich überfragt. Aber Barcelona, Peking, London, Paris sind alle auf einem Level, da ich mich an alle gleich gerne erinnere. 

Die Paralympischen Spiele 2012 in London waren ja eine Art Durchbruch für das Sportevent. Der Behindertensport bekam auf einmal viel mehr Aufmerksamkeit. Können Sie sich an Veränderungen erinnern, die Sie als Athletin mitbekommen haben?
In London gab es einen großen olympischen Park, in dem man neben den Wettkämpfen und Trainingseinheiten sehr viel Zeit mit den Briten vor Ort verbringen konnte. Das hatte man vorher kaum. Diese Face-to-Face-Zeit hatte ihren ganz eigenen Flair. 

Sind Sie bei Ihren zehnten Spielen denn immer noch nervös?
Man hat immer noch das Kribbeln. Das ist nicht mehr dieses Adrenalin, aber man ist immer noch sehr freudig erregt vorher. Sicher macht es einen Unterschied, ob man weiß, dass man um Medaillen kämpfen kann oder ob man sich sagt: „Ich will hier rausgehen und als alte Schachtel den jungen Dingern zeigen, dass es noch geht.“ Jetzt bin ich auch mehr dafür da, den jüngeren Kollegen und Kolleginnen ein bisschen Ruhe zu spenden. Ich bin hier die Mutter der Kompanie. Mein Wettkampf ist jetzt durch, also bin ich ab jetzt für die anderen da. 

Zehn Paralympics, das ist schon eine Nummer.

Martina Willing

Dies waren Ihre letzten Paralympics. Wie geht es für Sie denn jetzt weiter?
Jetzt schaue ich, ob ich nächstes Jahr noch mit zur Weltmeisterschaft darf. Das würde ich noch gerne machen. Erstmal muss ich aber etwas an meinem Stuhl ändern. Ich habe schon eine Idee, brauche aber noch jemanden, der das umsetzt. Sowas wie gestern darf nicht nochmal passieren.

Sie haben über Jahre die Entwicklung der Paralympischen Spiele hautnah mitbekommen. Gibt es ihrer Meinung nach Bereiche, in denen noch viel Entwicklungspotenzial existiert?
Es gibt vor allem bei den großen Wettkämpfen noch viel Luft nach oben. Ich werde immer gefragt, inwiefern Doping bei uns eine Rolle spielt – bei uns ist aber die technische Ausweitung relevant. Ich wünsche mir, dass man da ein bisschen mit dem Regelwerk. Es sollte so sein wie beim Kanufahren: Dort gestaltet jeder das eigene Boot so, dass man das optimale aus dem eignen Körper rausholen kann. So sollte es auch bei den Wurfdisziplinen sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })