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Dr. Hussy wünscht sich eine Halbzeit eines Rollstuhlbasketballspiels zur Prime Time.

© Imago

Der DGUV-Hauptgeschäftsführer im Interview: „Eine Stunde Para-Sport bei Joko und Klaas – das wäre toll“

Dr. Stefan Hussy über die Arbeit der Gesetzlichen Unfallversicherung, mentale Gesundheit im Arbeitsschutz und seine Lieblingssportart.

Stand:

Herr Dr. Hussy, Studierende, Schülerinnen und Schüler oder Beschäftigte bei Institutionen und Firmen sind automatisch gesetzlich unfallversichert. Wieso scheinen viele Menschen das nicht zu wissen?

Es hat wahrscheinlich ganz einfach den Grund, dass man bei einer Unfallkasse oder einer Berufsgenossenschaft keine Mitgliedschaft unterschreiben und als versicherte Person auch nichts selbst zahlen muss. Man sieht also keine Abbuchungen vom eigenen Konto wie bei der Krankenversicherung oder Rentenversicherung. So bekommen die Menschen meistens erst mit, dass sie bei uns versichert sind, wenn es zu einem Unfall gekommen ist. Im Regelfall haben sie dann Kontakt zu Ihrem Unfallversicherungsträger. Ich wusste das als Student übrigens auch nicht.

Sie haben als Ingenieur promoviert. Wie sind Sie eigentlich zur Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gekommen? 

Ich war insgesamt acht Jahre in der Stahlindustrie tätig. Das ist ein gefährlicher Bereich. Wenn Stahl erzeugt wird, hat man Temperaturen von 1650 °C. Der Stahl ist flüssig, es ist heiß und laut. Als ich Betriebsleiter war, gab es da mal einen schweren Arbeitsunfall. Der Mitarbeiter wurde sehr schnell und gut versorgt. Als ich ihn kurz darauf besucht habe, stellte ich fest, dass die Berufsgenossenschaft schon da gewesen war und mit ihm über die Rehabilitationsmöglichkeiten gesprochen hatte. Das hat mich beeindruckt. Später war ich mal bei einem Führungskräfteseminar der Berufsgenossenschaft. Die suchten gerade Technische Aufsichtsbeamte, und da habe ich mich beworben. Das war mein Einstieg in die Welt der Unfallversicherung. Die meisten Aufsichtspersonen sind Ingenieure, Naturwissenschaftler, mittlerweile aber auch verstärkt Psychologen oder Sportwissenschaftler.

In der Rehabilitation hat der Sport eine wichtige Funktion. Die Mehrheit der Menschen mit Behinderung sagt jedoch, dass sie sich nicht sportlich betätigt. Wie könnte man die Menschen stärker motivieren?

Auf direktem Weg können wir nur einen kleinen Teil ansprechen. Das sind die Menschen, die einen Unfall im Rahmen der beruflichen Tätigkeit oder als Schüler und Studierende hatten. Da klappt das auch relativ gut, sie werden gleich in unseren Berufsgenossenschaftlichen Kliniken an den Sport herangeführt im Rahmen ihrer Rehabilitation.  Für Menschen, die nicht im beruflichen Kontext erkranken – also die Mehrheit – sind die Krankenkassen zuständig. Wir versuchen gerade verstärkt eine Kooperationen aufzubauen, damit die Krankenkassen und die Rentenversicherungen das ebenfalls noch stärker propagieren.

Die DGUV engagiert sich auch im Para-Leistungssport. Können Sie sich noch an Ihr erstes Erlebnis erinnern?

Das war bei der Rollstuhl-Basketball WM 2018 in Hamburg. Ich war einfach begeistert, wie die dort gespielt haben. Emotion pur. In diesem ersten Spiel, das ich erleben durfte, hatte ich den Eindruck, dass es da manchmal ganz schön ruppig zugeht. Ich habe mir dann gleich noch ein zweites Match angeschaut. Dort konnte ich dann sehen, dass hier zwar mit vollem Einsatz gespielt wird, der Umgang der Mannschaften miteinander aber sportlich sehr fair ist.

Die DGUV initiiert Projekte wie den German Paralympics Media Award oder die Paralympics Zeitung in Kooperation mit dem Tagesspiegel. Wie ist dieser Bezug zum Behindertensport entstanden?

In der Paralympics Zeitung geht es zwar primär um den Spitzensport, aber das ist nur ein Aspekt unseres Engagements. Der Tagesspiegel berichtet dort auch über die Hintergründe des Sports und Themen aus dem Reha- und Breitensport. Viele Menschen müssen nach einem schweren Unfall erst wieder einen Zugang zu körperlicher Bewegung finden und ihre eigene Bewegungsfähigkeit wiedererlangen. Dazu brauchen sie Motivation. Daher können Spitzenathletinnen und -athleten durch ihre persönliche Geschichte oft dazu beitragen, diese Motivation herzustellen. Sie sind Vorbilder. Ein Projekt wie die Paralympics Zeitung trägt dazu bei, dies zu verdeutlichen. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass es durch die Berichterstattung gelungen ist, Menschen für Sport und Bewegung zu begeistern. Viele Betroffene kennen die Angebote des Behindertensports gar nicht. Dabei hilft der Sport, Bewegungsfähigkeit und Mobilität zu verbessern und die berufliche Wiedereingliederung zu unterstützen. Die positiven Effekte beschränken sich aber nicht allein auf die körperliche Mobilisierung, es geht auch darum, die psychische Gesundheit zu stärken und soziale Räume für die Betroffenen zu öffnen. Sport ermöglicht durch das gemeinsame Erleben gesellschaftliche Teilhabe und hilft Berührungsängste abzubauen.

Wie viel haben Sie selbst als Hauptgeschäftsführer mit diesen Projekten zu tun?

Als Hauptgeschäftsführer trage ich die Gesamtverantwortung für die DGUV. Gerade haben wir Gespräche darüber geführt, wie wir mit den Paralympics 2022 in Peking umgehen: Können wir dort präsent sein. Bei diesen grundsätzlichen Fragestellungen oder Gesprächen auf politischer Ebene bin ich gefordert. Ich muss ehrlich zugeben, der Para-Sport ist nicht täglich mein Thema. Aber es ist ein Thema, mit dem wir ganz wichtige Botschaften transportieren.

Bezüglich der Sichtbarkeit des Sports: Gibt es Punkte, bei denen sich die DGUV noch stärker einbringen kann?

Seit 2004 gibt es zu allen Sommer- und Winterspielen die Paralympics Zeitung, das ist schon mal ein enormes finanzielles Engagement, das wir da einbringen. Es ist wichtig, dass wir auf diesem Level aktiv bleiben können. Corona hat die wirtschaftliche Situation, gerade auch bei der Unfallversicherung, stark geprägt. In diesem Kontext müssen wir unsere Ausgaben stets hinterfragen. Aber das kann ich ganz klar sagen: Wir werden den Para-Sport weiter unterstützen. Ich halte das für absolut wichtig und richtig, weil es ein langfristiges, strategisches Ziel ist.

Wenn Sie selbst eine konkrete Sache sofort umsetzen könnten, welche wäre das?

Wir haben vorhin schon darüber gesprochen, weshalb wenig Leute Para-Sport kennen. Da habe ich mir gedacht, eigentlich wäre es doch großartig, wenn Joko und Klaas 30 Minuten Sendezeit bei Pro7 dafür nutzen würden, um zumindest mal eine Halbzeit eines Rollstuhlbasketballspiels zur Prime Time zu zeigen. Das fände ich toll, wenn außerhalb der Paralympics nicht nur zweiminütige Schnipsel irgendwo gezeigt werden und das war’s dann wieder.

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Herr Dr. Hussy, ein aktuelles Thema ist auch „Mental Health“. Bei Arbeitsschutz und Unfallvorsorge denken viele sicherlich erstmal an physische Unfälle oder körperliche Berufskrankheiten. Wird das Thema „Mentale Gesundheit“ in der Prävention und Rehabilitation unterschätzt?

Wir haben einen Präventionsauftrag, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu vermeiden – und dazu gehören auch psychische Belastungen und Beanspruchungen. Ich glaube, in der Pandemie ist deutlich geworden, dass diese Situation unheimlich viele Menschen belastet hat und gerade auch das Thema Homeoffice Belastungen mit sich bringt. Hier müssen wir Unterstützung bieten und haben dazu zahlreiche Medien herausgegeben. Auf unserer Webseite beispielsweise findet man dazu zahlreiche Hinweise und praktische Hilfen zu Fragen wie: Wie führe ich richtig? Wie kommunizieren wir? Wie binden wir die Menschen ein, wenn sie zuhause sind? Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ist auch die Hauptthemenstellung eines Arbeitsprogramms der gemeinsamen Deutschen Arbeitsstrategie, in der wir mit Bund und Ländern zusammenarbeiten.

Dr. Stefan Hussy

© Jan Roehl

Wo sehen Sie die Schwierigkeiten?

Sie können bei Lärm messen, wie laut er ist, beim Heben und Tragen können Sie messen, wie hoch das Gewicht ist. Aber bei psychischen Belastungen ist das ein bisschen schwieriger. Dafür haben wir mittlerweile auch Psychologen, Arbeitswissenschaftler und andere Leute, die die passenden Kompetenzen mitbringen, um die Unternehmen zu beraten.

Ist das ein Thema, das immer mehr an Gewicht gewinnt?

Wenn Sie sich die Krankschreibungen angucken, dann stellen Sie fest, dass der Anteil der psychischen Erkrankungen zunimmt und mittlerweile seit mehreren Jahren an zweiter Stelle hinter den Muskel- und Skeletterkrankungen steht. Es ist klar, das Thema hat an Bedeutung gewonnen und ist auch eine Herausforderung für uns. Es lässt sich schwer trennen, ob eine Belastung aus dem beruflichen oder privaten Bereich kommt. Es gibt immer weniger schwere Unfälle, zum Beispiel weil Maschinen nicht in Ordnung sind. Wir reden aber immer mehr über Organisation und psychische Belastung, die auch zu Unfällen führt.  

Herr Dr. Hussy, welche Sportart werden Sie bei den Paralympics mitverfolgen? Rollstuhlbasketball?

Auf jeden Fall. Aber ich bin selbst Schwimmer gewesen, relativ leistungsorientiert mit täglichem Training und Wettkämpfen auf Bundesebene. Deshalb interessiert mich auch der Para-Schwimmsport. Kirsten Bruhn, mit der wir in vielen Projekten eng zusammenarbeiten, war mehrfach Paralympics-Siegerin beim Schwimmen, und ich finde es beeindruckend, welchen Zeiten die Sportlerinnen und Sportler schwimmen. Nach der langen Corona-Pause war ich vor Kurzem das erste Mal selbst wieder schwimmen und habe festgestellt: „Oh Gott, wie langsam bist du?!“ Also Schwimmen und Rollstuhlbasketball, das sind die beiden interessantesten Sportarten für mich.

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier.

Delia Kornelsen

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