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Sport: Eingeschlossen im Kofferraum

René Tretschok fürchtet sich in Flugzeugen und Fahrstühlen: Wie Herthas Fußballer mit seiner Platzangst umgeht

Belek. Es sind diese kleinen, meist grünen Schildchen, die das Leben von René Tretschok erträglicher machen. Für ihn sind sie mehr als nur Hinweisschilder. Ihm weisen sie den Ausweg aus der Enge. René Tretschok leidet an Klaustrophobie.

Menschen, die unter Platzangst leiden, meiden bestimmte Situationen: lange Tunneldurchfahrten oder Fahrstühle. „Ich nehme lieber die Treppe, wenn der Fahrstuhl nicht gläsern ist oder wenigstens einen Spiegel hat, der den Lift größer erscheinen lässt“, sagt er. Doch René Tretschok ist Fußballprofi, der viel Zeit in Flugzeugen verbringen muss. „In solchen Momenten überrumpelt mich meine Platzangst“, erzählt Tretschok. Mit Flugangst habe das nichts zu tun, „wenn ich einmal in der Luft bin, kann es rütteln und schütteln, wie es will". Wenn ihn wieder das Angstgefühl beschleicht, versucht er es zu bekämpfen. „Mal gewinnt mein Wille, mal meine Angst." Zuletzt siegte die Angst.

Hertha BSC flog in das Winter-Trainingslager in die Türkei. Tretschok hatte seinen Platz in Reihe zehn der Boeing eingenommen. Als die Motoren brummten, überkam ihn wieder jenes Gefühl. Zuerst lockerte er die Krawatte, krempelte die Ärmel hoch. Es half nichts. „Ich musste raus.“ Tretschok verließ die Maschine.

Die Vorstellung, keine Alternative zu haben, keine Chance, der Enge entkommen zu können, versetzt ihn in Panik. Diese Augenblicke quälen ihn. Für Tretschok beginnt ein schweißtreibender Kampf. In solchen Momenten muss alles sehr schnell gehen. Die Maschine müsste sofort losrollen und den Abflug einleiten. „Wenn das zu lange dauert und ich es bis dahin nicht schaffe, steige ich aus.“ Tretschok nahm eine Maschine am nächsten Tag. Mit einer Zwischenlandung in Istanbul. Das bedeutete einmal mehr beklemmende Gefühle, einmal mehr Angst. Aber es klappte. „Ich hatte eine kleine Flasche Rotwein getrunken, das half diesmal.“ Dazwischen lag ein schwerer Gang für ihn. Der Gang zur Familie.

Seine Frau spürt manchmal schon am Tag vorher, dass er seinen Kampf gegen die Platzangst mal wieder verlieren könnte. „Dann reden wir drüber, obwohl es besser wäre, nicht darüber zu sprechen“, erzählt Tretschok. Seine Frau rät ihm dann, er solle sich ablenken, beispielsweise an seine geplante Fußballschule denken oder an die Kinder. Vor dem Flug in die Türkei hatte Tretschok sich sogar ein Pflaster geben lassen. So etwas kennt man von Rauchern, die ihre Sucht mindern wollen. In seinem Fall senkt es den Blutdruck. Geholfen hat es nicht.

Schwieriger war es, seiner siebenjährigen Tochter die unplanmäßige Heimkehr zu erklären. „Soll ich sagen, dass Papa sich vorkam, als sei er in einem Kofferraum eines Autos eingeschlossen?“ Noch gelingt es ihm, die Angelegenheit herunterzuspielen.

Erstmals überfiel ihn die Angst während der ersten Schwangerschaft seiner Frau. Es geschah auf der Autobahn. „Ich fuhr nur noch achtzig, ich hatte plötzlich Angst im Auto.“ Er hat gehört, dass viele Männer ähnlich reagieren würden, wenn ihre Frauen schwanger sind. „Vielleicht möchte man nichts dem Zufall überlassen, möchte sich nicht in Gefahr bringen. "

Das erste Mal musste Tretschok ein Flugzeug verlassen, als er noch in Dortmund spielte. Borussia sollte zu einem Privatspiel gegen Juventus Turin in Rimini antreten. Der Verein hatte zwei Jets bestellt. „Ich war schon in einem drin, doch dann ging ich zu Ottmar Hitzfeld und sagte: Trainer, tut mir Leid, ich steige wieder aus. Ich fühlte mich wie ein Aussätziger.“

Später erfuhr er, dass auch Hitzfeld unter Platzangst leidet, „aber er kriegt das Problem besser in den Griff“, sagt Tretschok. „Es ist komisch, wenn man der Mannschaft hinterherreisen muss. Du machst dir so deine Gedanken. Plant der Trainer noch mit dir, ist man eine Extrawurst?“ Aber alle gehen behutsam mit ihm um. „Ich kriege zwar mit, dass einige Mitspieler Wetten abschließen, ob ich diesmal drin bleibe oder raus muss. Aber sie hänseln mich nicht.“

René Tretschok ist jetzt 34 Jahre alt. In Therapie begab er sich nie. Die Anfälle seien weniger geworden, aber zwei-, dreimal im Jahr holt ihn seine Angst ein. Neulich war er mit seiner Frau im Kino, in „Herr der Ringe, Teil zwei". Der Saal war ausverkauft, vorneweg flimmerte eine Lasershow. „Mit viel Nebel und so. Sie können sich vorstellen, was in mir vorging.“ Tretschok hatte sich in die Nähe eines Exit-Schildes gesetzt. Er blieb sitzen.

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