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Sport: Einsame Revanche

Schwimmer Michael Phelps kann selbst mit seinen Weltrekorden eine alte Rechnung nicht begleichen

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Melbourne - Auch auf den letzten Metern, dort wo die Schmerzen brutal werden, blieben die Bewegungen elegant und fließend. Alle Zuschauer hatten sich erhoben, es war eine phantastische Show. Unten, im Pool der Rod Laver Arena, schwamm Michael Phelps (USA) gestern bei der WM in Melbourne in eine neue Dimension. 1:52,09 Minuten über 200 Meter Schmetterling, das ist ein atemberaubender Weltrekord. Der alte stand bei 1:53,71 Minuten, Phelps selbst hatte ihn erst im Februar aufgestellt. Die größte Verbesserung eines Weltrekords auf dieser Strecke seit 48 Jahren. „Ein Traum“, sagte der 21-Jährige.

Aber eine andere Show war ihm noch wichtiger: Seine Demonstration über 200 Meter Freistil am Dienstag, sein Weltrekord in 1:43,86 Minuten. Denn hier ging es um Prestige und Revanche, um die ganz persönliche Botschaft von Michael Phelps an Australien. Und natürlich an Ian Thorpe, die australische Legende, den Mann, der den Weltrekord bisher gehalten hatte (1:44,06).

Thorpe und Phelps waren jahrelang Symbolfiguren des Uralt-Duells der Schwimmnationen Australien und USA. Über 200 Meter Freistil trafen sie direkt aufeinander, mit dem Holländer Pieter van den Hoogenband als sportlicher Ergänzung. In Athen, bei den Olympischen Spielen 2004, hatte Thorpe diesen Kampf gewonnen, vor van den Hoogenband und Phelps. Eine Schmach für den US-Amerikaner. Seine sechs Olympiasiege konnten diesen Prestigeverlust nie wirklich aufwiegen. Es gab für ihn nur eine mögliche Form der Revanche: Er musste Thorpe vor dessen eigenen enthusiastischen Fans, die ihn zum Titel brüllen würden, besiegen. Er musste ihn im Hexenkessel der Rod Laver Arena bei der Weltmeisterschaft in Melbourne schlagen. Doch dazu konnte es nicht mehr kommen – Thorpe hatte seine Karriere im November beendet. Phelps kam das vor wie Fahnenflucht.

Der Gedanke an Thorpe hatte Phelps immerhin bis zum November in seiner Vorbereitung angestachelt. „Dieser Gedanke motivierte mich jeden Morgen“, sagte Phelps. „Er trieb mich morgens ins Training.“ Das Training zahlte sich aus: Am Ende hatte Phelps in Melbourne eine Länge Vorsprung vor van den Hoogenband. Und trotzdem, „dieser Rekord ist für mich nur die drittwichtigste Leistung“. Die wichtigste? „Ein Weltrekord im Rennen gegen Thorpe.“ Phelps hat schon jetzt mehr Olympiasiege und WM-Titel als der Australier Thorpe, und bis zum Ende der WM werden noch weitere Titel dazukommen, aber das sind nicht diese großartigen emotionalen Erfolge. Das ist Statistik.

Er hat jetzt nur noch den Kampf gegen sich selbst als Herausforderung. Ein unendlicher Kampf. „Phelps ist das beste Beispiel dafür, dass auch Weltklasseleute nie auslernen“, sagt der deutsche Trainer Horst Melzer. Phelps besitzt ein unglaubliches Wassergefühl, das hebt ihn unter allen hervor. Das gilt auch trotz der Dopinggerüchte, die ihn permanent verfolgen. Er spürt derzeit wie kein anderer, wie er den Widerstand des Wassers optimal zum Abstoßen nutzt. Gleichzeitig schafft es keiner, den Widerstand des Wassers beim Gleiten so zu verringern wie Phelps. Aber diese Fähigkeit hat er schon lange, er kann sie nicht weiter ausreizen. Deshalb hat er an seiner Wende gearbeitet. Er macht nach der Wende so genannte Delfinkicks mit den Beinen. Die hat er jetzt so perfektioniert, dass van den Hoogenband fassungslos war. „Dieser Kick hat mir so imponiert, dass ich mich nicht mehr auf mein Rennen konzentrieren konnte“, sagte der Holländer. „Nach 150 Metern habe ich mich gefragt: Wo ist er denn hin?“

Örjan Madsen, der deutsche Cheftrainer, zögerte erst, als er über dieses Rennen sprach. Aus Respekt vor dem Zweiten. „Ich weiß, das klingt jetzt ziemlich hart“, Pause, „aber Phelps hat van den Hoogenband an der letzten Wende stehen lassen wie einen Schuljungen. Was er gezeigt hat, war ein Genuss.“ Die Dimension dieser sportlichen Leistung hat aber wohl erst Bob Bowman klargemacht, Phelps’ Trainer. Bowman sagte: „Die letzten 50 Meter waren das Beste, was ich je von ihm gesehen habe.“

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