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Kollektives Versagen. Die Eisbären zeigen zur Zeit daheim dürftige Leistungen, am Sonntag gab es ein 1:4 gegen Wolfsburg. Foto: Gora/Imago

© imago/Andreas Gora

Eishockey: Eisbären Berlin: Es war einmal ein Titelfavorit

Die Eisbären sind bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Dafür gibt es Gründe. Eine Halbzeitbilanz.

Auf dem Planeten Erde gibt es Phänomene, die Menschen immer wieder vor Rätsel stellen. Egal, ob in der Wissenschaft, der Kultur oder auch im Sport. Die Eisbären Berlin erleben gerade eine derartige Situation. Nach der Hälfte der Hauptrunde in der Deutschen Eishockey- Liga (DEL) steht die Mannschaft von Trainer Clement Jodoin in der Tabelle nur auf Platz acht. Am Sonntag kassierte sie eine üble 1:4-Heimniederlage gegen die Grizzlys Wolfsburg, den Vorletzten in der DEL, der zuvor nur eines von 14 Auswärtsspielen hatte gewinnen können. „Ich weiß nicht, woran es liegt“, sagte Torschütze Jonas Müller nach dem Spiel, zuckte mit den Schultern und mutmaßte dann doch: „Vielleicht braucht es eine bessere Einstellung oder vielleicht sind wir auch einfach müde gewesen.“

13.418 Zuschauer waren am Sonntagnachmittag erwartungsfroh in die Arena am Ostbahnhof gekommen, am Ende ließen sich vereinzelte Pfiffe kaum überhören. „Unser Job ist es, Leistung zu zeigen. Und wenn du das nicht schaffst, haben die Fans auch das Recht zu pfeifen“, sagte Jodoin. Richtig tolle Vorstellungen haben die Eisbären in dieser Saison noch zu wenige aufs Eis bekommen, eine davon gab es am Sonntag zuvor beim Tabellenführer in Mannheim (3:2).

Aktuell von einer Krise zu reden, wäre auch deshalb überzogen. Die Berliner haben allerdings einige Probleme, die unübersehbar sind. „Wir treffen statistisch gesehen nicht mal zweimal pro Spiel bei Fünf gegen Fünf, da müssen wir besser werden“, hat der Trainer der Eisbären erkannt. Und: „Wir waren vielleicht in der ersten Saisonhälfte nicht so organisiert, wie wir das gern gehabt hätten.“ Dazu sei die Liga in dieser Saison sehr ausgeglichen und insgesamt „besser als in der letzten“. Deshalb müssten seine Spieler „jedes Mal aufs Neue bereit sein“, wenn sie aufs Eis gehen.

Doch es gibt weitere Gründe, warum es bisher nicht nach Wunsch läuft beim Vizemeister, der in der Vorsaison zur Halbzeit unter Trainer Uwe Krupp noch Tabellenführer war. Natürlich gab es anfangs viele Ausfälle, doch inzwischen ist das Lazarett überschaubar. Die Mannschaft spielt seit Wochen in identischer Formation. Automatismen greifen dennoch nur bedingt. Vor allem in der Offensive. Mit 70 erzielten Toren liegen die Berliner nur auf Platz zwölf von 14 Teams in der DEL, abgesehen von Jamie MacQueen oder Brendan Ranford (beide zehn Treffer) gibt es keine wirklichen Scorer.

Drittbester Torschütze ist in Florian Kettemer sogar ein Verteidiger. Sean Backman, im Vorjahr in der ersten Saisonhälfte kaum zu stoppen, hat bisher erst fünfmal getroffen – davon noch gar nicht bei Fünf gegen Fünf. Und Louis-Marc Aubry, in den vergangenen Play-offs noch der überragende Mann bei den Eisbären, bringt es sogar nur auf drei Treffer in den ersten 26 Spielen.

"Wir müssen unsere Probleme hinter verschlossenen Türen lösen"

Auch die Neuzugänge konnten die Abgänge nicht wirklich vergessen machen. Nicholas Petersen mag im Team wegen seiner Divenhaftigkeit umstritten gewesen sein, auf dem Eis hatte er dafür viele lichte Momente, von denen seine Kollegen oft profitierten. Über eine ähnlich starke Reihe wie die mit Petersen, Sheppard und Backman verfügen die Eisbären in dieser Spielzeit nicht ansatzweise. In Ranford und Colin Smith kamen hoffnungsvolle Stürmer, weiter gebracht haben sie das Team bisher aber nicht. Das gilt noch mehr für Mark Cundari, der als offensivstarker Verteidiger aus Augsburg verpflichtet wurde, zuletzt als überzähliger Ausländer aber nur noch Tribünengast war – auch weil er zuvor enttäuschte. „Es hilft nichts, mit dem Finger auf irgendjemanden zu zeigen. Wir müssen unsere Probleme hinter verschlossenen Türen lösen“, sagte Jodoin dazu.

Zwei Neue konnten allerdings einschlagen, mit denen hatten die Eisbären vor der Saison aber gar nicht geplant. Florian Kettemer war nur als Lückenfüller in der Verteidigung gedacht, weil die Berliner die Vorbereitung mit einigen verletzten Abwehrspielern begonnen hatten. Kettemer erhielt deshalb nur einen Vertrag bis 30. November, der inzwischen verlängert wurde – oder besser: verlängert werden musste, da der 32-Jährige einfach zu gut spielte, um ihn nicht zu halten.

Zweiter großer Rückhalt in der ersten Saisonhälfte war Torwart Kevin Poulin, der nach der Verletzung von Marvin Cüpper geholt wurde und den Eisbären seither so manchen Punkt gesichert hat. Problem: Poulin bekommt derzeit fast keine Pausen, weil Jodoin das Vertrauen in Maximilian Franzreb verloren hat und Cüpper noch immer fehlt. Aus heutiger Sicht kaum zu glauben, dass die sportliche Leitung eigentlich mit dem Duo Cüpper/Franzreb die Saison bestreiten wollte.

Ein anderes gravierendes Defizit ist die Disziplin im Team. Keine Mannschaft nimmt mehr Zwei-Minuten-Strafen als die Eisbären. Das Unterzahlspiel ist zwar inzwischen sehr solide, allerdings bringen sich die Spieler durch die vielen Hinausstellungen selbst immer wieder aus dem offensiven Rhythmus. Im Hinblick auf die zweite Saisonhälfte sagt Jodoin: „Da entscheidet nicht mehr das Talent, sondern jedes Spiel wird eine Schlacht.“

Das Gute ist: Der Rückstand der Eisbären nach vorn ist überschaubar. Sogar Platz eins ist nicht völlig außer Reichweite. Sollten die Berliner den nach den folgenden 26 Spielen tatsächlich noch erreichen, wäre das nach aktuellem Stand allerdings ein weiteres Phänomen, das sich kaum erklären ließe.

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