
© Gestaltung: Tagesspiegel/Fotos: Reuters/Thaier Al-Sudan
„Es ging wahnsinnig schnell“: Die Wende im syrischen Fußball nach Assads Sturz
Der syrische Fußball steht vor einem Neuanfang. Spieler, die jahrelang Repressalien erlebten, hoffen auf eine gerechtere Zukunft. Kann der Sport zur Einheit des Landes beitragen? Zwei Experten ordnen ein.
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Es ist ein Farbwechsel, der einen Machtwechsel einleiten soll. Kurz nach dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad gab der syrische Fußballverband bekannt, dass die Nationalspieler künftig in neuen Trikots auflaufen würden.
Bislang hatte die Auswahl in Rot gespielt, im Dezember veröffentlichte der Verband nun das Foto einiger Spieler in grünen Trikots. Auch das Verbandslogo ähnelt nicht mehr der Flagge Assads, sondern der Fahne der syrischen Revolutionäre.
Es sei eine „historische Veränderung in der Geschichte des syrischen Sports, fern von Vetternwirtschaft und Korruption“, heißt es in einem Post. Aber kann das gelingen, ausgerechnet in jener Sportart, die über Jahrzehnte von Assad für seine Zwecke instrumentalisiert wurde?
„Es ging wahnsinnig schnell“, sagt der syrische Fußballexperte Nadim Rai über den Flaggenwechsel. „Das Regime wurde frühmorgens gestürzt. Drei Stunden später änderte der Verband bereits sein Logo.“
Das Regime nutzte den Sport als Plattform
Rai wuchs in Latakia auf, der größten Hafenstadt Syriens. Seit seiner Kindheit ist er Fan des Vereins Hutteen SC, von 2014 bis 2015 arbeitete er dort als Medienkoordinator. „Al-Assad hatte mit Fußball nicht viel am Hut“, sagt Rai, der seit 2015 in Deutschland lebt. „Er nutzte den Sport vielmehr als Plattform für seine Auftritte.“
Assad nutzte den Sport, um sich als volksnah zu inszenieren.
Nadim Rai, syrischer Fußballexperte
Als Beispiele nennt er unter anderem das Finalrückspiel der asiatischen Champions League 2006 in Homs, bei dem der syrische Diktator sich auf der Ehrentribüne präsentierte und den Pokal überreichte.
Rai verweist zudem auf das Finale des Asienpokals 2010, das der Verein Al-Ittihad aus Aleppo gewann: Assad empfing die gesamte Mannschaft nach dem Sieg am Flughafen.
„Assad nutzte den Sport, um sich als volksnah zu inszenieren“, sagt Rai. Schon seit Vater Hafez wurde als Förderer des Sports bezeichnet.
In Büchern und an den Wänden vieler Schulen fanden sich Zitate von ihm wie „Ich sehe in dem Sport das Leben“. Daran nahm sich sein Sohn Baschar ein Beispiel.
Tatsächlich sei es ihm jedoch nie darum gegangen, den Sport zu fördern, sondern sich selbst zu präsentieren – insbesondere im Fußball, der beliebtesten Sportart in Syrien.
Diskriminierung aufgrund der kurdischen Identität
Einer, der selbst im Fußball aktiv war und von 2009 bis 2011 sogar für die syrische Nationalmannschaft auflief, ist Kawa Hisso. Er wuchs in Amuda auf, an der Grenze zur Türkei. Heute ist der 40-jährige Torwarttrainer beim niederländischen Verein Ado den Haag.

© Kawa Hisso/Ado den Haag
Sein letztes Spiel mit der syrischen Nationalmannschaft bestritt er 2011 gegen Tadschikistan. Kurz zuvor ging es gegen die irakische Nationalmannschaft in Erbil, wo Hisso und sein Team 2:1 gewannen.
„Es war ein intensives und spannendes Spiel von beiden Mannschaften mit zahlreichen Chancen, und meine starke Leistung hat entscheidend zum Sieg beigetragen“, erinnert er sich. Trotzdem beendete er wenig später seine Nationalmannschaftskarriere.
„Ich habe mich entschieden, mit dem Fußballspielen aufzuhören, weil ich die Korruption innerhalb des syrischen Verbands, die Diskriminierung gegen mich und den Beginn der syrischen Revolution sowie das brutale Vorgehen der syrischen Regierung gegen unschuldige Menschen nicht unterstützen wollte“, sagt Hisso. Aufgrund seiner kurdischen Identität erlebte er selbst über Jahre Repressalien.
Die syrische Regierung nutzte Spieler häufig für politische Zwecke, um in der Öffentlichkeit ein positives Bild von sich zu erzeugen.
Kawa Hisso, ehemaliger Nationalspieler
„Leider war es mir innerhalb der syrischen Nationalmannschaft und des Verbands nicht möglich, offen über meine kurdische Identität und Herkunft zu sprechen.“ Kurdisch war verboten, außerdem wurde er gedrängt, seinen kurdischen Vornamen Kawa nicht öffentlich zu machen. „In den Medien wurde lediglich mein Nachname verwendet.“
Besonders groß war der Druck bei internationalen Turnieren, nicht einmal im Hotelzimmer durfte er allein sein. „Es war immer jemand dabei, der mich auf Reisen überwachte.“
Unter dem Assad-Regime machten zahlreiche kurdische Sportler und Fans solche Erfahrungen. Bereits im Jahr 2004 sei es im Rahmen eines Fußballspiels zu Auseinandersetzungen gekommen, berichtet Nadim Rai.
„Die Anhängerschaft des Heimvereins aus Qamischli, einer Stadt, die mehrheitlich von Kurden bewohnt wird, wurde von gegnerischen Fans angegriffen. Das zeigen Aufnahmen. Doch anstatt sie zu schützen, wurden sie im Nachhinein bestraft. Sie erhielten ein sechsjähriges Heimspielverbot.“
Spaltung zwischen Regime-Anhängern und Regime-Gegnern
Während des Krieges wurde die Spaltung zwischen Regime-Anhängern und Regime-Gegnern in den Fußballstadien immer deutlicher. Bei Spielen der Nationalmannschaft standen sich zwei Kurven gegenüber: Die einen hielten Banner mit dem Gesicht von Assad hoch, die anderen schwenkten die Flagge der Rebellen.

© dpa/Vahid Salemi
Besondere Probleme hatten Fußballer, die dem Regime kritisch gegenüberstanden. Sie wurden entweder von ihrem Verein oder dem Verband ausgeschlossen.
„Die syrische Regierung nutzte Spieler häufig für politische Zwecke, um in der Öffentlichkeit ein positives Bild von sich zu erzeugen“, berichtet Hisso. „Wer dem widersprach, galt als unerwünscht, Verräter oder war gezwungen, das Land zu verlassen.“
Umso größer sind die Hoffnungen und Erwartungen vieler Sportler nun, da das Assad-Regime gestürzt wurde.
Nadim Rai ist der Überzeugung, dass der Fußball eine einende Kraft haben könnte. „Seit 2012 gab es keine syrische erste Liga, die alle Vereine mit einschloss. Stattdessen gab es vier Ligen in unterschiedlichen Regionen, von denen nur eine von der Fifa anerkannt wurde.“
Vereine feiern gemeinsam bei den Spielen
Doch das könnte sich bald ändern. Seit dem 8. Dezember fanden Rai zufolge 20 Freundschaftsspiele statt zwischen Vereinen aus Regionen, die einst unter Assads Kontrolle standen, und Vereinen aus den Regionen der Rebellen. „Sie machen ein Fest daraus und feiern gemeinsam vor und nach den Spielen. Das ist bemerkenswert. Ich bin gespannt, wie lange die Euphorie anhält.“
Etwas skeptischer äußert sich Kawa Hisso. „Die aktuelle Lage in Syrien ist noch unklar, wir müssen abwarten, welche Schritte die Regierung oder ein möglicher neuer Verband unternehmen, bevor endgültige Entscheidungen getroffen werden können“, sagt er.
Hisso hofft, dass sportliche Strukturen unabhängig von politischen Entscheidungsträgern geschaffen werden. Er plädiert für einen „ehrlichen und gerechten“ Fußballverband, der allen Syrer:innen offen steht.
Ob das gelingt, dürfte sich schon bald zeigen. Denn im März finden die Qualifikationsspiele für die Asien-Meisterschaft statt. Dort wird die syrische Nationalmannschaft wieder auflaufen – dann mit der neuen Fahne.
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