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Russische Fans feiern ihre Mannschaft in der Nähe des Roten Platzes.

© dpa/Aaron Chown

Gastgeber vor Kroatien-Spiel: Russland träumt schon vom WM-Finale

Ein Land im WM-Rausch: Nach dem Erfolg gegen Spanien glaubt das russische Nationalteam auch im Viertelfinale gegen Kroatien an eine Überraschung.

Stanislaw Tschertschessow pflegt in diesen Tagen eine intensive Beziehung zu seinem obersten Fan. Wladimir Putin ruft öfter mal an beim Trainer der russischen Nationalmannschaft, er klingelt ihn schon mal aus einer Pressekonferenz heraus und hat natürlich auch nach dem sensationellen Sieg im Achtelfinale gegen Spanien gratuliert. Tschertschessow genießt die ungewohnte Aufmerksamkeit und erfreut sich an Herbergerschen Weisheiten, nach denen das nächste Spiel immer das schwerste sei: „So einfach ist das, ich denke immer nur an das nächste Spiel.“ Im konkreten Fall: das am Samstag gegen Kroatien. Und doch ist ihm ein weitgehend unbemerkter Satz herausgerutscht. Es ging dabei um den Mittelfeldspieler Juri Schirkow, der sich am Schienbein verletzt hatte und im Viertelfinale fehlen wird. „Für ihn ist die WM zu Ende“, sprach er, „es sei denn, wir kommen ins Finale.“

Die Russen im Finale. So weit ist es also schon gekommen bei dieser WM, dass dieses Sätzchen gar keine Verwunderung mehr hervorruft. Was Tschertschessow als Erster aussprach, gehört jetzt zum Selbstverständnis der Mannschaft. „Wir alle wissen jetzt, dass wir das schaffen können“, behauptet Mittelfeldspieler Alexander Golowin. Dabei war den Russen vor dem Turnier eigentlich nur die protokollarische Pflicht zugestanden worden, den Großen der Fußball-Welt als Gastgeber zu dienen. Jetzt sind Portugal, Argentinien, Deutschland raus, die Russen immer noch dabei und keineswegs in Abschiedsstimmung. „Das ist wie eine Sucht“, sagt der Verteidiger Ilja Kutepow. „Du willst mehr und mehr.“ Also die Kroaten nach Hause schicken, so unwahrscheinlich das auch klingt.

Der Erfolg gegen Spanien hat die Russen berauscht, auf dem Platz, aber nicht nur dort. Moskau leuchtet in diesen Tagen weiß-blau-rot, mit geschminkten und Fahne schwenkenden Männern und Frauen, immer wieder kommt es zu spontanen „Rossija! Rossija!“-Rufen. Einer Umfrage zufolge glauben 50 Prozent der Russen an den Halbfinaleinzug.

Alan Dsagojew galt mal als das Wunderkind des russischen Fußballs

In Sotschi aber wartet eine ganz andere Herausforderung. Nicht nur, weil es im Olympiastadion direkt am Schwarzen Meer auch in den Abendstunden sehr viel wärmer und schwüler ist, als es am Sonntag im kühlen Moskau war, was dem physischen Stil der Russen nicht unbedingt entgegenkommt. Wie die Spanier haben auch die Kroaten ein Faible für Ballbesitz, aber sie verstehen dieses Konzept nicht als eine endlose Aneinanderreihung von Querpässen. Die zentralen Mittelfeldspieler Luka Modric und Ivan Rakitic sind Virtuosen am Ball und kluge Strategen zugleich, immer darauf aus, die schnellen Flügelstürmer Ante Rebic und Ivan Perisic einzusetzen oder den bulligen Mario Mandzukic in der Mitte. Nur rennen, grätschen, kämpfen, das wird gegen diese Mannschaft nicht reichen.

Es muss schon ein bisschen mehr Fußball sein. Da trifft es sich gut, dass der dafür am besten geeignete russische Spieler wieder dabei sein kann. Alan Dsagojew galt mal als das Wunderkind des russischen Fußballs, aber das liegt auch schon eine Dekade zurück. Er ist jetzt 28 Jahre alt und spielt immer noch bei ZSKA Moskau, für eine Karriere in einer großen europäischen Liga hat es nicht gereicht. Aber die Nationalmannschaft hat zuletzt schwer gelitten unter dem Verzicht auf seine Dribblings und seine Ideen, weil Dsagojew gegen Saudi-Arabien schon nach einer halben Stunde mit einer Oberschenkelverletzung passen musste. Seit Mittwoch steht er nun wieder im Training. „Ich bin bereit für Kroatien“, sagt er.

Der oberste Fan ist dagegen zu Hause geblieben. Das Spiel füge sich leider nicht in Wladimir Putins Terminplan, ließ der Kreml ausrichten. Das Treffen mit Donald Trump in Helsinki will vorbereitet werden, es findet am 16. Juli statt. Einen Tag nach dem WM-Finale.

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