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Glückwunsch vom Chef. Herthas Präsident Kay Bernstein und Ibrahim Maza.

© Ottmar Winter/Ottmar Winter

So kann’s gehen: Gegen Wolfsburg spielt bei Hertha BSC die Jugend vor

Nach dem Abstieg muss Hertha BSC verstärkt auf eigene Talente setzen. Beim 2:1 in Wolfsburg deutet sich an, dass dieser Weg gangbar ist.

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Ibrahim Maza lehnte an einem Pfeiler im Kabinengang. Er tat das schon seit ein paar Minuten ohne ersichtlichen Grund, wechselte ab und zu ein Wort mit dem Ordner an seiner Seite und beobachtete sonst einfach nur still, was um ihn herum passierte. Als Tjark Ernst, der junge Torhüter von Hertha BSC, sich zu den wartenden Journalisten in der Mixed Zone begab, schaute Maza sich auch das interessiert an. Er musste lachen.

Schwer zu sagen, ob er sich ein bisschen über Ernst lustig machen sollte, der solche Situationen auch nicht alle Tage erlebt. Wahrscheinlicher war, dass Ibrahim Maza, 17 Jahre alt, einfach nur gute Laune hatte. Diesen 27. Mai 2023 dürfte er wohl für immer wie einen Schatz in seinen Erinnerungen verwahren.

Es war der Tag, an dem der junge Offensivspieler in die Vereinsgeschichte von Hertha BSC eingegangen ist. Zehn Minuten nach seiner Einwechslung zur zweiten Halbzeit vollendete er einen Konter zum 1:1 gegen den VfL Wolfsburg. In seinem zweiten Einsatz für Herthas Profis gelang ihm der erste Treffer. Kein Torschütze in der nun erst einmal unterbrochenen Bundesligageschichte des Klubs war jünger als Ibrahim Maza.

Der Offensivspieler ist mit einem Talent gesegnet „wie keiner im Nachwuchs von Hertha BSC“, sagte Pal Dardai, Mazas Profitrainer, nach dem 2:1-Erfolg seines Teams in Wolfsburg. Er kennt Maza seit einer kleinen Ewigkeit, wenn man das bei einem 17-Jährigen überhaupt sagen kann. Schon in der U 16 hat der Ungar ihn trainiert, aber damals bedurfte es einiger strenger Worte, um das Talent auf den richtigen Weg zu bringen.

Dardai erzählte in Wolfsburg, dass er die ganze Familie zum Gespräch gebeten habe. „Du, Ibo“, sagte er bei dieser Gelegenheit, „wenn du weiter so faul bleibst, schaffst du gar nichts. Du hast ein Tempodribbling, unbeschreiblich. Du bist von Gott mit einem Riesentalent gesegnet. Bitte, bleib fleißig!“ Maza hat sich die Worte seines Jugendtrainers, der aller Wahrscheinlichkeit nach auch weiterhin sein Profitrainer bleiben wird, offenbar zu Herzen genommen.

In den nächsten Tagen soll die Entscheidung fallen, ob Pal Dardai Hertha auch in der Zweiten Liga trainieren wird. Ernste Zweifel gibt es eigentlich nicht, auch wenn immer mal wieder – offenbar von außen – andere Namen ins Spiel gebracht werden.

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Spieler aus dem eigenen Nachwuchs kamen in Wolfsburg zum Einsatz

Die Begegnung in Wolfsburg, in der die Berliner früh in Rückstand gerieten, in der sie sich nach der Pause und einer Standpauke Dardais noch einmal neu sortierten und aus dem 0:1 am Ende einen 2:1-Erfolg machten, diese Begegnung wirkte noch einmal wie ein Plädoyer für Dardais Weiterbeschäftigung.

Sechs Spieler aus dem eigenen Nachwuchs kamen in Wolfsburg zum Einsatz, fünf standen in der Schlussphase auf dem Feld, als es darum ging, den Vorsprung mit aller Macht zu verteidigen. Innenverteidiger Pascal Klemens, 18 Jahre alt, und der eingewechselte Stürmer Tony Rölke, 20, gaben genauso ihr Bundesligadebüt wie Torhüter Tjark Ernst, der vor der Saison mit 19 Jahren vom VfL Bochum nach Berlin gekommen war.

„Die jungen Spieler bei Hertha BSC sind gut. Man muss ihnen eine Chance geben und auch ein bisschen Geduld haben“, sagte Dardai, der zum Abschluss der Saison, als es für Hertha sportlich um nichts mehr ging, schon mal die Zukunft hatte vorspielen lassen. „Ich glaube, die Entscheidung war nicht schlecht.“

Tjark hat echt ein Weltklassespiel gemacht.

Stürmer Florian Niederlechner über Herthas Torhüter Tjark Ernst

In der neuen Spielzeit, dann in der Zweiten Liga, gibt es zu dieser Entscheidung mutmaßlich keine Alternative. Mangels anderer finanzieller Möglichkeiten wird der Klub gezwungenermaßen auf Talente aus dem eigenen Nachwuchs setzen. Das Spiel in Wolfsburg zeigte, dass dieser Weg gangbar sein könnte.

In der zweiten Halbzeit, als peu à peu immer mehr Talente eingewechselt wurden, „haben wir eine richtig gute Hertha gesehen“, sagte Dardai. „Die Atmosphäre in der Mannschaft hat funktioniert. Wenn wir dieses Gesicht früher gezeigt hätten, säßen wir nicht so traurig hier. Aber wir sind nicht ganz traurig, denn dieses Spiel nimmst du schon mit für die nächste Saison.“

Die Jungen kommen. Pascal Klemens und Tjark Ernst feierten in Wolfsburg ihr Bundesliga-, Julian Eitschberger (von links) sein Saisondebüt.

© IMAGO/Eibner

Maza erzielte den Ausgleich, Klemens wurde in der Viererkette von Minute zu Minute sicherer – und Ernst im Tor hielt, was zu halten war. Beim frühen 0:1 schon in der zweiten Minute war der junge Torhüter machtlos, aber danach rettete der 20-Jährige sein Team einige Male. „Das ist natürlich fantastisch, dass das so für mich gelaufen ist“, sagte Ernst. „Das ist ein Riesengefühl und macht mich echt stolz.“

Eine Minute vor Ablauf der regulären Spielzeit verhinderte Ernst mit einer Fußabwehr den späten Ausgleich, der die Wolfsburger in den Europapokal gebracht hätte. „Tjark hat echt ein Weltklassespiel gemacht“, sagte Herthas Stürmer Florian Niederlechner. „Das Wort darf man, glaube ich, sogar erwähnen, auch wenn es ein großes Wort ist.“

Niederlechner ist erst im Winter nach Berlin gekommen – und hat nicht vor, nach dem Abstieg gleich wieder zu gehen. Schon vor Wochen hat er sich mit dem Verein auf einen Verbleib verständigt. „Wir haben Scheiße gebaut, und ich bin einer, der versucht, den Fehler auszubügeln, den wir gemacht haben“, sagte er. „Der Verein gehört einfach hoch, und dafür werden wir alles tun.“

Niederlechner bleibt bei Hertha

Mit 32 Jahren ist Niederlechner einer der älteren und erfahrenen Spieler, die das Gerüst für eine sonst deutlich jüngere Mannschaft werden bilden müssen. Nur mit Talenten „hast du in der Zweiten Liga keine Chance“, sagte er. „Es wird ein schweres Jahr. Aber es ist auf alle Fälle positiv, dass wir gute Jungs haben, die von unten hoch kommen.“

Wie der Kader aussehen wird, weiß im Detail derzeit wohl niemand. Vielleicht muss Hertha aus finanziellen Gründen Spieler abgeben, die man eigentlich halten will. Auch auf der Torhüterposition ist nur eins klar: dass nichts klar ist.

Sollte bei Hertha ein lukratives Angebot für die bisherige Nummer eins Oliver Christensen eingehen, könnte der Klub das wohl gar nicht ausschlagen. Das Spiel in Wolfsburg hat immerhin gezeigt, dass Tjark Ernst in einem solchen Fall durchaus für Christensens Nachfolge in Frage käme. „Im Training zeigt er schon seine Klasse“, sagte Trainer Dardai. „Und heute unter Druck hat er richtig gut gespielt, das ist schön.“

Ernst ist keine 17 mehr. In seinem Alter waren herausragende Torwarttalente wie Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen oder Bernd Leno bereits Stammspieler in der Bundesliga. Trotzdem denkt Hertha über die Verpflichtung von Marius Gersbeck nach.

Der Torwart des Karlsruher SC stammt zwar auch aus Herthas Jugend, ist allerdings schon 27. Da er als einer der besten Torhüter der Zweiten Liga gilt, dürfte sich Gersbeck wohl kaum mit der Aussicht locken lassen, als Back-up für Ernst auf der Bank zu sitzen.

Pal Dardai hat zuletzt häufiger geklagt, dass Hertha in den vergangenen Jahren viel zu viele Talente verloren habe. Das liegt auch daran, dass der Klub zu wenig strategisch mit ihnen geplant hat. So könnte es auch mit Tjark Ernst laufen, sollte Hertha Gersbeck tatsächlich zurückholen.

Bei Hertha zu bleiben und die Nummer eins werden, „das ist natürlich das große Ziel. Es macht viel mehr Spaß, zu spielen als auf der Bank zu sitzen“, sagte Ernst nach seinem Profidebüt. „Es hat sich sehr gut angefühlt heute, und ich kann mich auch sehr gut damit anfreunden, dass es nächste Saison so ist.“

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