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Sport: Gnadenloser „Papa Gnädig“

Der frühere DFB-Präsident Linnemann war in Nazi-Verbrechen verstrickt – der Verband schweigt noch

Als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im Herbst 1999 die Festschrift „100 Jahre DFB“ herausgab – des Weihnachtsgeschäfts wegen kurz vor der eigentlichen 100-Jahr-Feier –, enthielt der Erinnerungsband auch eine Ahnengalerie seiner Präsidenten. Diese unkommentierte Ehrenbezeugung ist umstritten. Es wird in dem Band nicht über den rassistischen und antisemitischen Hintergrund des ersten Präsidenten, Ferdinand Hueppe (1853-1938), geschrieben. Außerdem wird der DFB-Chef während des Dritten Reiches, Felix Linnemann (1882-1948), als „Papa Gnädig“ tituliert; im Porträt wird Linnemann als strenger und autoritärer, im Kern aber doch weicher Fußballfunktionär beschrieben.

Diese Beschreibung kritisierte damals nicht allein „Der Spiegel“, als er im Januar 2000 mit dem Artikel „ Papa Gnädig von der SS“ die SS-Vergangenheit des Spitzenfunktionärs sowie die Geschichtspolitik des DFB anprangerte – mit dem Resultat, dass bei den DFB-Feierlichkeiten in Leipzig sowohl Kanzler wie auch Bundespräsident eine Aufarbeitung einforderten. Daraufhin gab der DFB eine Studie über seine Zeit im Nationalsozialismus in Auftrag; sie soll im September publiziert werden. Was Linnemann angeht, ist nun der Hannoveraner Wissenschaftler Hubert Dwertmann mit einem Artikel, der in der Zeitschrift „SportZeiten“ erscheinen wird, dem DFB zuvorgekommen. Seine Studie „Sportler – Funktionäre – Beteiligte am Massenmord“ dürfte eine Neubewertung Linnemanns zur Folge haben.

Denn die Dokumentation bezeugt die Verstrickung Linnemanns als „Schreibtischtäter“ in den NS-Verfolgungsapparat. Dwertmann beschreibt die Karriere Linnemanns in der Kriminalpolizei nach 1933. Er beweist, dass dieser nicht – wie es in den DFB-Chroniken bislang beschrieben wurde – 1940 im Rahmen der „Dienstrangangleichung“ bei der Polizei in die SS eingetreten sei (und es dort bis zum SS-Standartenführer brachte), sondern aus freien Stücken. Auch die in den DFB-Historien stets kolportierte Geschichte, Linnemann sei 1937 nach „einem Streit mit Heydrich“, dem Chef des Sicherheitsdienstes SD, nach Stettin „strafversetzt“ worden, bezeichnet Dwertmann als Schutzbehauptung Linnemanns. Ein solcher Wechsel in die Praxis – der Fußballfunktionär war zuvor Leiter des Polizeiinstituts in Charlottenburg – sei durchaus üblich gewesen.

Als Leiter der Kriminalpolizei-Leitstellen in Stettin (1937-1939) und Hannover (1939-1945) sei Linnemann weiter, schreibt Dwertmann, „de facto an der Judenverfolgung“ beteiligt gewesen, obwohl er dies nach 1945 in seinem Entnazifizierungsverfahren abgestritten hatte. Denn die Kripo habe, argumentiert Dwertmann, der Gestapo als zuständige Institution stets Beamte zu diesem Zwecke abgestellt. Beteiligt war Linnemann bei der Verfolgung der Roma und Sinti. Für diese ethnische Gruppe war damals die Kriminalpolizei zuständig, zu deren Führungskräften Linnemann im Dritten Reich zählte. Dwertmann belegt Linnemanns Rolle unter anderem mit einem Dokument aus dem Oktober 1939, mit dem Hannovers Polizeichef die so genannte „Zigeuner-Erfassung“, nach der Roma und Sinti ihren Aufenthaltsort nicht verlassen durften, strikt umsetzte: „Werden Zigeuner nach dieser Auflage angetroffen, die ihren Wohnsitz verlassen haben, so sind sie festzunehmen und der Kriminalpolizeistelle zur Überführung in ein Konzentrationslager zuzuführen“, heißt es etwa in einer von Linnemann unterzeichneten Anordnung.

Die Erkenntnisse über Linnemanns Aufstieg als Polizist und Sportfunktionär sind auch deswegen aufschlussreich, weil der spätere DFB-Chef, wie Dwertmann einräumt, „kein Vorkämpfer des Nationalsozialismus“ war. Bis 1933 hatte Linnemann eine typische Sportfunktionärs-Karriere absolviert: Seit 1908 war er Vorsitzender von Preußen Berlin, ab 1918 Vorsitzender des Verbandes Brandenburgischer Ballspielvereine, seit 1919 2. Vorsitzender des DFB. 1925 wurde er DFB-Präsident.

Dass seine Erkenntnisse ein Umdenken beim DFB bewirken, bezweifelt Dwertmann. Vor dem Hintergrund der bisherigen Vergangenheitspolitik des DFB sei „wohl kaum zu erwarten, dass dieser sich bei den europäischen Sportnachbarn für die Beteiligung an der nationalsozialistischen Annexions- und Aggressionspolitik entschuldigt oder sich vor den Opfern der Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma verbeugt, an deren Ermordung der Präsident und Repräsentant des DFB seinen Anteil hatte“.

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