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Hertha BSC in Not: Nur das Debüt von Tolga Cigerci macht Hoffnung
Gegen Eintracht Frankfurt kassiert Hertha BSC die nächste Niederlage, die Lage wird immer kritischer. Immerhin zeigt Neuzugang Tolga Cigerci das, was der Klub von ihm erwartet.
Stand:
Beim Training am Tag danach war es deutlich voller als sonst. Das lag daran, dass Sandro Schwarz, der Trainer von Hertha BSC, am Tag zuvor, bei der 0:3 (0:2)-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt, bereits zur Pause drei Spieler aus- und folglich auch drei Spieler eingewechselt hatte. Beim Training der Reservisten am Sonntagmorgen standen also auch drei Spieler aus der Startelf auf dem Platz. Und die, die sie zur zweiten Hälfte ersetzt hatten. Nur Tolga Cigerci fehlte. „Schulter“, sagte Schwarz. „Aber nichts Schlimmes.“
Das hätte natürlich gepasst zur ohnehin misslichen Lage bei Hertha BSC. Der einzige Spieler, den der Klub in höchster Abstiegsnot und am sogenannten Deadline Day noch auf den letzten Drücker verpflichtet hat, bestreitet sein erstes Spiel für den Berliner Fußball-Bundesligisten – und fällt dann erst einmal aus.
Tolga Cigerci, 30 Jahre alt und defensiver Mittelfeldspieler, war schon vor seinem Debüt für Hertha in den Rang eines Hoffnungsträgers geraten. Seine ersten 45 Minuten auf dem Fußballplatz lassen diese Hoffnung zumindest nicht als völlig weltfremd erscheinen.
Es war ein vielversprechendes Comeback des türkischen Nationalspielers, der bereits von 2013 bis 2016 bei den Berlinern unter Vertrag gestanden hatte. Sofern nach einer 0:3-Niederlage und einer weiteren Verschärfung der Lage im Abstiegskampf überhaupt etwas vielversprechend sein kann.
Er hat das sehr, sehr gut gemacht.
Herthas Trainer Sandro Schwarz über das Debüt von Tolga Cigerci
Allgemein war sogar erwartet worden, dass Cigerci in Frankfurt nur vier Tage nach seiner Verpflichtung bereits in der Startelf stehen würde – obwohl er „logischerweise“ noch nicht in den mannschaftstaktischen Abläufen drin sein könne, wie Sandro Schwarz gesagt hatte. Als Herthas Trainer dann in der ersten Halbzeit erkannte, dass die Mittelfeldspieler, die seit mindestens dem Sommer für den Klub spielen, ebenfalls nicht in den mannschaftstaktischen Abläufen drin waren, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als den türkischen Nationalspieler aufs Feld zu schicken.
„Die erste Halbzeit war enttäuschend“, sagte Schwarz. Zur zweiten Hälfte wechselte er daher nicht nur dreimal, er stellte auch das System um. Und der Strukturwandel machte sich positiv bemerkbar. Die Berliner wirkten stabiler, besser austariert und waren auch offensiv deutlich gefährlicher, nachdem sie sich vor der Pause keine einzige zwingende Chance erspielt hatten. Das alles lag auch an Tolga Cigerci.

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In der neuen Grundordnung, einem 3-5-2, besetzte Cigerci die Position, für die er geholt worden war: die des Sechsers. Der 30-Jährige bringt für diese Rolle vieles mit: Er besitzt die nötige Ausstrahlung und hat einen offenen Blick. Er versteht das Spiel, denkt strategisch und ist trotzdem robust. Mit Cigerci hatte Hertha eine ganz andere Präsenz auf dem Platz. „Er hat das sehr, sehr gut gemacht“, sagte Schwarz.
Dass Cigerci gleich bei seinem Comeback für Hertha glänzen konnte, liegt natürlich auch an der Vergleichsgrundlage: an den Spielern, die Schwarz bisher für die Zentrale zur Verfügung standen. Lucas Tousart spielte gegen die Eintracht in der ersten Halbzeit auf der Sechs. Bis zu seiner Auswechslung zehn Minuten vor Schluss kam er auf 47 Ballkontakte. Cigerci hatte in 45 Minuten nur einen weniger.
Cigerci strahlte Präsenz aus
Sinnbildlich für den Auftritt des Franzosen war die Szene vor dem 2:0 der Frankfurter, als er vergeblich versuchte Jesper Lindström zu stellen. Er geriet in ein Laufduell, das er nicht gewinnen konnte.
Von allen zentralen Mittelfeldspielern Herthas hatte nur Cigerci (81 Prozent) eine überdurchschnittliche Passquote. Tousart (73), Jean-Paul Boetius (72) und Suat Serdar (71) blieben deutlich dahinter zurück. Bei der Passeffizienz, mit der die Wahrscheinlichkeit berechnet wird, ob ein Pass beim Empfänger ankommt, hatte Cigerci von allen Berlinern den besten Wert.
Die beiden Achter Serdar (33 Ballkontakte in 90 Minuten) und Boetius (28 bis zur Pause) strahlten keinerlei Präsenz aus. Und Boetius wird immer mehr zum Sicherheitsrisiko. Vor dem Elfmeter, durch den Frankfurt in Führung ging, spielte er im Mittelfeld völlig unbedrängt einen Fehlpass. Solche Szenen waren bei ihm schon im Trainingslager in Florida zu sehen. Im Testspiel gegen Millonarios FC reihte der Holländer Fehler an Fehler, in der Bundesliga ist das nicht anders.
So ist den Berlinern jegliche Balance verloren gegangen. Hinten sind sie anfällig, vorne harmlos. Aus den ersten vier Spielen im Jahr 2023 stehen vier Niederlagen zu Buche, bei 1:13 Toren. Vor der Winterpause kassierte Hertha im Schnitt 1,35 Gegentore pro Spiel, in diesem Jahr sind es 3,25. Vor der Winterpause hatte Hertha von den neun Mannschaften in der unteren Tabellenhälfte der Bundesliga die drittbeste Tordifferenz (minus drei), aktuell ist es die drittschlechteste (minus fünfzehn).
Das alles liegt auch daran, dass das Team seine Mitte verloren hat. Nur wer das Zentrum beherrscht, kann das Spiel dominieren.
Mit Tolga Cigerci verfügt Hertha nun zumindest über einen Spieler, der einen gewissen Herrschaftsanspruch verkörpert, der die Dinge im Zweifel eben auch erzwingen will. So wie bei seinem Freistoß aus gut 25 Metern, zu dessen Abwehr Kevin Trapp beide Fäuste zu Hilfe nehmen musste. Frankfurts Torhüter lenkte den Ball zur Ecke. Es war nach 82 Minuten Herthas erste und einzige im gesamten Spiel.
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