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Hertha BSC und die Minderleistungen: Selbst die Ultras haben jetzt „die Schnauze voll“
Drei Niederlagen nacheinander, fünf Pleiten in acht Heimspielen: Bei Hertha kippt nach dem 1:2 gegen Münster die Stimmung. Von den Ultras gibt es eine klare Ansage an die Mannschaft.
Stand:
Der Vorsänger der Ultras von Hertha BSC hat es in den vergangenen Monaten zu einiger, zumindest lokaler Berühmtheit gebracht. „Kreisel“, so sein Spitzname, war diverse Male in der vereinseigenen Dokumentation zu sehen, mit der Hertha seit dem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga die Mannschaft begleitet.
Seinen ersten Auftritt hatte „Kreisel“ zu Beginn der vorigen Saison, nach dem Auswärtsspiel beim 1. FC Magdeburg, das Hertha mit 4:6 verloren hatte. Der Vorsänger stand nach dem Schlusspfiff auf dem Rasen der Magdeburger Arena, auf Augenhöhe mit der eigenen Mannschaft gewissermaßen. Mit ausladenden Gesten redete er auf die recht bedröppelt dreinschauenden Spieler ein. Es waren Worte der Aufmunterung.
„Kreisels“ Ansprache endete mit einer klaren Ansage: „Immer weiter! Keiner steckt den Kopf in den Sand! Haben wir uns verstanden? Haben wir uns verstanden?“ Er zog Marton Dardai an seine Brust, klatschte mit Fabian Reese ab und wandte sich schließlich der Kurve zu. „Auf geht’s, Hertha, kämpfen und siegen!“, rief der Block.
Dass die Worte, die „Kreisel“ am vergangenen Freitag an die Mannschaft richtete, in einer der kommenden Folgen der Hertha-Doku auftauchen werden, das ist mindestens zweifelhaft. Der Ton ist ein anderer geworden, die Stimmung durch die 1:2-Niederlage gegen den Tabellenvorletzten Preußen Münster erst einmal gekippt. Von Nachsicht für unzureichende sportliche Leistungen des Teams war jedenfalls nichts mehr zu spüren.
Ihr könnt hier nicht jedes Heimspiel rausgehen und nicht funktionieren. Wie sollen wir das so akzeptieren?
Der Vorsänger der Hertha-Ultras nach der Niederlage gegen Münster
Bislang haben Herthas Fans und vor allem die Ultras, die in der Kurve den Ton angeben, vieles klaglos ertragen. Die Stimmung hatte sich weitgehend abgekoppelt von der sportlichen Performance der Mannschaft. Seitdem der frühere Ultra Kay Bernstein Präsident geworden ist und auch unter dessen Nachfolger Fabian Drescher versteht sich der Verein vor allem als große Gemeinschaft, die wichtiger ist als Tore und Siege.

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Dass Hertha schon in der vergangenen Saison nie ernsthaft in den Kampf um die Aufstiegsplätze eingreifen konnte, hat nie zu echter Kritik aus der Kurve oder gar zu ernsten Verwerfungen geführt. Im Gegenteil: Vor allem bei den Auswärtsspielen zeigt sich die immense Unterstützung durch die Fans. Das Kartenkontingent, das Hertha zusteht, ist immer ausverkauft. Meist übertrifft die Nachfrage das Angebot sogar deutlich.
„Wir haben eigentlich die geilsten Fans der Liga. Das Auswärtskontingent ist immer ausgebucht, die folgen uns überallhin“, hat auch Herthas Kapitän Toni Leistner nach der Niederlage am Freitag gesagt. „Man muss sich nur die letzte Woche anschauen: Da war Magdeburg, da war Köln, da war Fürth. Keine Ahnung, wie viele Kilometer die da geschrubbt haben.“
Auch in dieser Spielzeit war die Unterstützung ähnlich wie in der Vorsaison: bedingungslos und nachsichtig. Bis zum Freitagabend.
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Nach der Niederlage gegen Münster ergriff „Kreisel“ wieder das Wort. Doch von Aufmunterung diesmal keine Spur. „Keiner versteht, warum“, sagte der Vorsänger der Ultras, der diesmal auf seinem Platz in der Kurve stand, als er mit dem Megaphon in der Hand zu den Spielern auf der Tartanbahn sprach. „Ihr habt den besseren Kader als Preußen Münster. Die waren vor zwei Jahren noch in der vierten Liga.“
Zuvor hatte es erstmals seit dem Abstieg im Frühjahr 2023 wütende Pfiffe gegen die Mannschaft gegeben, auch als sie am Ende ihrer ritualisierten Ehrenrunde in der Ostkurve ankam. Das 1:2 gegen Münster war die dritte Pflichtspielniederlage innerhalb von zehn Tagen, jeweils nach einer 1:0-Führung.
Die Folge: Hertha steht inzwischen schlechter da als zum gleichen Zeitraum der Vorsaison – obwohl der damalige Trainer Pal Dardai nach dem Abstieg mit einem unfertigen Kader in die Spielzeit gestartet war und die ersten drei Begegnungen verloren hatte.
Herthas Fans verlieren die Geduld
Dass die Geduld endlich ist, erfuhren die Spieler nach dem Schlusspfiff, als sie wie kleine Schuljungs vor der Kurve standen, um sich einen Anschiss vom Direktor abzuholen. „Wir versuchen hier immer alle eine Gemeinschaft zu pflegen, aber ihr seid ein Teil davon“, sagte „Kreisel“. „Ihr könnt hier nicht jedes Heimspiel rausgehen und nicht funktionieren. Wie sollen wir das so akzeptieren?“
Im achten Heimspiel dieser Saison kassierte Hertha am Freitag die fünfte Niederlage. Nur gegen die beiden Abstiegskandidaten Braunschweig und Regensburg haben die Berliner im eigenen Stadion gewonnen – und das auch nur mit viel Glück.
In beiden Fällen beendeten sie das Spiel in Überzahl. Gegen Regensburg stand es zum Zeitpunkt des Platzverweises noch 0:0; die Braunschweiger führten sogar 1:0, als ihr Torhüter Lennart Grill Rot sah.
Trotz allem sind im Jahr 2024 mehr als eine Million Zuschauer zu Herthas Heimspielen gekommen. Das ist der beste Wert seit 1999, als sich die Berliner zum ersten und bisher einzigen Mal für die Champions League qualifiziert haben.
Gegen Münster, an einem kalten Freitagabend in der Adventszeit, waren es 45.676 Zuschauer. „Ich hätte nicht gedacht, dass heute so viele kommen. Wenn ich ein Fan wäre, wäre ich nicht gekommen“, sagte Herthas Mittelfeldspieler Ibrahim Maza nach dem Spiel dem RBB. „Dass im letzten Heimspiel trotzdem so viele hier waren und wir das mit so einer Leistung zurückgeben, ist einfach respektlos.“
In der Kurve war die Empfindung wohl ähnlich – zumindest wenn man die Äußerungen ihres Vorsängers für halbwegs repräsentativ erachtet. „Zum ersten Mal sind wir nicht für die schlechte Stimmung verantwortlich, sondern das seid ihr“, sagte „Kreisel“. „Ihr geht jetzt nach Hause und überlegt, wie ihr es besser machen könnt. Wir haben die Schnauze voll. Tschüss.“
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