zum Hauptinhalt
Zeitloser Klassiker. Unser Kolumnist Frank Willmann war diesmal in Serbien unterwegs - zum WM-Qualifikationsspiel der serbischen Frauen gegen die isländischen.

© Germ

Willmanns Kolumne: Ich kochen, du Fußball

Internationale Verstrickungen: Unseren Kolumnisten Frank Willmann hat es diesmal ins ferne Serbien verschlagen, zur WM-Qualifikation der Frauen. Natürlich war er auch dort nicht der einzige Deutsche unter den Fleischtopf essenden Groundhoppern.

Letzte Woche habe ich ernst gemacht. Ich brauche manchmal den nötigen Abstand zur Entscheidungsfindung. Reitstunden nehmen, oder besser doch gleich ins Kloster? Kindliche Gefühle, verwunschene  Gärten, feministische Fiktionen. Alle Welt war vollkommen überrascht, als ich im Stadion von FK Obilic Belgrad erschien. Um mein erstes Frauenfußballspiel zu sehen. WM Qualifikation. Serbien gegen Island. Wird ein Liebeshändel daraus?

Ausgerechnet im Stadion von Obilic, dem einstigen Club von Arkan, alias der Schlächter vom Balkan. Der Bösewicht war im Jugoslawienkrieg Anführer der weißen Tiger. Eine paramilitärische Organisation, stiernackige Zombies fürs Grobe. Der kleinwüchsige Arkan erlangte im Krieg großen Reichtum und kaufte sich seinen Lieblingsclub, den er zu Meisterehren führte und zur Geldwäsche nutzte. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ermittelte gegen ihn wegen Völkermordes. Im Jahr 2000 holte ihn sein Schicksal in Form einer Kugel ein. Er war diversen Personen zu gefährlich geworden. Seither ging es mit FK Obilic Belgrad abwärts. Im halbfertigen Stadion des aktuellen Fünftligisten, lagernd am Popo der Tabelle, stoben nun zarte isländische Elfen über den Rasen. Die erste Erkenntnis: Nicht alle Isländerinnen sind blond.

Die zweite Erkenntnis: nicht einmal bei einem abgefuckten Qualispiel ist man als Deutscher allein. Ich war mit zwei Altgroundhoppern unterwegs. Bei ihnen kamen komische Gedanken hoch. Das verdammte Hoppervolk abschwarten (westsächsisch für verkloppen). Um wenige Minuten später mit tiefer Betroffenheit und Reue festzustellen, wir sind auch nix anderes als Hopper. Die dritte Erkenntnis: Freier Eintritt. Wohl um das eh schon bescheidene öffentliche Interesse nicht zu schmälern. An der Außenmauer des Stadions prangt noch immer ein verwaschenes Portrait von Arkan. Konsequent nagt der Zahn der Zeit an diesem Überbleibsel. Das hat fast schon symbolischen Charakter. Serbien will irgendwann in die Bundesliga, alias EU. Da passen alte Henkersknechte nicht gut ins Bild vom lieb gewordenen Serbien. Das Stadion liegt inmitten eines Wohngebiets. Das erlaubt in Momenten der Muße tiefe Blicke in den Alltag der umliegenden Behausungen. Uns hatten es ganz besonders die fantasievollen Wintergärten der Hochhäuser angetan. Wir stellten, während des zugegebenermaßen etwas zähen Ringens der Amazonen, allerhand Mutmaßungen über den Bienenfleiß der Wintergartenerbauer an.

Dann holte uns ein isländischer Kunstlupfer in die Wirklichkeit zurück. Sieben blonde und vier brünette Isländerinnen jauchzen froh. Ein Funktionär schlenkerte mit den Armen.

Frauen kommen schlechter mit dem Fußball klar als Männer, stellte die dickwanstige Wurstfee kategorisch fest. Sie stillte in ihrem Büdchen in der Halbzeitpause unseren rechtschaffenen Hunger mit Köstlichkeiten aus ihrem Fleischtopf. Wir blieben stumm, schüttelten indessen innerlich den Kopf. Alle modernen Fußballerklärer sind natürlich Feministen. Das ist ein Gebot der Zeit. Frauenfußball als Versöhnung im Kampf der Geschlechter. Früher hieß es ich Tarzan, du Jane. Heute heißt es ich kochen, du Fußball. Das Leben ist, je nach Betrachtung, eine Komödie oder eine Tragödie. Ich habe mich für die Illusion der Komödie entschieden. Mit leicht buddhistischem Touch. Den erreicht man im fünfzigstem Lebensjahr.

Wie jeder weiß, stehen echte Frauenfußballfans und singen laut und ausdauernd während des Spiels. Das war auch in Belgrad so. Teilweise. Von handgezählten dreiundachtzig Zuschauern standen immerhin drei. Ok, sie schwiegen. Aber sie standen. Meistens. Im überdachten und vollverglasten Teil der Tribüne. Sie sahen wie Funktionäre aus. Wie verdammte Funktionäre. Wie furchtbar muss sich so ein unbedeutendes, langweiliges Spiel für Fifa- und sonstige Bonzen anfühlen? Versteckt hinter einer schmutzigen Glaswand. Dahinter knapp achtzig Supporter, von denen die Hälfte deutsche Hopper sind? Anstatt bei einem vollbesetzten Derby Huldigungen entgegen zu nehmen. Und nach Spielende melodiöse Weisheiten, in Bezug auf moralische Grundsätze, in eines der dutzendhingereichten Mikrophone zu hauchen. Im hiesigen Stadion nicht mal zehn Polizisten, die apathisch an ihren Schlagknüppeln nagten. Die Mehrheit der Zuschauerinnen war unter achtzehn Jahre alt. Ob sie zwangsverpflichtet waren?

Einige hielten in ihren grazilen Händen Zigaretten der Marke Eve. Obgleich Nichtraucher, rüsselten wir den ausgestoßenen Nikotinschwaden nach. Im Schatten der jungen Mädchenblüte führten wir uns galant und wohlfeil auf. Wir plauderten distinguiert über Themen des öffentlichen Interesses. Leider durchbrachen wir das Phlegma der jungen Damen nicht. So schauten wir stoisch den kickenden Serbinnen zu, die wiederum einem 2:0 Vorsprung  der Damen des Nordens hinterher liefen. Auf dem Platz wurde wenig gemault. Schauspiel- und Jammereinlagen, die uns in höheren deutschen Ligen schurigeln, kamen nicht vor. Es ging langsam zu, aber immer fair. Kein Zickenterror Herkunftszeichen Klopp. Keine verzärtelten Redensarten. Wohlklingendes, angespanntes Damenkeuchen schwappte über den Ground. Ab und an unterbrochen von zaghaften vaterländischen Gesängen seitens der Heimfans. Immerhin führten die Arien zum 1:2. Wenn man es so will, war es reiner, epischer Fußball.

Die beste Fußballschule ist das Spiel selbst, soll einst Tito gesagt haben. In einem Akt der Demut senkten wir die Köpfe und beobachteten die Isländerinnen, die nach dem Schlusspfiff die süßen Früchte des Sieges genossen.

Zur Startseite