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Sport: IN DER DDR-DOPINGPRAXIS IST EINE NEUE EBENE ERREICHT: Mit Suchtmitteln zum Weltrekord

BERLIN .Die Zeit galt als Sensation.

BERLIN .Die Zeit galt als Sensation.In 59,78 Sekunden pflügte Christiane Knacke am 28.August 1977 durchs Wasser - Weltrekord über 100 m Schmetterling, eine herausragende Bestmarke.Die prestigesüchtige DDR hatte mal wieder einen sportlichen Erfolg.Daß hinter solchen Highlights massiver Einsatz der Dopingmittel Oral-Turinabol und Nandrolon stand, ist sattsam bekannt.Aber Christiane Knacke hatte vor ihrem Rennen beim Duell mit den USA unwissentlich noch eine Substanz in ihrem Körper, und die gibt der ganzen Dopingproblematik eine neue Dimension.Die damals 15jährige hatte Pervitin im Blut, ein Aufputschmittel, das süchtig machen kann.Pervitin ist "müdigkeitsverscheuchend, stark belebend und stundenlang kreislaufanregend" ("Chemielexikon Hermann Römpp"), kann aber vor allem zu Abhängigkeit führen.Westlich der Mauer wurde das Zeug als "Speed" verkauft.Und weil es zur Sucht führen kann, war es sowohl in der DDR als auch in westlichen Ländern verboten.In der DDR unterlag der Pervitineinsatz den besonderen Rechtsvorschriften über den Verkehr mit Suchtmitteln.Früher benutzten oft Prostituierte Pervitin, um ihren Job durchzuhalten.

Der fatale Entschluß, Pervitin einzusetzen, fiel bei einer Expertenrunde im November 1976 in Leipzig.An dem Runden Tisch nahmen unter anderem Dieter Binus, Sektionsarzt beim SC Dynamo Berlin, der hochrangige Dopingforscher Winfried Schäker und Verbandsarzt Lothar Kipke teil.Binus sitzt derzeit im Dopingprozeß auf der Anklagebank.Über die Runde berichtete ausgerechnet sein derzeitiger Banknachbar, Bernd Pansold alias "Jürgen Wendt", früher Chefarzt an der Sportärztlichen Hauptberatungsstelle in Ost-Berlin: "In einer Anordnung über den (...) Schwimmländerkampf gegen die USA wurde festgelegt, daß in der Vorbereitung ein Präparat der Pervitinreihe zur Anwendung kommen soll.Es handelt sich dabei um ein eindeutiges Dopingmittel, und Dr.Schäker schätzte ein, daß bei der Anwendung Schädigungen nicht ausgeschlossen werden können." Nur Rolf Gläser, damals Nationalmannschaftstrainer und heute einer der Angeklagten im Dopingprozeß, war damit nicht einverstanden.Denn Pervitin sollte die üblichen Mittel ausnahmslos ersetzen, doch Gläser war "sicher, daß die Olympialeistungen ohne Anabolika nicht zu realisieren sind".Die Vorwürfe treffen aber vor allem Binus.Er war nach Aktenlage der einzige Arzt, der vor dem USA-Länderkampf die DDR-Schwimmerinnen betreute.Und damit käme nur er für die Weitergabe von Pervitin in Frage.Den Aufputscher hatte nach Aktenlage auch die Topschwimmerin Carola Nitschke im Blut.

Der Pervitin-Einsatz wurde im Kreis der Mitwisser als Geheime Kommandosache behandelt.Denn Suchtmittel zur Leistungssteigerung, das war selbst dem Chef-Doper der DDR, Manfred Höppner, zuviel.Ihn ärgerte es schon lange, daß beim SC Dynamo an den offiziellen Vorgaben vorbei mit Doping experimentiert wurde.Höppner hatte einen Wink bekommen, wandte sich daraufhin an Manfred Ewald, den obersten Sportfunktionär der DDR, und schlug überraschende Dopingkontrollen bei den DDR-Schwimmerinnen vor.Die brachten die betroffenen Schwimm-Funktionäre in größte Verlegenheit."Auffällig war", notierte Höppner alias "IM Technik" in einem Stasi-Bericht am 12.Oktober 1977, "daß der Generalsekretär sich gegen diese plötzlich durchgeführten Kontrollen stellte und erreichte, daß etliche Athleten wegen angeblicher Zeitschwierigkeiten nicht zur Abnahme kamen." Es büxten aber nicht genügend Athletinnen aus.Höppner: "Unser Hinweis hat sich bestätigt, daß in den Befunden klassische Dopingmittel aus der Pervitinreihe festgestellt wurden".

Am 26.Oktober legte Höppner nach.Ihm wurde zu wild mit Verbotenem experimentiert.Außer Pervitin, beklagte sich Höppner in einem Brief an Manfred Ewald, den obersten Sportfunktionär der DDR, würden noch zusätzlich androgene Steroide eingesetzt.Die Dynamo-Schwimmerin Andrea Pollack wurde prompt intern positiv getestet, und ihre Klubkollegin, die Kugelstoßerin Ilona Slupianek, 1977 beim Europapokal spektakulär als Dopingkonsumentin überführt.Der zornige Ewald, schrieb Höppner, "beabsichtigt, über dieses Vorkommnis mit dem Genossen Minister (Stasi-Chef Mielke - d.Red.) zu sprechen".Und mit einiger Genugtuung dürfte Höppner im gleichen Bericht geschrieben haben, daß Ewald "im internen Kreis erklärte, daß bei der Leitung von Dynamo und anderen Klubs die größten Betrüger sitzen würden (...)."

Wäre jetzt natürlich interessant zu wissen, ob Mielke wußte, daß auch die Spieler seines Lieblingsklubs BFC Dynamo bei einer Partie gegen ein Leipziger Team unter Pervitineinfluß standen.Laut eines Analyseberichts von Claus Claußnitzer, dem Leiter des Dopinglabors in Kreischa, fanden sich nach der Partie bei sieben Spielern Spuren des Suchtmittels.Einer davon war einer der prominentesten Fußballer der DDR: Torhüter Bodo Rudwaleit.

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