Sport: In Erwartungshaltung
Deutsche bei Schwimm-WM zwischen Dopingbekämpfung und Erfolgsdruck
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Berlin - Die Geschichte mit der Lichttherapie ist ein alter Hut. „Ach“, sagte Örjan Madsen, der Cheftrainer des Deutschen Schwimmverbands(DSV), „Manager, die viel über Atlantik und Pazifik fliegen, machen das schon lange.“ Die deutschen Spitzenschwimmer sind gerade nach Australien geflogen, zur Weltmeisterschaft in Melbourne, also machen sie es auch. Sie setzen sich vor ein Gerät, das sehr starkes Licht ausstrahlt, tragen dabei dunke Brillen und hoffen, dass sie dadurch den Jetlag verkürzen können. Zwei Tage vor der Abreise muss man mit dem Gerät arbeiten, zwei Tage nach der Landung auch, so steht es in der Gebrauchsanleitung. „Damit wird die innere Uhr schneller umgestellt“, sagte Madsen vor der Abreise.
Nichts Geheimnisvolles also, was die Deutschen da treiben. Das hätte ihnen beim Deutschen Schwimmverband (DSV) gerade noch gefehlt, dass jetzt auch noch über irgendwelche ominösen Therapien spekuliert wird. „In amerikanischen und australischen Schwimmforen im Internet wird schon seit Wochen heftig über die Deutschen diskutiert und über ihre Spitzenzeiten gerätselt“, sagt Jürgen Fornoff, der Generalsekretär des Deutschen Schwimmverbands. Der Dopingverdacht schwingt mit.
Am Sonntag beginnt die WM, in der ersten Woche sind die Springer und die Langstreckenschwimmer dran, aber das Hauptinteresse gilt natürlich den Beckenschwimmern. Die Deutschen rücken mit Britta Steffen an, Weltrekordlerin über 100 Meter Freistil, sie rücken mit zwei Frauen-Freistil-Staffeln an, die bei der EM spektakuläre Weltrekorde geschwommen sind, sie rücken mit der 200-Meter-Freistil-Spezialistin Annika Lurz an, die als 27-Jährige aus der Unauffälligkeit in Weltrekordnähe vorstieß. Wie geht das?, fragen ausländische Experten und Medien.
Mit sauberen Mitteln, antwortet Madsen. Er forciert einen beispiellosen Anti-Doping-Kampf. Der Cheftrainer und Sportdirektor hat Blutprofile aller Topathleten erstellen lassen, er lässt ihnen vor und nach jedem Trainingslager Blut abnehmen, weil man so leichter Epo-Missbrauch nachweisen kann. Er hat die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) um häufigere Kontrollen gebeten, er hat Blut- und Urinproben einfrieren lassen, um nachträgliche Untersuchungen zu ermöglichen. „Wir wollen jeden Verdacht im Keim ersticken“, sagt er. Britta Steffen bat um häufigere Besuche von Dopingfahndern. Seit November ist sie sechs Mal getestet worden.
Aber Madsen ist zugleich auch der Mann, der enorme Erwartungen formuliert. Der Norweger will die WM-Bilanz von 2005 übertreffen, die sechs Medaillen (dreimal Silber, zweimal Bronze, und einmal Gold durch Brustschwimmer Mark Warnecke) auswies. „Wenn die beiden Freistil-Staffeln der Frauen keine Medaille holen sollten, wäre ich schon enttäuscht“, sagt er. Und: Jeder müsse sich gegenüber der EM in Budapest noch steigern. Madsen redet von Melbourne, aber er denkt natürlich auch an Peking, die Olympischen Spiele. Er denkt an Medaillen, an Gold natürlich auch, er denkt an Weltklassezeiten. Britta Steffen sagt schon: „Ich rechne damit, dass der Weltrekord über 100 Meter Freistil gebrochen wird.“ Von ihr möglicherweise.
Aber diese Weltklassezeiten schwimmen auch Athleten, in deren Ländern der Anti-Doping-Kampf lächerlich ist. Oder zumindest weit weniger forciert wird als in Deutschland. Und die damit Dopingdiskussionen auslösen. Gegen solche Leute sollen die Deutschen gewinnen, aber gleichzeitig überzeugend als Missionare des Anti-Doping-Kampfs dastehen? Diese Problematik zwingt Madsen zu einem besonderen Spagat. Mit jedem neuen Weltrekord kommen noch mehr Fragen, und dann muss der Sportdirektor noch engagierter die Liste seiner Anti-Doping-Maßnahmen referieren.
Madsen kennt die Problematik, er könne damit umgehen, sagt er. Mehr als absolute Transparenz könnten die Deutschen nicht leisten. Er lässt härter, intensiver, professioneller trainieren als früher. Damit erklärt er die Erfolge, so seien sie einigermaßen zu berechnen. Bei der Lichttherapie aber sagte er bloß: „Wir hoffen, dass es etwas hilft.“
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