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Israel Gonzalez, 46, ist seit Beginn der Vorbereitung Headcoach von Alba Berlin.

© Contrast/Imago

Neue Saison, neuer Headcoach: Israel Gonzalez' Traum wird wahr

Alba Berlin startet am Donnerstag mit einem neuen Trainer in die Saison. Wer ist dieser Israel González, der vier Jahre an der Seite des legendären Aíto stand?

Der Zauber eines Anfangs wurde seit Hermann Hesse oft beschworen, aber in dieser Basketballhalle ist davon nichts zu spüren. Es ist ein Montag Ende August, 17.30 Uhr, erstes Training der Saison 2021/22 mit dem gesamten Kader von Alba Berlin, nun sind auch die Olympia-Teilnehmer aus dem verdienten Urlaub zurück.

Gerade hat ein Fotograf das Trainerteam ins Bild gerückt, fünf Männer, neu eingekleidet, dunkelblaue Poloshirts, sandfarbene Hosen. In der Mitte stand Israel González, der neue Headcoach, suchte nach dem passenden Gesichtsausdruck und entschied sich für freundlich-verlegen. Jetzt klatscht der Athletiktrainer in die Hände, 20 Minuten aufwärmen: dehnen, hüpfen, rennen. Später werden Passfolgen und die ideale Bewegung in der Defensive einstudiert.

González hat sich eine gelbe Trillerpfeife um den Hals gehängt, sie gehört zu den Insignien des Chefs. Er korrigiert die Stellung der Füße, macht die richtige Armhaltung vor, ruft „not be lazy“. Um 19.24 Uhr kommen alle in der Mitte des Spielfeldes zusammen. González sagt: „Wir müssen die einfachen Dinge immer wieder üben, wir müssen die Basics lernen. Ich möchte, dass Ihr darüber nachdenkt. Wenn Ihr etwas nicht versteht, kommt zu mir. Wir haben nicht viel Zeit.“ Die erwartete feierliche Antrittsrede hat keine Minute gedauert.

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Statt Zauber des Neuen also sportlicher Pragmatismus. Und ganz nebenbei ist leise eine Ära zu Ende gegangen, die Ära Aíto. Vor vier Jahren hatte Sportdirektor Himar Ojeda die spanische Legende nach Berlin lotsen können. Da war Aíto bereits 70 Jahre alt und neben seiner Sammlung von Meistertiteln mit dem Ruf ausgestattet, Förderer von jungen Spielern zu sein, die in der NBA zu Superstars gereift sind. Ein Lehrer mit einer sehr freien Idee des Lernens, die er stets mit kargen Sätzen erklärte: Für ihn sind Ergebnisse oder die Spielweise der Gegner zweitrangig, alle Spieler müssen jeden Tag ihr grundlegendes Verständnis von Basketball vertiefen – das hilft gegen jede Mannschaft.

Und Aíto Garcia Reneses traf bei Alba auf einen Verein, der dieser Spielidee bereits das Fundament gegossen hatte. Mit einer breit angelegten Kinder- und Jugendarbeit und dem Wunsch, die Besten davon zu Profis zu entwickeln. Es würden schon aus finanziellen Gründen keine ausgebufften Euroleague-Spieler geholt werden können, sondern hoffnungsvolle Jungprofis, die ausgebufft werden können. Das passte. Jeder einzelne Spieler wurde besser, einige in erstaunlichem Tempo; manche folgten dem Lockruf des Geldes und wanderten weiter.

Vier Jahre lange lernte Israel Gonzalez an Aitos Seite

Der neue Geist, der das Spiel von Alba belebte, war erfolgreich: Aus dem Stand wurden sechs Finals erreicht, wenngleich verloren, dazu kamen ein Pokalsieg und zwei nationale Meistertitel; Trophäen, die Klubmanager Marco Baldi schlicht „ein Wunder“ nennt. Das Publikum erfreute sich an einem schnellen, nicht schablonisierten Basketball, bei dem Spieler mit großem Vertrauen ausgestattet werden und angeregt sind, die besten Optionen selbst zu finden. An der Seitenlinie stand da dieser ältere entspannte Herr, ohne je zu brüllen oder wild zu gestikulieren – ein zeitgemäßer Nachfahre der weisen Stoiker.

Cheftrainer stehen im Rampenlicht, berühmte zumal. Sie werden von Medien befragt und von Kameras beobachtet, während der Auszeiten lauschen Mikrofone an Teleskopstangen ihren Anweisungen. Dabei geht unter, dass auch Aíto in einem Team gearbeitet hat und sich gern auf Spanisch mit dem Mann besprach, der stets unauffällig neben ihm saß: Israel González. Diese Konstellation war nicht für die Ewigkeit gebaut, bei einem Alter von 70 plus und den Reisestrapazen in BBL und Euroleague. Bereits vor der vergangenen Saison wurde der Assistent González zum „Associate Headcoach“ ernannt, was an seiner Arbeit nichts änderte, vielmehr dem Wunsch des Vereins nach Kontinuität für eine kommende Post-Aíto-Zeit entsprang.

Israel Gonzalez arbeitete insgesamt sechs Jahre als Assistent an der Seite des großen Aito Garcia Reneses.
Israel Gonzalez arbeitete insgesamt sechs Jahre als Assistent an der Seite des großen Aito Garcia Reneses.

© Camera4/imago

Ein Virus beschleunigte vieles. Um Weihnachten infizierte sich Aíto und musste sich für einige Wochen zurückziehen. Elf Spiele lang coachte sein Co ein durch Verletzung wichtiger Spieler stark dezimiertes Rumpfteam, das siebenmal gewann. Marco Baldi, von seinem Platz hinter der Bande die Bank von Alba stets bestens im Blick, sah einen souveränen González: „Er wirkte glücklich, er fühlte sich wohl.“

Und wenn man mit Jonas Mattisseck spricht, der in seinen dreieinhalb Jahren bei den Profis nur einen einzigen Headcoach kennenlernte, so folgt für den 21-Jährigen die aktuelle Lösung nur der inneren Logik der Vereinsphilosophie: „Alba entwickelt nicht nur junge Spieler, es wurde auch über Jahre ein Trainer aufgebaut.“

Wer aber ist dieser Israel González, der nun mit 46 Jahren die sportlichen Geschicke eines Traditionsvereins lenkt? „Trainer zu sein war immer mein Traum“, sagt er. Auf welchen Wegen hat er sein Ziel erreicht?

Ojeda und Gonzalez lernten sich 1993 im Studium kennen

Man kann sich die Antworten bei González einholen wie auch bei Himar Ojeda, und wenn man die beiden Erzählungen miteinander verschränkt, ergibt sich diese Geschichte:

Aufgewachsen ist Israel González in Torrelavega, einer Industriestadt im Norden Spaniens, Region Kantabrien mit der Hauptstadt Santander. Die Familie ist fußballverrückt, der Großvater kickte als Profi bei Atlético Madrid, dem Vater verdarb ein kaputtes Knie den Vertrag mit Real. Nur Israel entpuppt sich als oveja negra, als schwarzes Schaf, ihn zieht es zum Basketball; ein Point Guard mit 1,87 Metern. Zum Studium wechselt er im September 1993 nach Gran Canaria, seine Lieblingstante lebt dort. Science of sport and physical activities an der Universität Las Palmas.

Gleich am ersten Tag trifft er auf einen Studenten, der ihn fragt: „Welche Sportart treibst Du denn?“ – „Basketball.“ – „Ich auch, ich trainiere eine U12 und suche einen Assistenten, hast du Lust?“ Der andere heißt Himar Ojeda, und dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Sie studieren, der drei Jahre ältere Himar coacht mittlerweile eine U18, dann eine U20, Israel ist als Athletiktrainer dabei.

Mit dem Diplom im Gepäck zieht es González fünf Jahre später mit einem Erasmus-Stipendium nach England, Cheltenham, obwohl er „für diese Sprache kein Talent“ hat. Er lernt Zwiebeln schneiden und arbeitet als Koch, dann als Lehrer in seiner Heimat, ehe ihn die Liebe für zwei Jahre nach Mailand führt, wo er in einer Bibliothek und dem Touristenbüro jobbt. Doch egal, wo er auch steckt, er trainiert nebenbei ein Basketballteam, C-Liga, Mädchen, Junioren.

Zurück in Santander gewinnt er 2001 als Coach mit dem Juniorenteam die Meisterschaft. Sein Freund Himar, längst im Profibasketball fest verwurzelt, vermittelt dem Teilzeitlehrer einen Job als Co-Trainer beim Erstligisten Cantabria Lobos. Als Pablo Laso später Headcoach von Alerta Cantabria wird, einem Klub aus der ACB, der besten Liga Europas, macht er Israel González für zwei Jahre zu seinem Assistenten. Laso trainiert heute Real Madrid, der einstige Point Guard hält noch immer die ACB-Rekorde für die meisten Assists und die meisten Steals in einer Saison. González lässt nun endgültig seinen Lehrerberuf sausen, „Pablo Laso“, sagt er, „hat mich zum Profi gemacht“. Er habe ihm gezeigt, dass man „hochkonzentriert und trotzdem mit viel Spaß trainieren kann“.

„Aíto ist ein Genie, ich bin keines, ich habe Methoden“

Wenn man Israel Joaquín González Nuñez, so sein vollständiger Name, zum Gespräch trifft, sitzt da ein ruhiger und in sich ruhender Typ. Die dunklen Haare sind zur Seite gekämmt, unterm Hemd wölbt sich ein Bäuchlein, der Blick ist wach. Einer, der eher schmunzelt als laut lacht, einer, der im selben Moment bescheiden und selbstsicher wirken kann. Er sagt dann Sätze wie: „Ich bin keine Kopie von Aíto, ich habe nur dieselbe Idee von Basketball wie er. Aíto ist ein Genie, ich bin keines, ich habe Methoden.“

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Himar Ojeda, der schon wieder, war 2009 Sportdirektor des ACB-Teams von Gran Canaria. Anruf bei González, ob der nicht Individualtrainer der Profis und Coach der U20 werden wolle. Was für eine Frage! Fünf Jahre assistiert er Pedro Martínez in Las Palmas („methodisch gut“), zwei Jahre Aíto („eine neue Welt“), ein Jahr Luis Casimiro („taktisch innovativ“). Der Assistenztrainer hatte damit, sagt Ojeda, „die bestmöglichen Vorbilder.“

Das nächste Mal ruft Aíto selbst bei Israel González an, 2017 ist das. Er werde Alba Berlin als Trainer übernehmen, Himar sei dort mittlerweile Sportdirektor, und er bräuchte die Hilfe eines Vertrauten, um dort seine Spielidee umsetzen zu können. Er, Aíto, sehe in Israel einen künftigen Headcoach und wolle ihn unterstützen, das weiter zu erlernen. Vier gemeinsame Spielzeiten, in denen González sich im Training vor allem um die Big Men kümmerte, in denen er für jeden Spieler kurze Videoclips vom vorigen Spiel zusammenstellte und sie einzeln besprach: „Hier kamst Du in der Verteidigung zu spät zu Hilfe, dort hättest Du besser einen Meter weiter vorn stehen sollen.“ Kleine, wertvolle Reminder, wie Center Johannes Thiemann das nennt.

Im vergangenen Winter musste Israel Gonzalez den an Covid-19 erkrankten Aito bereits mehrere Wochen lang vertreten, nun ist er dauerhaft der Chef.
Im vergangenen Winter musste Israel Gonzalez den an Covid-19 erkrankten Aito bereits mehrere Wochen lang vertreten, nun ist er dauerhaft der Chef.

© Camera 4/Imago

Und das ist González nun – Headcoach. Am Donnerstag (20.30 Uhr, Magentasport) startet er mit seiner Mannschaft in der Arena am Ostbahnhof gegen die Baskets Bonn in die neue Saison. Unterstützt von einem bewährten Team, das schon dem Altmeister zur Seite stand: Sebastian Trzcionka (Assistent), Pepe Silva (Athletik), Carlos Frade (der schon in Gran Canaria mit dabei war: Individual), Thomas Päch (Assistent; der Rückkehrer schließt die Lücke, die González hinterlässt, er war bereits bei Obradović und Aíto aktiv). So wie Alba anstrebt, Spieler über mehrere Jahre an sich zu binden, so ist dieser Trainerstab ein Muster an Kontinuität.

Die Erwartungen bei Alba, meint Marco Baldi, seien hoch, „das ist das Selbstverständnis unseres Klubs“. González selbst sieht in seiner Aufgabe „mehr Freude als Stress“. Und Sportdirektor Ojeda schickt, als Bestätigung oder Prophezeiung, drei spanische Namen per SMS: Carles Durán, Sito Alonso, Diego Ocampo. Sie alle waren mal Aítos Assistenten und wurden angesehene Cheftrainer.

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