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Israels Olympia-Chefin über die deutsche Bewerbung: „Das Münchner Attentat ist bis heute sehr hart für uns“
Yael Arad war die erste Israelin, die eine olympische Medaille gewann. Hier spricht die NOK-Präsidentin über die Zeit seit dem 7. Oktober, Boykott-Forderungen und verweigerte Handschläge im Sport.
Stand:
Frau Arad, Sie waren 1992 die erste israelische Sportlerin, die eine olympische Medaille gewann. Damals holten Sie Silber. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Das war ein Moment des absoluten Glücks, etwas ganz Besonderes. Ein Jahr zuvor hatte ich bei der WM den dritten Platz belegt, danach war der Druck sehr groß. Ständig wurde ich in Israel auf der Straße angesprochen und von fremden Menschen umarmt, die mir viel Erfolg wünschten. Angesichts dieser hohen Erwartungen war ich sehr nervös.
Man hat nur einen Tag, um seine beste Leistung zu zeigen. Als ich dann die Silbermedaille holte, fiel der ganze Druck ab. Ich sprang herum, umarmte meinen Coach, die Zuschauer – die Freude war gigantisch. So ein Gefühl vergisst man sein Leben lang nicht. Das gibt viel innere Stärke.
Sportarten wie Basketball oder Fußball haben eine große Bedeutung in Ihrem Heimatland. Welchen Stellenwert hat Judo in Israel?
Judo ist sehr populär und hat eine wichtige kulturelle Bedeutung. Jedes zweite oder dritte Kind probiert Judo aus. Es gibt zahlreiche Vereine und Trainer. Die infrastrukturellen Hürden sind niedrig, es ist leicht einen Judoverein zu gründen.

© IMAGO/Xinhua
Deutschland will sich für die Austragung der Olympischen Sommerspiele bewerben. Was halten Sie von dieser Idee?
Die Olympischen Spiele auszutragen ist eine großartige Idee – auch wenn es für die jeweilige Stadt mit einem enormen Aufwand verbunden ist.
Deutschland richtete bereits zweimal die Olympischen Spiele aus, 1936, während Hitler an der Macht war, und 1972, als es das verheerende Attentat gab. Das war damals sehr hart für uns Israelis und ist es bis heute.
Dennoch glaube ich fest an die deutsch-israelische Beziehung, auch im Sport. Deutschland hostet zahlreiche Sportevents und spielt innerhalb Europas eine zentrale Rolle. Es liegt nahe, dass so eine Nation erneut die Olympischen Spiele ausrichten möchte.
Also unterstützen Sie eine Bewerbung?
Da ich Mitglied des IOC bin, wäre es nicht anmessen, mich speziell zu diesem Thema zu äußern oder meine Meinung über die allgemeinen Grundsätze hinaus zu vertreten.
Aber seit meiner Silbermedaille in Barcelona war ich bei allen Olympischen Spielen dabei. Ich weiß, wie viel Aufwand damit einhergeht. Insofern bin ich froh über jedes Land, das diese Mühe auf sich nehmen möchte.
Wir haben es geschafft, Vertrauen zwischen Deutschland und Israel aufzubauen.
Yael Arad
Welche Reaktionen erwarten Sie in Israel, sollten die Spiele in Deutschland ausgetragen werden?
Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind sehr gut. Man kann die Vergangenheit nicht löschen. Die Erinnerung an den Holocaust wird für unsere Nation immer sehr schwer sein.
Aber wir haben es geschafft, Vertrauen zwischen Deutschland und Israel aufzubauen. 2022 jährte sich das Attentat in München zum 50. Mal, das für den israelischen Sport und die betroffenen Familien mit viel Schmerz verbunden war. Bundespräsident Frank Steinmeier hielt eine Rede und entschuldigte sich. Deutschland unterstützt außerdem die betroffenen Familien. Die Wunden bleiben immer offen, aber wir versuchen nach vorne zu schauen.
Sie haben Ihre Silbermedaille damals den Opfern des Attentats gewidmet.
Während meiner Vorbereitung habe ich oft an das Massaker gedacht. Zwei Wochen vor den Spielen besuchte ich die Familien, die mir ihre Geschichten erzählten. Ich versprach ihnen, nie zu vergessen und die Erinnerung an ihre Angehörigen mit zu den Olympischen Spielen zu nehmen.
Genau das tat ich: Auf dem Siegerpodium widmete ich meine Medaille den Opfern und ihren Familien. Ich erzählte den hunderten Journalisten bei der anschließenden Pressekonferenz, dass der israelische Sport auch 20 Jahre nach dem Attentat noch da ist. Wir konnten den traurigsten Tag des israelischen Sports mit dem glücklichsten Tag verbinden. Das war sehr bedeutungsvoll.
Bei den Spielen in Paris im vergangenen Jahr waren die Sicherheitsvorkehrungen für israelische Sportler aufgrund der Terrorgefahr extrem hoch. Inwiefern hat das das Erlebnis Olympia beeinflusst?
Die französischen Behörden und viele andere Länder waren sehr kooperativ und haben uns unterstützt. Es war wunderschön zu sehen, wie alle die gleichen Ziele verfolgten und einander halfen, insbesondere nach dem 7. Oktober.
Unsere Athleten sind die hohen Sicherheitsvorkehrungen gewöhnt. Sie sind oftmals sehr jung, aber sie wachsen in dieser Umgebung auf.
Wir haben innerhalb des Olympischen Komitees mehrere Arbeitsgruppen, in denen die Trainer und Athleten lernen, mit dem Stress umzugehen und sich trotzdem auf den Sport zu konzentrieren. Neben Medizinern und Physiotherapeuten haben wir 20 Mentalcoaches, die das ganze Jahr über sowie vor und während der Spiele eng mit den Sportlern zusammenarbeiten.
Wie ist es jetzt, ein Jahr später, bei internationalen Wettbewerben?
Das Leben in Israel ist nicht einfach, und jeder ist traumatisiert und von der Situation beeinträchtigt.
Aber ich bevorzuge es, auf die positiven Dinge zu schauen: Wir haben viele Freunde und eine besondere Kultur innerhalb der olympischen Bewegung. Wir müssen weiterhin freundlich und fair miteinander umgehen und dürfen nicht zulassen, dass Politik darin eine Rolle spielt.
Wir möchten gegen alle Nationen antreten und allen Athleten Respekt entgegenbringen.
Yael Arad
Einigen israelischen Athleten und Athletinnen wird der Handschlag verweigert, iranische Sportler treten gar nicht erst gegen sie an. Wie gehen Ihre Sportler damit um?
Sport ist eine eigene Sprache. Eine Sprache des Respekts und der Freundschaft. Auf der Matte, im Schwimmbecken oder im Stadion ist man Konkurrent, daneben ist man Freund.
Genau das bringen wir unseren Athleten ab dem Kindesalter bei. Wir möchten gegen alle Nationen antreten und allen Athleten Respekt entgegenbringen, indem wir ihnen den Handschlag geben. Wenn andere das nicht tun, ist das ihre Entscheidung. Dann bedeutet das, dass sie andere Wertevorstellungen in die Arena mitbringen als wir.
Das sagen wir auch unseren Athleten: Man muss lernen, die eigenen Gefühle zu kontrollieren und gleichzeitig Respekt zu zeigen. Dafür braucht es viel innere Stärke.

© Luis Robayo/AFP/dpa
Wie ist der Umgang innerhalb des IOC?
Ich liebe die Kultur des IOC. Ich wünschte, jede weltweite Organisation wäre so. Ich denke, 99 Prozent der Verbände, wenn nicht sogar alle, handeln nach den olympischen Werten. Die Menschen verstehen, dass Olympia eine feste Brücke ist, die wir bewahren wollen – insbesondere angesichts der vielen Probleme auf der Welt.
Das Nationale Olympische Komitee (NOK) Palästinas forderte den Ausschluss Israels von den Spielen. Ähnliche Forderungen gibt es vom palästinensischen Fußballverband. Was sagen Sie dazu?
Unterm Strich nimmt Israel an sportlichen Wettbewerben auf der ganzen Welt teil und unsere Sportler sind erfolgreich und bringen den richtigen Geist mit.
Das ist unser Weg. Wir respektieren alle Nationen und Nationalen Olympischen Komitees. Ich wünsche mir, dass die Palästinenser das genauso tun.
Viele Wettkämpfe mussten nach dem 7. Oktober ins Ausland verlegt werden, beispielsweise von den Basketballern von Maccabi Tel Aviv. Welche Auswirkungen hat das auf den israelischen Sport insgesamt?
In Israel lieben wir Sport und wir lieben es, Sportevents auszurichten. Aber die Sicherheit der Athleten hat oberste Priorität. Deshalb haben wir das Turnfest, das kürzlich in Israel stattfinden sollte, nach Leipzig verlegt.
Das ist nicht leicht: Es ist mit zusätzlichen Kosten verbunden und weniger Fans kommen zu den Spielen. Aber eine Sache, die ich über Israelis gelernt habe, ist: Wir verschwenden keine Energie damit, über Dinge zu weinen, die schwer sind. So ist eben die Situation. Es wird hoffentlich bald eine Zeit kommen, in der der Krieg vorbei ist und die Wettbewerbe wieder in Israel stattfinden können.
Auch einige Sportler haben beim Terrorangriff der Hamas Angehörige verloren …
Ja, es gibt viele schmerzhafte Geschichten und diese zeigen auch die Resilienz der israelischen Bevölkerung. Wir sind ein winziges Land und trotzdem haben wir so viel Resilienz.
Sie bezeichnen den Sport als Brückenbauer. Kann das auch in dieser Zeit gelingen?
Es gibt zahlreiche Konflikte auf der ganzen Welt. Trotzdem kommen im Sport alle Nationen zusammen, Athleten aus aller Welt messen sich miteinander.
Wenige Monate nach dem 7. Oktober fanden die Schwimmweltmeisterschaften in Katar in Doha statt. Wir sind dort hingereist, weil wir überzeugt davon waren, dass das zum Athleten-Dasein dazugehört. Auf der anderen Seite haben die Katarer, der Weltschwimmverband und das IOC alle Türen für uns geöffnet und uns unterstützt. So etwas wäre nicht in vielen Bereichen möglich. Der Sport bietet eine Plattform, um zusammen zu sein und zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen.
Sie meinen, der Sport kann auch zum Dialog zwischen den Nationen beitragen, etwa Katar und Israel und womöglich auch Palästina und Israel?
Das hoffen wir. Und wir versuchen es. Dazu gehören immer zwei Seiten. Ich pflege sehr gute Beziehungen zu mehreren arabischen Ländern. Wir kooperieren nicht nur, sondern wir sind befreundet. Teilweise sind es Länder, die keine guten diplomatischen Beziehungen zu Israel haben. Aber im Sport, auf zwischenmenschlicher Ebene, ist das anders. Da ist es leichter, eine gute Beziehung aufzubauen und das macht den Sport so wunderbar.
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