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Herthas Spieler nach dem Schlusspfiff gegen Augsburg.

© imago images/Andreas Gora

„Jetzt müssen wir weiter punkten“: Hertha BSC siegt für den Kopf

Die Mannschaft hat unter größtem Druck ein Erfolgserlebnis gefeiert. Das kann für den weiteren Verlauf der Saison noch sehr wichtig sein.

Am Sonntag war es ein Jahr her, dass Hertha BSC letztmals vor einer großen Kulisse gespielt hat. Vor fast 60.000 Zuschauern hieß es am 7. März 2020 im Olympiastadion 2:2 gegen Werder Bremen. Wegen der Coronavirus-Pandemie gab es anschließend fast nur noch Geisterspiele. Auch am Samstag gegen den FC Augsburg.

In diesem Spiel schoss Dodi Lukebakio in der 89. Minute ein Tor vom Elfmeterpunkt aus, das einen bunten Strauß an Emotionen freisetzte: vor allem Freude und ganz viel Erleichterung.

Die Profis feierten den 2:1-Siegtreffer gegen Augsburg an der Eckfahne vor der Ostkurve. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, was in einem mit Fans besetzten Stadion losgewesen wäre. Wann wieder Zuschauer kommen dürfen, ist derzeit nicht absehbar.

Den Anhängern bleibt nur die Möglichkeit, Hertha BSC auf andere Art zu unterstützen. Mit Plakaten beim Training oder, wie am Samstag vor dem Spiel geschehen, mit einem Spalier am Straßenrand, als der Mannschaftsbus zum Stadion fuhr. „Das war eine schöne Unterstützung“, sagte Trainer Pal Dardai am Sonntagvormittag. Den Rest hatte die Mannschaft wie derzeit immer vor leeren Rängen zu erledigen.

Das gelang ihr diesmal auf dramatische Art und Weise mit Erfolg. In einem Spiel, in dem ein Sieg vorab zur Pflicht erklärt worden war. Wie Dardai nach dem Schlusspfiff erzählte, habe sich der Druck schon beim Abschlusstraining bemerkbar gemacht. Dann passierte im Spiel auch noch das, was auf keinen Fall hätte passieren dürfen: Augsburgs Laszlo Benes traf in der zweiten Minute. „Danach war die Mannschaft gelähmt“, sagt Dardai.

Es drohte das zehnte Spiel nacheinander ohne Sieg und ein weiterer Tiefschlag im Abstiegskampf. Nach Wochen, in denen die vielen Misserfolge bereits nachhaltig für Verunsicherung gesorgt hatten. Stattdessen gab es letztlich den ersten Sieg im sechsten Spiel unter Dardai.

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Ein Beispiel für Herthas Zustand in der ersten Halbzeit: Mittelfeldspieler Deyovaisio Zeefuik lief mit dem Ball in die gegnerische Hälfte, fand keine Anspielstation, unterstrich das mit einer fragenden Geste an die Teamkollegen – und spielte den Ball zurück. „Es ist sehr schwierig, bei so einem Spiel mit 0:1 in die Halbzeit zu gehen“, sagte Kapitän Niklas Stark. Bei einem ähnlich unglücklichen Verlauf wie in den Spielen zuvor hätte es wahrscheinlich schon 0:2 gestanden, aber am Samstag war der Pfosten beim Kopfball von Florian Niederlechner auf Seiten der Berliner.   

An der Motivation habe es nicht gelegen, die sei bei manchen sogar zu groß gewesen, glaubt der Trainer mit Blick auf die Stürmer Krzysztof Piatek und Jhon Cordoba, die in der ersten Halbzeit weite, aber selten zielführende Wege gingen. In der Kabine hat Dardai in einer „kurzen Rede“ mehr Mut und Risiko gefordert. Beides lebte er selbst vor, indem er offensiv wechselte.

Hertha BSC spielt mit Energie und Beharrlichkeit

In der zweiten Halbzeit spielten die Berliner nicht wie ein Team, das tief im Abstiegskampf steckt und zurückliegt. Mit viel Energie und Beharrlichkeit holten sie sich das von Dardai so oft beschworene „Spielglück“.

Erst fiel mal wieder ein Tor, Piatek war erfolgreich. Aber selbst das Unentschieden wäre zu wenig gewesen. Dann berührte Mads Pedersen im Strafraum Lucas Tousart, obwohl der Augsburger in dieser Situation nicht in den Zweikampf hätte gehen müssen.  Im Januar hatte Hertha gegen die TSG Hoffenheim und Werder Bremen je einen Elfmeter vergeben, die Spiele verloren und sich damit erst richtig in Schwierigkeiten gebracht. Beim VfL Wolfsburg war ein Elfmeter zurückgenommen worden.

Nun übernahm Lukebakio die Verantwortung. Jener Spieler, der zuletzt bestenfalls eine Nebenrolle gespielt hatte. „Dodi hat einen lockeren Eindruck gemacht. In solchen Momenten brauchst du solche Spieler. Besser kann man den Elfmeter nicht schießen“, sagt Dardai.

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In der Tabelle hat der Sieg ein klein wenig Luft gebracht. Hertha hat jetzt zwei Punkte Vorsprung auf Bielefeld, das am Sonntagabend 0:0 gegen den 1. FC Union spielt. Die Arminia trägt am Mittwoch aber noch das Nachholspiel gegen Werder Bremen aus.

Für Euphorie besteht keine Veranlassung, „aber es ist ein gutes Zeichen“, sagt Dardai. „Jetzt müssen wir weiter punkten und uns befreien.“ Dabei hatte er bereits wieder die Gelassenheit, die er seit seinem Amtsantritt ausstrahlt: „Das wird noch dauern, aber es sind noch genug Punkte zu vergeben.“  

Nervenstärke bewiesen

Der Sieg gegen Augsburg könnte auch abgesehen von den drei Punkten eine sehr wichtige Rolle spielen. Endlich wieder Tore erzielt, einen Rückstand gedreht, Nervenstärke bewiesen – Herthas Spieler haben bewiesen, dass sie es können.

Und das unter größtem Druck. Der dann mit Schlusspfiff so schlagartig abfiel, dass an mehreren Orten auf und neben dem Rasen kleine Freudentänzchen von Spielern, Mitgliedern des Trainerteams und Sportdirektor Arne Friedrich zu beobachten waren.

Das Erfolgserlebnis wollen sie bei Hertha für die die anstehenden Aufgaben bei Borussia Dortmund und gegen Bayer Leverkusen „im Hinterkopf behalten“, wie Kapitän Stark sagt. Und Dardai fragt: „Es werden zwei schwierige Spiele. Aber bis jetzt hat jede Mannschaft gegen uns geschwitzt.  Warum sollen wir nicht punkten?“

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