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Zum 75. Geburtstag der Fußballlegende: Johan Cruyff war der Bessermacher
An diesem Montag wäre Johan Cruyff 75 Jahre alt geworden: Eine neue Biografie würdigt den Spieler, Trainer und Anwalt des schönen Fußballs.
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Am Ende seiner zweiten Karriere als Fußballer – da ist er schon Mitte Dreißig und hat Stationen in der nordamerikanischen Operettenliga und beim spanischen Zweitligisten UD Levante hinter sich –, am Ende dieser Karriere also holt Johan Cruyff noch einmal das Optimale aus seinen Möglichkeiten heraus.
Für zweieinhalb Jahre spielt er in seiner Heimat, zuerst bei seinem Stammverein Ajax Amsterdam, dann, nachdem er dort für zu alt befunden worden war, eine weitere Saison für Ajax’ verhassten Rivalen Feyenoord Rotterdam.
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Cruyff gewinnt in dieser Zeit drei nationale Meistertitel. Noch beeindruckender als diese Trophäen aber ist eine andere Zahl: Von sämtlichen Ligaspielen, bei denen er in diesen zweieinhalb Jahren auf dem Feld steht, geht nur ein einziges verloren.
Johan Cruyff ist in der Endphase seiner Karriere nicht mehr der flirrende Superstar, der ein Spiel alleine gewinnen kann; es gibt Tage, an denen er harsch kritisiert wird, weil von ihm angeblich viel zu wenig zu sehen ist. Aber Cruyff ist ein Bessermacher. Er erkennt wie kaum ein anderer, was seine Mannschaft braucht. Und er gibt ihr, was sie braucht.
Johan Cruyff, der am Montag vor 75 Jahren in Amsterdam-Betondorp zur Welt gekommen ist, hat den Fußball besser gemacht: erst als Spieler, dann als Trainer und in den letzten Jahrzehnten seines Lebens als Visionär und Anwalt des schönen Spiels. Es ist eine beeindruckende Geschichte, die Auke Kok auf ebenso beeindruckende Weise in seiner voluminösen Cruyff-Biografie aufgeschrieben hat.
Kok ist einer der renommiertesten Sportautoren der Niederlande, sein Buch über die WM 1974 in der Bundesrepublik Deutschland („Wij waren de Besten“) eines der besten Fußballbücher überhaupt, aus unerfindlichen Gründen allerdings bis heute nicht ins Deutsche übersetzt worden. Umso schöner, dass seine Cruyff-Biografie jetzt auch hierzulande erhältlich ist. Ärgerlich ist nur die in Teilen etwas lieblose, manchmal sogar schlampige Übersetzung: Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt NOS ist eben kein „niederländischer Staatssender“, ein Stadionsprecher kein „Ansager“, und man verliert auch nicht 3:1 (sondern 1:3), zumindest im Deutschen.
Den positiven Gesamteindruck schmälert das nicht. Kok hat mit 170 Weggefährten Cruyffs gesprochen, mit Freunden und den nicht wenigen Feinden. So entsteht das Bild eines Gesamtkunstwerks: Cruyff war Fußballer, Zocker, Geschäftsmann,Wohltäter, Dickkopf, Pfennigfuchser, Familienmensch, Frauenheld, Philanthrop und (Alltags-)Philosoph.

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Seine Biografie steckt voller Widersprüche. Als Heranwachsender untergewichtig und von schmaler Statur schien Cruyff für eine sportliche Karriere nicht besonders geeignet. Trotzdem wurde er zum vielleicht besten Fußballer Europas des 20. Jahrhunderts. Durch seine Auftritte mit Ajax, der holländischen Nationalmannschaft und mit dem FC Barcelona ist Cruyff zur Projektionsfläche für alle Fußballromantiker geworden; er selbst aber hatte mit Romantik nicht viel am Hut. So scheitert seine Rückkehr ins Nationalteam 1982 daran, dass er sich weiterhin weigert, in einem Trikot von Adidas zu spielen. „Man sollte sich in meine Lage versetzen“, hat er dazu gesagt. „Und das bedeutet, dass es mir möglich sein muss, in einem neutralen Trikot zu spielen.“
Überhaupt war Cruyff in finanziellen Dingen ein knallharter Verhandler. „Egal wie toll man den Fußball findet, wenn man jung ist, man muss gleichzeitig auch geschäftstüchtig sein, sonst ist man erledigt“, sagt er. Mit 18, nur wenige Monate nach seinem Debüt in der Ehrendivision, verhandelt er mit Ajax über seinen ersten Profivertrag. Das Angebot gefällt ihm nicht, und so reißt Cruyff den Vertrag vor den Augen des Vorstands in Stücke.
Ein Psychologe bescheinigt ihm Mitte der Sechziger „eine durch und durch egozentrisch-materialistische Denkweise“. Für die Zeitschrift „De Tijd“ war Cruyff „mitunter mehr Buchhalter als Fußballer“. Und als die Ajax-Mannschaft nach ihrem ersten Triumph im Europapokal der Landesmeister von der niederländischen Königin empfangen wird, hält Cruyff ihr einen Vortrag über die finanziellen Nachteile von Profifußballern, die keine Rente erhalten und unter der progressiven Besteuerung leiden. „Herr Cruyff“, entgegnet Königin Juliana, „darüber müssen sie mit dem Finanzminister sprechen.“
Auch das ist Teil seiner Biografie. Und trotzdem steht über allem sein segensreicher Einfluss auf den Fußball: bei Ajax, bei Barça und weit darüber hinaus. „Im richtigen Moment genau da zu sein, wo man sein muss, ist eine Qualität im Fußball“, hat Cruyff einmal gesagt. Es gab vermutlich nicht viele, die ein so gutes Gespür für den richtigen Moment hatten wie Hendrik Johannes, genannt Johan Cruyff aus Amsterdam-Betondorp.
Auke Kok: Johan Cruyff. Fußball total. Die Biografie. Edel Sports, 536 Seiten, 26,95 Euro.
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