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Kane, Foden oder Bellingham – wer muss weichen?: Thomas Tuchel und Englands Luxusproblem
Mit dem WM-Ticket in der Tasche darf Tuchel nun tüfteln, wie er seine drei Topstars am besten einsetzt. Doch Englands Überangebot an Stars ist heikel – und die Geduld der Fans bekanntermaßen kurz.
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Thomas Tuchel lächelte viel, als er dieser Tage wieder vor die Kameras trat. Ein wenig Gelassenheit durfte er sich ja erlauben. Vor dieser Länderspielpause hat England als bisher einzige europäische Mannschaft sein Ticket zur WM im kommenden Sommer schon gebucht. Die letzten Qualifikationsspiele gegen Serbien und Albanien sind eigentlich nur Formsache.
Der frühere Bayern-Trainer ist derart entspannt, dass er zwischendurch sogar über seine eigene Zukunft sinnierte. Eine Vertragsverlängerung über die WM hinaus sei „möglich“, verriet er am Freitag. Auch, wenn sein Fokus nun voll auf dem Turnier liege. Ein Jahr nach seiner Verpflichtung scheint die unwahrscheinliche Liebesbeziehung zwischen den Engländern und ihrem deutschen Trainer wirklich aufzublühen.
In England wird der Nationaltrainer stets scharf beäugt
Ganz ohne Kopfschmerzen geht es in diesem Job aber nie. In England steht der Nationaltrainer doch ständig auf den Prüfstand, und auch in der bisher ruhigsten Woche seiner Amtszeit steht Tuchel vor einem Dilemma, an dem viele seiner Vorgänger ihrerzeit gescheitert sind.
Nach den verschiedenen Experimenten der letzten Monate muss Tuchel nun langsam seine Stammelf festlegen. Und gerade im Angriff steht er damit vor einem Luxusproblem. Denn erstmals seit März kann der Deutsche nun mit Jude Bellingham, Harry Kane und Phil Foden auf drei Weltklassespieler zurückgreifen. In den letzten Monaten hatte einer von ihnen immer gefehlt. Nun sind alle nicht nur topfit, sondern auch in Topform.
Womit man vielleicht zur kleinsten Geige der Welt greifen möchte. Dieses Problem hätten schließlich viele Trainer gerne – gerade auf Ebene der Nationalmannschaft. Für Tuchel bleibt dennoch die Frage, wie man Kane, Foden und Bellingham alle in der gleichen Mannschaft unterbringt. Oder besser gesagt: im gleichen Quadratmeter.
Denn: Bellingham hat in den letzten Jahren kein Geheimnis daraus gemacht, dass er sich in der Nationalmannschaft als Zehner sieht. Das ist aber mittlerweile auch die Lieblingsposition von Foden. Nimmt man den oft tiefer fallenden Neuner Kane dazu, dann hat man fast drei Spieler, die sich in der Offensive gegenseitig auf die Füße treten.
Jude kommt als Zehner zurück, das ist seine beste Position.
Thomas Tuchel über Jude Bellingham
Schon für Tuchels Vorgänger Gareth Southgate war das ein Dauerproblem. Bei der EM 2024 setzte er Foden etwa auf den linken Flügel, um alle drei in die Startelf zu quetschen. In der Gesamtheit war diese Konstellation aber oft nur weniger als die Summe ihrer Teile. Ähnliche Erfahrungen hat inzwischen auch Tuchel gemacht. Und auch deswegen deutete er diesmal daraufhin, dass er möglicherweise eine schwierige Entscheidung treffen muss.
„Jude kommt als Zehner zurück, das ist seine beste Position“, sagte der Trainer mit Verweis auf Bellinghams Torjägerqualitäten. Gleichzeitig ließ er wissen, dass er Foden nicht auf der Außenbahn sieht: „Phil sollte in der zentralen Rolle spielen, wo er seine größten Stärken hat. Ich sehe ihn nicht als Flügelspieler“.

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Heißt: Einer von beiden muss sich erstmal hintanstellen. Höchstens, wenn Kapitän Kane mal nicht spielt, könnten Foden und Bellingham gleichzeitig ran: mit Bellingham als Zehner und Foden vor ihm als – um Tuchels Formulierung zu benutzen – „Neuneinhalber“. Auch dann gäbe es aber mit Morgan Rogers, Marcus Rashford und anderen noch reichlich Konkurrenz.
Für Tuchel lohnt ein Blick in die Vergangenheit
Dass er solche Luxusprobleme aus taktischer sowie psychologischer Sicht lösen kann, muss Tuchel nun zeigen. Denn im ständig aufgeheizten Klima rund um die Three Lions kann jede Entscheidung zu einem Verhängnis werden, das plötzlich die ganze Turniervorbereitung überschattet.
Davon kann nicht nur Southgate ein Liedchen singen, sondern fast jeder Trainer, der sich in den letzten 60 Jahren diesen Job angetan hat. 2016 scheiterte Roy Hodgson daran, die jungen Wilden Kane und Jamie Vardy neben dem alten Staatsmann Wayne Rooney harmonieren zu lassen. Im Jahrzehnt davor zerbrach sich Sven Göran Eriksson den Kopf an der ewigen Wahl zwischen Steven Gerrard und Frank Lampard.
Womöglich wäre Tuchel jetzt gut beraten, etwas länger zurückzuschauen. Zu einem gewissen Alf Ramsey, der die Nationalmannschaft bei der Heim-WM 1966 trainierte. „Ich stelle nicht die besten elf Spieler auf, sondern diejenigen, die meinem System am besten passen“, soll er seinem Innenverteidiger Jack Charlton damals gesagt haben, als dieser Selbstzweifel äußerte. Ein paar Wochen später wurde England Weltmeister.
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