
© dpa/Jens Büttner
Läufer Felix Krüsemann bei der Para-Leichtathletik-WM: „Parasport ist Hochleistungssport, aber er wird selten ernst genommen”
Felix Krüsemann kämpft gegen die Uhr und auch gegen die Unsichtbarkeit seines Sports. Jetzt in Neu-Delhi will er locker bleiben und zeigen, was der Parasport leistet.
Stand:
Felix Krüsemann (im Bild mit der Startnummer 92) wirkt entspannt, wenn er über große Wettkämpfe spricht. Druck und Erwartungen versucht der 24-Jährige auszublenden. Diese Haltung könnte ihm 2018 zu Bronze über 1500 Meter bei der Europameisterschaft in Berlin verholfen haben, „einer der glücklichsten Tage meines Lebens“, wie er sagt. Die Medaille war sein erster großer internationaler Erfolg bei den Erwachsenen.
Seit seiner Geburt lebt Krüsemann mit einer ataktischen Hemiparese, einer Form der Halbseitenlähmung, die seine Bewegungen beeinträchtigt und mit Zittern einhergeht, besonders wenn er aufgeregt ist. Bei Wettkämpfen tritt er deshalb in der Startklasse T38 an. Sie fasst Athletinnen und Athleten der Leichtathletik mit Koordinationsstörungen zusammen. An diesem Wochenende läuft er bei der Para-Leichtathletik-WM in Neu-Delhi.

© privat
„Gerade als Ataktiker ist es wichtig, nicht zu verkrampfen. Mit Spaß und Leichtigkeit kommt man am weitesten“, sagt Krüsemann, der für den RSV Eintracht aus Stahnsdorf startet.
Nach dem Podiumsplatz wandelte sich der Leistungssport für Krüsemann zunehmend zu einem Lebensschwerpunkt. 2019 schloss er sein Abitur ab und begann ein Lehramtsstudium in den Fächern Sport und Geschichte. Momentan managt der Kleinmachnower sein Studium parallel zum Training.
Ich habe mein Studium bewusst gestreckt, um genug Zeit für Regeneration zu haben. Meine Frau und meine Familie unterstützen mich dabei.
Felix Krüsemann
„Ich habe mein Studium bewusst gestreckt, um genug Zeit für Regeneration zu haben. Meine Frau und meine Familie unterstützen mich dabei“, sagt Krüsemann. Ebenfalls 2019 absolvierte er sein erstes Höhentrainingslager im südafrikanischen Dullstroom. „Das war ein entscheidender Schritt, um professionell zu trainieren. Seitdem fahren wir zweimal jährlich ins Camp.“
Die Corona-Pandemie unterbrach dann seinen bisherigen sportlichen Rhythmus. Monatelang fehlten Wettkämpfe, Trainingspartner und -partnerinnen. All die Ablenkung, die seine Motivation stützte: „In der Zeit habe ich den Fokus verloren. Allein zu trainieren, war schwierig.“
Felix Krüsemann hat seine Motivation wiedergefunden
Für die Paralympischen Spiele in Tokio 2021 reichte seine Leistung nicht. Erst in den beiden vergangenen Jahren fand er zu alter Motivation und mit ihr zu sportlicher Leistung zurück.
Neben der Motivation für den Sport steht dabei auch die Frage nach der Wahrnehmung des Behindertensports. „Niemand sieht mir an, dass ich behindert bin“, sagt der Athlet. Für viele Außenstehende bleibe daher unsichtbar, welche Anstrengung hinter seinen Erfolgen und denen anderer behinderter Athletinnen und Athleten steckt.
Diese Unsichtbarkeit hat reale Konsequenzen: Sponsoring und Fördermittel hängen stark davon ab, wie sichtbar Athletinnen und Athleten wahrgenommen werden. „Parasport ist Hochleistungssport, aber er wird selten ernst genommen“, sagt Krüsemann.

© IMAGO/IPA Sport/IMAGO/Ranjith Kumar/IPA Sport / ipa-agency.net
Das hätte auch mit der öffentlichen Aufmerksamkeit zu tun: Während seine Bronzemedaille bei der EM 2018 medial aufgegriffen wurde, ist die Berichterstattung bei internationalen Wettkämpfen außerhalb Deutschlands deutlich geringer. „Bei Paralympics wird man öffentlich wahrgenommen. Wenn man aber sonst irgendwo am anderen Ende der Welt startet, bekommt man kaum Aufmerksamkeit.“
Krüsemann verbindet seine sportlichen Ambitionen bewusst mit diesem Anspruch. Sein langfristiges Ziel sind die Paralympics 2028 in Los Angeles. Danach wird geschaut, wie es weitergeht. „Es ist der Höhepunkt für jeden Sportler, gerade in unserer Disziplin. Ich möchte bis dahin alles geben, um auf höchstem Niveau zu sein und den Parasport sichtbarer zu machen.“
Auch das Thema Bezahlung trüge zu seiner Planung bei: „Um über die Runden zu kommen, reicht die Förderung der Sporthilfe, wenn man Leistung bringt, aber planen kann man nicht. Läuft ein Jahr mal nicht gut oder man ist verletzt, fliegt man aus allen Fördertöpfen.“
Für den Moment richtet Krüsemann den Blick nun auf den nächsten großen Wettkampf: Seinen Lauf über 1500 Meter am Sonntag bei der WM in Neu-Delhi. „Mein Mindestziel ist es, unter die besten Acht zu kommen“, sagt er. Alles andere sei offen, abhängig von Tagesform und Rennverlauf.
Mit der gleichen Gelassenheit, die ihm schon 2018 half, will er an den Start gehen. Jeder Lauf sei zugleich ein Beitrag, den Parasport sichtbarer zu machen und zu zeigen, dass Athletinnen und Athleten mit Behinderung Höchstleistungen erbringen. Und für Krüsemann ist der Wettkampf in Neu-Delhi nicht nur ein Test seiner eigenen Leistung, sondern auch ein Schritt auf dem Weg nach Los Angeles im Jahr 2028.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false