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Eine Zeit für die Ewigkeit. In Canberra lief die Rostockerin Marita Koch 1985 die 400 Meter in 47,60 Sekunden.

© dpa

Leichtathletik: Marita Koch: Zu schnell für die Gegenwart

Vor 25 Jahren rannte Marita Koch Weltrekord über 400 Meter. Er ist bis heute gültig und spaltet den Sport – eine Analyse.

Siebenundvierzigsechzig. Diese Zahl, entstanden unter der australischen Sonne, kann heute einen kalten Schauer hervorrufen. In 47,60 Sekunden rannte Marita Koch vor genau 25 Jahren in Canberra eine Runde durchs Stadion. Weltrekord. Mehr noch: ein Rekord für die Ewigkeit. So unerreichbar und inzwischen auch so fremd. Auf jeden Fall zu schnell für die Gegenwart; die derzeitige 400-Meter-Weltmeisterin Sanya Richards aus den USA braucht mehr als eine Sekunde länger.

Mit diesem Weltrekord muss die Leichtathletik, muss der deutsche Sport leben. Ein Weltrekord aus der Hochzeit des weltweiten Anabolika-Dopings. Sportlerinnen und Sportler aus der DDR wurden auf staatliche Anordnung mit der „blauen Pille“ gedopt, Oral-Turinabol, von VEB Jenapharm. In ihrem Buch „Doping Dokumente“ listete Brigitte Berendonk schon 1991 Dosierungen von DDR-Spitzensportlern auf, auch von Marita Koch.

Titel werden neu vergeben, doch Rekorde bleiben in der Regel. Im Speerwerfen wurde ein neues Wurfgerät eingeführt, da konnte die Liste noch einmal bei null beginnen, aber soll es künftig den 401-Meter-Lauf geben, um weniger belastete Rekorde zu haben? Und wer will schon garantieren, dass nicht auch die neue Liste schnell wieder verseucht ist? So ist Marita Kochs Weltrekord eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Er ist ein Teil des Erbes, das den deutschen Sport bis heute spaltet und über das es immer noch keine gemeinsame Sprache gibt.

Dafür funktionieren nach wie vor Reflexe. In rekordverdächtiger Reaktionszeit knüpft man im Westen die Assoziationskette Marita Koch – Weltrekord – Doping. Im Osten sind es Abwehrmechanismen, etwa, dass im Westen genauso gedopt wurde und die Trainer und Methoden in der DDR eben einfach besser waren.

Marita Koch selbst sagt heute, dass sie „auch nach 25 Jahren ein bisschen stolz“ ist. Will man ihr das verübeln? Kann man ihre Enttäuschung darüber nicht verstehen, dass ihre Leistung auf Doping reduziert wird, obwohl sie unvorstellbar hart für ihre Leistung arbeitete und einen beeindruckenden Laufstil hatte, einen Laufstil wie ein Trommelwirbel? Und warum sollte sie alleine vorpreschen und über Doping reden, das ein ganzes System und ein ganzes Zeitalter beherrschte?

Ines Geipel hat das getan und ihren Namen aus den Rekordlisten der Leichtathletik streichen lassen. Aber als Professorin und Autorin hat sie längst ein erfülltes Leben nach dem Sport gefunden. Auf den Sport ist sie nicht mehr angewiesen. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass den Rekordlisten in Deutschland inzwischen eine Präambel voransteht, die den Verdacht nennt, dass einige Weltrekordhalter gegen Anti-Doping-Richtlinien verstoßen haben. Vier Weltrekorde von DDR- Athleten haben noch Bestand, unter anderem auch der der 4x100-Meter-Staffel der Frauen, aufgestellt ebenfalls am 6. Oktober 1985 in Canberra. Aber wenn von Mahnmalen in den Rekordlisten die Rede ist, zählen dazu auch die von Florence Griffith-Joyner, unerreicht seit 22 Jahren, und der tragische Umstand, dass die Amerikanerin schon im Alter von 38 Jahren unter rätselhaften Umständen starb.

Auch 20 Jahre nach der deutschen Vereinigung gibt es wenig Grautöne in der Debatte um Doping in Ost und West. Nur selten kommt es zur Differenzierung von gedopten Sportlern. Dabei macht es einen Unterschied, ob ein Athlet wusste, was er da schluckte und sogar noch eine Extraportion verlangte oder Mittel unter Druck einnahm, um möglichen Konsequenzen zu entgehen. Beides hat es gegeben in der DDR und noch viele Zwischenformen.

Beides hat es auch in der Bundesrepublik gegeben, nicht zu knapp, nur eben nicht dokumentiert durch die Staatssicherheit. Auch die Politik der Bundesrepublik hat Dopingforschung befürwortet, die Universität Freiburg sich einen unrühmlichen Namen mit Doping gemacht. Eine groß angelegte Studie soll das alles nun aufarbeiten, zwei Jahrzehnte zu spät. Die Verständigung innerhalb des Sports zu fördern, wäre das wichtigere Ziel.

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