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Martin Schmitt: Oh Du Fröhlicher

Nach jahrelanger Krise ist Skispringer Martin Schmitt vor der Vierschanzen-Tournee zurück an der Spitze.

Neulich hat der ehemalige Skispringer Sven Hannawald in einer Fernsehsendung erzählt, was er nach seinem Karriere-Ende vor vier Jahren gemacht hat. Grob könnte man die Lebensstationen so zusammenfassen: Burnout-Syndrom mit Klinikaufenthalt, neue Freundin, Kind gezeugt, Berlin, neue Freundin, München. „Es läuft so wie es läuft“, sagte er. Auch die Frage, welchen Beruf er ausübe, stellte ihn vor Schwierigkeiten. Model könne er sich vorstellen, sagte der 34-Jährige, „aber in der Mode ist es schwierig, das ist ein langwieriger Prozess.“ Eher präferiere er „Repräsentant für Firmen“. Insgesamt kann man feststellen, dass Hannawald ziemlich ziel- und orientierungslos ist. Also genau das Gegenteil von Martin Schmitt.

Schmitt sitzt am Freitagnachmittag dort, wo er zu dieser Zeit des Jahres seit 14 Jahren sitzt: in Oberstdorf. „Oder schon seit 20 Jahren?“, fragte er. Kleiner Scherz. Auf dem Podium des Kurhauses gibt der 30 Jahre alte Skispringer zu seinen Zielen für die heute beginnende Vierschanzen-Tournee Auskunft, anschließend bedankt sich sein Hauptsponsor mit einer Veranstaltung im Kurpark für die zehnjährige Zusammenarbeit. Oder sind es 100 Jahre? Es kommt einem vor, als hätte Schmitt schon immer einen lilafarbenen Helm getragen und sei schon immer bei der Vierschanzen-Tournee die Anlaufspur hinuntergerauscht. Allein das ist bereits eine Leistung, wie Hannawald weiß, der mit Schmitt 2002 Olympiagold in der Mannschaft gewonnen hat. „Ich konnte mich am Ende nicht mehr motivieren“, sagte Hannawald, „mit Platz 20 oder 30 hätte ich mich nicht mehr zufrieden gegeben.“ Ganz anders Schmitt, der sich in den vergangenen sechs Jahren regelmäßig mit diesen und schlechteren Plätzen arrangieren konnte. „Ich finde es bewundernswert, wie er das durchzieht“, sagte Hannawald, „er ist ein Beispiel dafür, dass man mit sich im Reinen sein sollte.“ Zumal Schmitt inzwischen wieder für seine Beständigkeit, Durchhaltekraft und Willensstärke belohnt wird.

Weil er zuletzt viermal unter die besten Zehn gesprungen ist und im Gesamtweltcup auf Rang sechs liegt, wird Schmitt gegenwärtig als Geheimfavorit bei der Vierschanzen-Tournee gehandelt. Das ist ihm schon lange nicht mehr passiert, doch er ist erfahren genug, um sich von der gestiegenen Erwartungshaltung nicht beeindrucken zu lassen. „Ich registriere das nicht“, sagt er. Für die Springen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen gibt er das seltsame Ziel aus, „nachhaltig konkurrenzfähig“ sein zu wollen. Tatsächlich schweben die Favoriten Simon Ammann aus der Schweiz und Gregor Schlierenzauer aus Österreich zurzeit in höheren Sphären. „Beide haben das Ziel eines optimalen Sprunges erreicht, ich bin bei 90 Prozent“, sagt Schmitt. Gestern reichte das in der Qualifikation zum sechsten Platz.

Dass es überhaupt so weit gekommen ist, verdankt er dem neuen Bundestrainer Werner Schuster. „Sein Anteil daran ist sehr groß“, sagt Schmitt. Dabei habe es kein konkretes Detail gegeben, das diese Verbesserung bewirkt habe. Stattdessen sei es die Gesamtheit aller Maßnahmen gewesen. Schuster, der Sport und Psychologie studiert hat, fand schnell einen guten Kontakt zum prominentesten deutschen Skispringer. Was bei dem falsch läuft, hat er schon in den vergangenen Jahren am Fernseher leicht erkennen können. „Er hatte beim Absprung seinen Schwerpunkt nach hinten verloren, er musste dann im Sprung sehen, wie er wieder nach vorne kommt“, sagt Schuster, „aber Erkennen ist das eine, Beheben das andere.“ Ihm habe geholfen, dass er als Nachwuchstrainer in Österreich auch mit untalentierten Springern arbeiten musste. „Da lernt man methodisch am meisten“, sagt Schuster. Letztlich musste er Schmitt nur unterstützen. „Er hat Feuer.“

Das ist erstaunlich, schließlich hat Schmitt bereits in jungen Jahren alles erreicht: Olympiasieger mit der Mannschaft 2002, viermal Weltmeister und 28 Weltcupsiege. Der letzte Erfolg datiert allerdings vom 1. März 2002, anschließend ging es bergab. Schmitt hat die lange Leidenszeit nicht problemlos überstanden. Einmal hat ihn eine Fernsehkamera dabei erwischt, wie er nach einem schlechten Sprung wütend gegen eine Tür trat und dann schimpfend verschwand. Aber es gab auch nicht bloß schlechte Ergebnisse. Mindestens einmal pro Saison erwischte er eine Böe, die ihn maximal auf Platz vier wehte. „Diese Highlights braucht man“, sagt Simon Ammann, der nach seinem Doppelolympiasieg 2002 ebenfalls eine längere Krise durchleben musste. „Diese Plätze werden von der Öffentlichkeit nicht registriert, aber für einen selber sind sie unheimlich wichtig.“ Er hatte Schmitt in Pragelato getroffen. „So fröhlich habe ich ihn selten gesehen“, sagt Ammann.

Seine jüngsten vier Top-Ten-Platzierungen haben bei Schmitt einen gewaltigen Motivationsschub ausgelöst. Gut möglich, dass der bis Vancouver 2010 reicht.

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