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Schmerz lass nach. Die Berliner mit Kapitän Fabian Reese feiern ihren glücklichen Sieg gegen Preußen Münster.

© imago/Jan Huebner/IMAGO/Ralf Brueck

Mehr Glück als Klasse: Der Sieg von Hertha BSC im DFB-Pokal hinterlässt viele Fragen

Die Berliner feiern gegen Preußen Münster ihren ersten Saisonsieg und hoffen auf einen psychologischen Effekt. Fußballerisch muss das Team aber deutlich zulegen.

Stand:

Stefan Leitl als Experten für das Fachgebiet Fabian Reese zu bezeichnen, ist alles andere als eine Übertreibung. Der Trainer des Berliner Fußball-Zweitligisten Hertha BSC kennt seinen Kapitän seit vielen Jahren, und er hat ihn nie aus den Augen verloren, seitdem er ihn in Fürth trainiert hat – in einer Zeit also, als die meisten Fans von Hertha BSC bei dem Namen Reese vermutlich eher an eine Erdnuss-Süßigkeit aus Nordamerika gedacht hätten.

Ende der vergangenen Saison war Leitl daher einigermaßen überrascht, wie überrascht viele darauf reagierten, als Fabian Reese im Spiel gegen Hannover 96 ein Kopfballtor erzielt hat. „Er ist ein sehr guter Kopfballspieler“, sagte Leitl.

Dass Fabian Reese am Montagabend, in Herthas DFB-Pokalspiel bei Preußen Münster, auffallend viele Gelegenheiten bekam, seine Qualität auch in dieser Disziplin unter Beweis zu stellen, folgte trotzdem keinem ausgeklügelten Plan. Es war eher ein Unfall. Wie so vieles im insgesamt dürftigen Auftritt der Berliner.

Herthas fußballerische Armut

Während der 120 torlosen Minuten in Münster sah sich Reese in insgesamt sechs Kopfballduelle verwickelt, meistens irgendwo in der Nähe der Seitenlinie. Herthas Stürmer musste sich häufiger in der Luft beweisen als all die vier Kanten aus Herthas Innenverteidigung, als Toni Leistner, Linus Gechter, Marton Dardai und Niklas Kolbe.

Das sagt einiges. Zum einigen über den Gegner Preußen Münster, der an diesem Abend das gepflegte Kombinationsspiel bevorzugte. Vor allem aber über die fußballerische Armut, die Herthas Mannschaft offenbarte. „Wir wollen auch Fußball spielen“, sagte Michael Cuisance. Aber sie kamen einfach nicht dazu.

Stattdessen versuchten es die Berliner auffallend oft mit langen Bällen, was sich als wenig zielführend erwies. „Es war kein Plan, diese langen Bälle zu spielen“, sagte Trainer Leitl. „Das war Reaktion.“ Reaktion auf den starken Auftritt der Preußen, die vor allem das Mittelfeld beherrschten.

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Tor hat Hertha in dieser Saison in 300 Minuten erzielt (ohne Elfmeterschießen).

Dort, wo nach landläufiger Meinung im modernen Fußball das Spiel entschieden wird, war Hertha über weite Strecken hoffnungslos unterlegen. Und das gegen eine Mannschaft, die vielen vor der Saison als potenzieller Absteiger aus der Zweiten Liga galt – während Hertha den Aufstieg anpeilt.

Die Erkenntnis aus dem Auftritt in Münster war auch deshalb ernüchternd, weil man bei Hertha eigentlich dachte, gerade im Mittelfeld über ein Übermaß an Qualität zu verfügen. Zumindest den Namen nach ist das so. In der Praxis aber war davon bisher nicht viel zu sehen.

Es fehlt ein klarer Sechser

Gegen Preußen fehlte Hertha ein klarer Sechser, der Ruhe und Struktur ins Spiel bringt. Leitl besetzte die Position mit Kevin Sessa, der wie so viele der zentralen Mittelfeldspieler im Kader, eher ein Achter ist, und mit Michael Cuisance, der ebenfalls weiter vorne besser aufgehoben ist. Auf die beiden Youngster Kennet Eichhorn, 16, und Boris Mamuzah Lum, 17, verzichtete Herthas Trainer aus freien Stücken, obwohl sie das Profil des Sechsers am ehesten erfüllten.

Sessa spielte erstmals überhaupt in dieser Saison und kam bis zu seiner Auswechslung zehn Minuten nach der Pause auf ganze 18 Ballkontakte. Das Spiel zu kontrollieren, ohne den Ball zu haben, ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. „Ich hätte mir schon gewünscht, dass wir ein bisschen mehr im eigenen Ballbesitz bleiben“, sagte Leitl. „Aber wir sind momentan vielleicht nicht in der Verfassung, den Mut zu haben, das spielerisch zu lösen.“

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Berliner im Moment und möglicherweise auch noch länger auf Diego Demme und Paul Seguin verzichten müssen, zwei Spieler, die der Mannschaft mit ihrer Art und ihrer Erfahrung mutmaßlich eine große Hilfe wären. „Das merkt man“, sagte Abwehrchef Leistner. „Gerade im Zentrum fehlt uns ein bisschen Kreativität. Aber wir müssen auch ohne die Jungs klarkommen.“

Wir wissen, dass momentan nicht alles so läuft, wie wir uns das vorstellen. Dann tut so ein Sieg natürlich auch gut.

Herthas Trainer Stefan Leitl

Gegen Münster gelang das nur leidlich. Die Berliner retteten sich mit einem 0:0 ins Elfmeterschießen. Und auch wenn sie durch Dawid Kownacki kurz vor Ende der ersten Hälfte und kurz vor Ende der regulären Spielzeit zwei Großchancen zum 1:0 vergaben, war das Weiterkommen alles in allem überaus glücklich.

„Ich finde, dass dieses Spiel viel mehr gibt als nur das reine Ergebnis“, sagte Münsters neuer Trainer Alexander Ende. „Es ist Orientierung für uns.“ Das gilt auch für Hertha. Trotz des bejubelten Einzugs in die zweite Runde des DFB-Pokals und des ersten Erfolgserlebnisses der zäh anlaufenden Saison hinterließ der Auftritt der Mannschaft mehr Fragen als Antworten. Und die Erkenntnis, dass noch eine Menge Arbeit auf Leitl zukommt.

„So ein Sieg kann Euphorie entfachen“, sagte Rechtsverteidiger Julian Eitschberger. Zumindest ist das die Hoffnung: dass die Dinge mit einem Erfolg im Rücken automatisch leichter werden. „Wir wissen, dass momentan nicht alles so läuft, wie wir uns das vorstellen. Dann tut so ein Sieg natürlich auch gut, selbst wenn er äußerst glücklich zustande kommt“, sagte Trainer Leitl. „Vielleicht lockert das ein bisschen die Brust bei uns und gibt uns Schwung für die Saison.“

Das Positive war, dass Hertha sich – wenn auch nicht immer mit den adäquaten Mitteln – gegen die drohende Niederlage wehrte, dass die Mannschaft nicht komplett wegknickte wie noch im Frühjahr in Elversberg, als sie zur Pause gegen einen ähnlich spielstarken Gegner 0:4 zurücklag. „Alles, was wir an Energie, an Leidenschaft, an Bereitschaft für das Team gesehen haben, ist gut“, sagte Stefan Leitl. „Jetzt versuchen wir noch ein bisschen besser Fußball zu spielen.“

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