zum Hauptinhalt

Sport: Mein Schicksalsspiel (I): Der Höhenunterschied zwischen München und Dresden

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer heute beginnenden Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballprofis an Spiele, die ihre sportliche Karriere entscheidend beeinflusst haben. Den Anfang macht Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern München.

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer heute beginnenden Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballprofis an Spiele, die ihre sportliche Karriere entscheidend beeinflusst haben. Den Anfang macht Uli Hoeneß, der Manager des FC Bayern München.

Die meisten in der Öffentlichkeit werden wohl meinen verschossenen Elfmeter im Europameisterschaftsfinale 1976 gegen die CSSR als mein Schicksalsspiel ansehen. Und, ehrlich gesagt, lustig war das ja auch nicht, wie der Ball weit über die Latte in die Belgrader Nacht flog und wir wegen mir das Finale verloren.

Vielleicht ist mir gerade deshalb ein anderes Spiel viel wichtiger, das nämlich, das wir vom FC Bayern München 1973 im Europapokal gegen Dynamo Dresden gespielt haben. Du lieber Himmel, war das eine Aufregung damals. Das war ja kein normales Fußballspiel, dieses Treffen war ja ein Politikum, und erstmals standen wir nicht nur im Interesse der Fußballfans. Es war das Achtelfinale und das erste deutsch-deutsche Duell in einem Europapokal. Die Dresdner waren unheimlich stark, das wussten wir vorher schon, immerhin hatten die ja schon Juventus Turin ausgeschaltet. Und das Hinspiel vor 55 000 Zuschauern im Münchner Olympiastadion ging dann auch denkbar knapp aus, 4:3 für uns.

Neben der sportlichen Spannung lag in der Partie aber auch noch die politische Brisanz. Der Paul Breitner und ich hatten bei Turnieren mit der Junioren-Auswahl schon erfahren, dass Mannschaften aus dem Westen in der DDR kontrolliert, überwacht und abgehört werden. Auch gab es Gerüchte, dass man uns etwas ins Essen tun würde, um uns zu schwächen. Ein Teil von solchen Dingen ist ja heute in den Stasi-Unterlagen nachzulesen.

Unser Präsident Neudecker war auf jeden Fall vor dem Rückspiel furchtbar nervös und ordnete an, dass wir nur bis Hof fahren, dort übernachten und lediglich zum Spiel rüberfahren sollten. Offiziell nannte er als Begründung den Höhenunterschied zwischen Dresden und München. Also, ich fand das damals schon sehr ungeschickt, wir haben uns damit auch ganz schön lächerlich gemacht.

Das Spiel war dann am 7. November im Rudolf-Harbig-Stadion. 36 000 Menschen waren da, nur Linientreue. Es gab ja damals schon viele Bayern-Fans im Osten, aber die durften wohl nicht rein. Freundlich allerdings waren alle, Neudeckers Vorsicht wohl stark übertrieben. Mich hat das ganze Drumherum zusätzlich nervös gemacht, es war ja so, dass denen ein 1:0 gereicht hätte mit ihren drei Toren aus dem Hinspiel. Und dass es dann mein Spiel wurde, das Spiel, mit dem ich endgültig den Durchbruch zum anerkannten Spieler geschafft habe, das konnte ich ja nicht vorher ahnen. Ich war zwar schon Nationalspieler und bei Bayern auch als Stammspieler akzeptiert, aber den großen Durchbruch auch weit über die Gruppe der Fußballinteressierten hinaus, den hatte ich noch nicht geschafft.

Unserem Trainer Udo Lattek war klar, dass sich die Dresdner Abwehr voll und ganz auf Gerd Müller konzentrieren würde, dessen Ruf war schon gefestigt, er hatte ja auch im Hinspiel unseren Siegtreffer erzielt. Der Gerd stand also inmitten der Abwehr, war umzingelt und mich postierte Lattek an die Mittellinie, damit ich von dort aus mit meiner Schnelligkeit die Dresdener überrennen sollte. Der arme Eduard Geyer, der war mein Gegenspieler, aber ich war an dem Abend in so toller Form, dass das Spiel für Eduard ein Albtraum wurde. Bis zur 13. Minute gelangen mir zwei Alleingänge und das bedeutete die 2:0-Führung für uns.

Alerdings wurde es dann auch noch spannend, so einfach überrennen lassen wollten sich die Dresdner doch nicht. Kurz vor der Pause und kurz nach der Pause schafften sie den Ausgleich. Und dann Mitte der zweiten Halbzeit sogar die Führung. Beim Stand von 2:3 gegen uns wären wir raus gewesen aus dem Pokal, aber auf Gerd war wieder Verlass, der schaffte noch den Ausgleich und damit standen wir im Viertelfinale.

Ich konnte zwar am Tag darauf keinen Schritt mehr laufen, aber gezehrt habe ich von diesem Spiel noch einige Zeit. Zum Beispiel im Finale gegen Atletico Madrid, das heißt im Wiederholungsspiel in Brüssel. Das erste Spiel war 1:1 ausgegangen, die Wiederholung gewannen wir 4:0. Zwei Tore dabei hatte Gerd Müller gemacht, und die anderen beiden ich. Beim 4:0 war es fast wie bei den Alleingängen und Toren gegen Dynamo. Ich hatte mir den Ball in der eigenen Hälfte erkämpft und bin dann mit dem Ball am Fuß losgestürmt. Keiner konnte mich aufhalten, Adelardo versuchte es und Eusebio, aber ich war so beseelt von meinem Sturmlauf, die konnten einfach nicht mehr mithalten. Und deren Torwart Reina habe ich dann auch noch ausgespielt, allerdings nicht bewusst, das war schon so etwas wie ein Rausch.

Da war ich 22 Jahre alt, und es haben viele später gesagt, dieses Spiel gegen Atletico Madrid sei das beste meiner ganzen Laufbahn gewesen. Das mag sein, aber den Grundstock dazu, den hatte ich in Dresden gelegt.

Uli Hoeness

Zur Startseite