zum Hauptinhalt

Sport: „Mit Jürgen Klinsmann geht es aufwärts“

Wie der Bundestrainer dem deutschen Fußball Selbstwertgefühl und Spielkultur vermittelt hat / Von Uwe Rapolder

Die Ursache liegt geraume Zeit zurück, wie meistens. „Nichts ist schwerer zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen“, sagt der Volksmund. Wie aber sind dann drei Weltmeistertitel zu ertragen, ohne ein Selbstwertgefühl zu erlangen, das von einem absoluten Gefühl der Stärke geprägt ist? Und wer denkt in solchen Zeiten daran, dass sich dies alles schnell ändern könnte? Wo doch gerade in dieser Zeit durch den Fall der Mauer ein schier unerschöpflich scheinendes Reservoir an hochtalentierten Fußballern aus dem damaligen Osten hinzukam. Kaiser Franz hielt uns damals „bis auf Jahre hinaus für unschlagbar“.

Es kam alles anders, auch wenn der Europameistertitel 1996 unter Berti Vogts und die Teilnahme am WMFinale 2002 unter Rudi Völler die Gesamtbilanz so schlecht nicht aussehen lassen. Der Erfolg war noch da, nur die Art und Weise wurde immer unansehnlicher.

Im europäischen Ausland – vor allem in Frankreich – setzten sehr innovative Prozesse sein. Der Fußball wurde als komplexes Gebilde verstanden, in dem Begriffe wie Ausbildung, Kontinuität, Transparenz, Methodik und Philosophie der Wortschatz waren. Fußballschulen und Leistungszentren tauchten auf, die Trainer waren durch eine ganzheitliche Schulung ebenfalls bestens geeignet. Trainingsinhalte wurden altersgerecht definiert, deren Umsetzung genauestens dokumentiert und die Entwicklung der Spieler auch durch eine persönliche Betreuung perfektioniert.

Zu dieser Zeit mahnte Berti Vogts als Bundestrainer in Deutschland an, man müsse mehr für den Nachwuchs tun. Wer aber war ,man’? Vogts selbst hätte Prozesse in Gang bringen müssen, denn der Nationaltrainer hat stets die größte Kraft, Neuerungen oder Umstrukturierungen durchzusetzen. Er hat es nicht getan.

Jürgen Klinsmann agiert da etwas anders und hat deshalb der Fußballnation neue Hoffnung gegeben. Er macht vor alten Zöpfen nicht Halt, mit ihm geht es aufwärts. Seine wichtigste Neuerung ist sicher die einer mutigeren Spielphilosophie. Er will nicht nur gewinnen, sondern dem Gegner auch spielerisch mindestens ebenbürtig sein. Die frechen Auftritte der Nationalelf gegen renommierte Gegner wie Brasilien oder Argentinien haben Spaß gemacht. Dafür gibt es zwei Voraussetzungen: ein durch Bescheidenheit und Mut, ein durch Normalität und Vision geprägtes Bewusstsein der Spieler auf der einen, aber auch ein modernes Spielsystem mit taktisch effizienten Abläufen, Motivation und Organisation auf der anderen Seite. Für die Begeisterung ist Klinsmann selbst, für die fachliche Komponente sein Assistent Joachim Löw zuständig. Hoffen wir, dass es funktioniert, der Funken scheint gezündet.

Im scheinbaren Kontrast dazu steht die Entwicklung der Bundesliga, die im internationalen Vergleich, sprich Champions League und Uefa-Cup, hinterherzuhinken scheint. Hier sehe ich nur ein vorübergehendes Problem, wenn die Strukturen in der Trainer- und Jugendausbildung sofort in Angriff genommen werden. Viele Bundesligisten haben ihre Spielweise seit ein, zwei Jahren umgestellt: weg von den Individualisten, hin zum Team. Weg von der Spezialisierung (Manndecker, Libero, Spielmacher), hin zu ganzheitlich ausgebildeten Spielern. Weg von zu tiefen Hierarchien, hin zur Kommunikation. Das ist der richtige Weg, aber er erfordert etwas Zeit. Was sich andere in zehn Jahren erarbeitet haben, können wir nicht in einem schaffen. Ich bin aber fest überzeugt, dass jetzt die Richtung stimmt.

Wichtig ist, dass die Nationalelf aus der Bundesliga bestens geschulte Spieler bezieht und durch ihre Erfolge wiederum den Bundesligisten Schub verleiht. Im Übrigen wäre der Deutsche Fußball-Bund meines Erachtens gut beraten, sich die Erfahrung der Bundesligatrainer in den genannten Bereichen zunutze zu machen. Es geht nur miteinander. Und vielleicht erscheint Jürgen Klinsmann ja bei der nächsten Trainertagung …

Der Autor trainierte zuletzt Arminia Bielefeld und wird in der neuen Bundesliga-Saison den 1. FC Köln betreuen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false