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Stimmzettel werden hochgehalten während der Mitgliederversammlung von Hertha BSC

© City-Press GmbH/Jan-Philipp Burmann

Mitgliederversammlung in kritischer Lage: Die Revolution bei Hertha BSC findet nicht statt

Bei Hertha BSC rumort es auf vielen Ebenen. Doch zum großen Knall kommt es bei der Mitgliederversammlung nicht. Über die Abwahl von Präsidium und Aufsichtsrat wird gar nicht erst abgestimmt.

Als Dirk Lentfer, der Versammlungsleiter, den Tagespunkt eins der Mitgliederversammlung, „Eröffnung, Begrüßung und Festlegung der Tagesordnung“ schließt, macht sich in der riesigen Messehalle Erleichterung breit. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits fast eine Stunde vergangen, ohne dass etwas Essenzielles passiert wäre. Von den knapp 1500 Mitgliedern von Hertha BSC gibt es Applaus für Lentfers Feststellung. Endlich geschafft.

Die Mitgliederversammlung des Berliner Fußball-Bundesligisten an diesem Sonntag in der Messe Berlin findet unter denkbar komplizierten Bedingungen statt. Sportlich und finanziell steht es nicht gut um Hertha, und auch im Verein selbst rumort es. Schon deshalb nimmt die Abhandlung der Formalitäten zu Beginn der Veranstaltung einen ungewohnt breiten Raum ein.

„Lasst uns ausreden! Lasst uns sachlich sein! Lasst uns die Themen bereden, die uns bewegen. Dann kriegen wir das hin“, sagt Kay Bernstein, seit knapp einem Jahr Präsident des Vereins, bei seiner Begrüßung. Die Messe sei für den gesamten Tag gemietet, „wir haben alle Zeit der Welt“.

Die Gefahr, dass es den Klub zerreißt, dass man sich gegenseitig zerfleischt, ist allerdings nicht so groß, wie man es vorab hätte vermuten können. Das zeigt sich recht schnell. Zwar liegen Abwahlanträge gegen das gesamte Präsidium vor sowie gegen Klaus Brüggemann, den Vorsitzenden des Aufsichtsrats. Der Antragssteller zieht aber schon früh den Unmut des Auditoriums auf sich.

46.057
Mitglieder hat Hertha BSC

Nicht nur das. Die diversen Wortmeldungen und Anträge veranlassen das Präsidium letztlich sogar zu der Ankündigung, dass es einen Antrag auf Vereinsausschluss stellen werde.

Am Ende werden die Abwahlanträge gar nicht erst behandelt. Zuerst stimmt die eindeutige Mehrheit der Mitglieder für den Antrag, dass sich die Versammlung nicht mit dem Antrag befasst, über die Abwahl des Präsidiums abzustimmen. Den Antrag, Brüggemann abzuwählen, zieht der Antragsteller anschließend selbst zurück. Die durch den Rücktritt von Ingmar Pering frei gewordene Position im Präsidium soll bei der nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung im Oktober neu besetzt werden.

Präsident Bernstein kann bei allen bekannten Problemen auch einige positive Nachrichten verkünden. So gehören dem Verein aktuell 46.057 Mitglieder an. Das ist ein deutlicher Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr (41.200). Allerdings liegt der Frauenanteil bei gerade mal 19 Prozent.

Bernstein klagt über die „finanzielle Erblast“

Finanziell dagegen sieht es für den Klub bekanntermaßen nicht gut aus. In dieser Woche wurde sogar das Gerücht schlagzeilenträchtig herumgereicht, dass die Lizenz des Klubs für die Fußball-Bundesliga in Gefahr ist. Bernstein verkündet, dass es bereits gelungen sei, bei den Gehaltskosten acht Millionen Euro einzusparen. Zur Saison 2025/26, so das Ziel, will der Klub einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren. Bis dahin soll die, wie Bernstein es nennt, „finanzielle Erblast“ beseitigt sein.

Wie nie zuvor macht Herthas Präsident die Verantwortlichen der Vergangenheit für den derzeit schwierigen Zustand des Klubs verantwortlich. Namentlich nennt er den früheren Finanzgeschäftsführer Ingo Schiller, der bis zum Herbst des vergangenen Jahres im Amt war.

„In den vergangenen vier Jahren wurden 250 Millionen Euro verbrannt. Die sind weg“, sagt Bernstein. Es sei „ein Irrsinn, der nie wieder passieren darf“, verkündet Herthas Präsident. Und einer, der nach seiner Aussage, den Einstieg des neuen Investors 777 Partners alternativlos gemacht habe. Das US-Private-Equity-Unternehmen hat nicht nur die Anteile des bisherigen Investors Lars Windhorst übernommen; es stellt Hertha über eine Kapitalerhöhung weitere 100 Millionen Euro zur Verfügung.

„Diese Kapitalerhöhung ist elementar, damit wir die Sanierung und die Zukunft von Hertha BSC sichern“, sagt Bernstein, verkündet aber auch: „Wir werden uns nicht in eine Abhängigkeit von 777 Partners begeben.“

Thomas Herrich, Herthas Finanzgeschäftsführer, bestätigt noch einmal, „dass wir ein Sanierungsfall sind“. Der Klub habe über seine Verhältnisse gelebt. „Wir haben in den letzten Jahren immer mehr ausgegeben, als wir eingenommen haben“, sagt er. Selbst im Falle des Klassenerhalts soll der Etat für die Profis in der neuen Saison um 30 Prozent reduziert werden. Nötig sei es aber auch, die Erlöse zu steigen, unter anderem durch Transferlerlöse. „Ohne das wird es nicht funktionieren“, erklärt Herrich.

Andreas „Zecke“ Neuendorf, seit Anfang des Jahres Direktor Akademie und Lizenzspielerbereich, hätte „hier heute gern ein, zwei, drei Leute gesehen, die dafür verantwortlich sind, dass wir Letzter sind“. Auch er beklagt die Fehler der Vergangenheit, die er für die sportliche und finanzielle Not verantwortlich macht. „Wir waren normal und sind irgendwann abgedriftet“, sagt der frühere Profi, Jugend- und Co-Trainer von Hertha. „Wir müssen jetzt die Scheiße auslöffeln. Aber wir geben auf jeden Fall alles.“ Das Auditorium tobt. Vor Begeisterung.

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