Sport: Mittlere Reife
Auch dank Yildiray Bastürk hat Hertha eine erfolgreiche Saison gespielt – aber es soll noch besser werden
Berlin - Yildiray Bastürk unterbrach seine Ausführungen aus gegebenem Anlass. „Da ist meine Chance“, sagte er und schwieg fortan. Auf dem Bildschirm über seinem Kopf lief die Zusammenfassung von Herthas Spiel gegen Hannover 96, die 68. Minute: Niko Kovac spielt den Ball an den Fünfmeterraum, Bastürk dreht sich um seinen Gegenspieler Zuraw, schießt, Hannovers Torhüter Robert Enke fliegt, der Ball zischt am linken Pfosten vorbei. „Scheiße“, sagte Bastürk.
Der Fußball hat einen Hang zu kitschigen Inszenierungen, aber nicht immer entscheidet er sich für das naheliegende Ende. Sonst hätte Yildiray Bastürk Hertha BSC am Samstag in die Champions League geschossen und Werder Bremen wieder raus. Ausgerechnet Bastürk, der vor der Saison die Wahl hatte, ob er zu Werder geht oder zu Hertha; der sich für Berlin entschieden hat – und jetzt im Uefa- Cup spielt statt mit Bremen in der Champions League. „Die müssen sich auch erst mal qualifizieren“, sagte Bastürk.
Der türkische Nationalspieler hatte seinen Wechsel zu Hertha im vergangenen Sommer mit den besseren Perspektiven des Berliner Fußball-Bundesligisten begründet, was damals recht seltsam anmutete. „Vor der Saison habt ihr alle gelächelt“, sagte Bastürk. Hertha war gerade dem Abstieg entkommen, Bremen Meister und Pokalsieger geworden. Jetzt fühlt sich der Türke in seiner Entscheidung bestätigt. Seine Einschätzung „galt nicht nur für diese Saison“, sagte er. „Ich erhoffe auch für die nächsten Jahre Gutes.“
Das Erreichen der Champions League bereits in dieser Spielzeit wäre also nur die Übererfüllung des Plans gewesen. Und auch wenn sich diese Erkenntnis nach der Enttäuschung zum Saisonfinale, dem 0:0 gegen Hannover, nur langsam durchsetzen wird: Das Jahr muss für Hertha als uneingeschränkt erfolgreich gelten. „Wir wissen alle, wo wir herkommen“, sagte Herthas Trainer Falko Götz. Von ziemlich weit unten.
Der 1,68 Meter große Yildiray Bastürk ist eine Schlüsselfigur für Herthas Aufschwung gewesen, wenngleich der Brasilianer Marcelinho in der öffentlichen Wahrnehmung als herausragende Erscheinung und sogar als einzig möglicher Fußballer des Jahres in Deutschland gilt. Marcelinhos persönliche Werte (18 Tore, 13 Vorlagen) sind die besten, seitdem er in Berlin spielt. Er hat sie in hohem Maße Bastürk zu verdanken. „Yildiray tut unserem Spiel unheimlich gut“, sagt Manager Dieter Hoeneß. Wenn der Türke wegen Sperren und Verletzungen fehlte, hat Hertha kein einziges Mal gewonnen.
Mit Bastürks Transfer hat der Verein ein Problem gelöst, das ihn einige Jahre belastet und in der vorigen Saison sogar in Abstiegsnot gestürzt hat. Hertha war immer nur so gut wie Marcelinho, und als der Brasilianer im Herbst 2003 fast drei Monate ausfiel, konnte die Mannschaft sein Fehlen nicht kompensieren. Hoeneß hat aus dieser Erfahrung die richtige Konsequenz gezogen und neben Bastürk auch den Brasilianer Gilberto verpflichtet. Im Mittelfeld verfügen die Berliner nun über ein kreatives Potenzial, das in der Bundesliga allenfalls noch beim Meister Bayern München zu finden ist und das für das erfolgreiche Abschneiden in dieser Saison entscheidende Bedeutung hatte.
Bastürks Verpflichtung steht auch symbolisch für Herthas gezielte Transferpolitik. In den vergangenen beiden Jahren hat der Klub sieben Spieler geholt, so viele wie Borussia Mönchengladbach allein in diesem Winter. An dieser maßvollen Linie will Hoeneß festhalten. Für die kommende Saison wird es wieder nur zwei Zugänge geben. Die Mannschaft soll weiterhin nur punktuell verstärkt werden.
Was Hertha noch fehlt, haben die beiden letzten Spiele der Saison verdeutlicht: vordergründig ein Stürmer, der eine stürmerübliche Torquote (10 bis 15 Tore pro Saison) garantiert; hintergründig ist es das, was im Fußball als Killerinstinkt bezeichnet wird. Hätte die Mannschaft gegen Mönchengladbach und Hannover nur ein einziges Tor geschossen, wäre sie Dritter geworden. „Die letzten Spiele haben gezeigt, dass wir noch nicht angekommen sind“, sagte Hoeneß. „Da müssen wir noch reifen.“ Vermutlich hätte die Qualifikation für die Champions League diesen Reifeprozess erheblich beschleunigt, weil Hertha mit den zu erwartenden Millionen den fehlenden Killerinstinkt von außen hätte zukaufen können. Einen Spieler zu verpflichten wie im vorigen Jahr Yildiray Bastürk, einen, der die Mannschaft nicht nur verstärkt, sondern sie auch auf eine neue Entwicklungsstufe hebt, ist nun erheblich schwieriger geworden. „Ohne großkotzig zu sein“, sagte Bastürk. „Ich weiß nicht, ob man noch so einen kriegt.“