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Bild aus anderen Zeiten: Filip (Mitte) and Jakob Ingebrigtsen (r.) im Gespräch mit ihrem Vater und damaligen Trainer Gjert.

© IMAGO/Bildbyran

Die Ingebrigtsens treffen sich vor Gericht: Horrorshow statt Familienidyll

Die Ingebrigtsens waren ein sportliches Wunder – an dem Millionen Menschen dank einer Dokumentation teilnahmen. Jetzt wird klar: Die Abgründe in der Familie waren und sind tief.

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Auf seinen sozialen Kanälen blickt man in ein glückliches Läufergesicht: meist in Siegerpose, mit gestreckten Daumen oder Zeigefinger beim Zieleinlauf – Erster! Auch das private Glück des Weltrekordläufers und Olympiasiegers Jakob Ingebrigtsen wird präsentiert: seine Frau, sein Baby, seine Hunde. Ein Leben, das scheinbar keine Wünsche offenlässt.

Es ist noch nicht lange her, dass die Norweger nicht nur von Jakob, sondern von der gesamten Familie Ingebrigtsen begeistert waren. Eine Familie, die Erfolg verkörperte: Jakob und seine Brüder Henrik und Filip dominierten die Mitteldistanzen, angeleitet von Vater Gjert, einem autoritären, aber vermeintlich charmanten Patriarchen.

Die TV-Dokumentation „Team Ingebrigtsen“ zeigte die Familie als harmonisches Gefüge – strenger Drill, aber auch familiäre Wärme und Zusammenhalt. Norwegen liebte das Experiment. Und es schien zu funktionieren: Die Brüder wurden Weltstars der Leichtathletik, allen voran Jakob.

Wir sind mit einem Vater aufgewachsen, der aggressiv und kontrollierend war und in der Erziehung körperliche Gewalt und Drohungen einsetzte.

Die Brüder Ingebrigtsen in der Zeitung „Verdens Gang“

Doch die Fassade begann zu bröckeln. 2022 überraschten die Brüder mit der Ankündigung, sich von ihrem Vater als Trainer zu trennen. Ein Jahr später folgte die Begründung: Gjert habe sie misshandelt. „Wir sind mit einem Vater aufgewachsen, der aggressiv und kontrollierend war und in der Erziehung körperliche Gewalt und Drohungen einsetzte“, erklärten sie in der Zeitung „Verdens Gang“.

Gjert Ingebrigtsen streitet jegliche Gewalt ab

Die Brüder berichteten von Tritten, Drohungen und einem Klima der Angst. 2021 habe es erneut Gewalt gegeben, die das Fass zum Überlaufen brachte. Der älteste Bruder Kristoffer schilderte in der Zeitung „Aftenposten“, dass er in ständiger Angst gelebt habe.

Die Vorwürfe münden nun in einen Gerichtsprozess. Gjert, der jegliche Gewalt abstreitet, wird vorgeworfen, Jakob und seine Schwester über Jahre hinweg misshandelt zu haben – vom ersten Vorfall 2008 bis zu einem Ereignis aus 2022. Die Verhandlung, die bis zu neun Wochen dauern soll, könnte die Familie endgültig auseinanderreißen. Die Geschwister werden mutmaßlich gegen ihren Vater aussagen. Gjerts Perspektiven, so scheint es, sind düster.

Rückblickend erscheinen viele bekannte Geschichten über Gjert in einem neuen Licht. So berichtete die Neue Zürcher Zeitung von Trainingslagern, in denen Gjert seine Söhne mit harscher Strenge kontrollierte: lange Telefonate verboten, Spielkonsolen verteufelt, Urlaub mit der Freundin untersagt. Selbst am Tag von Henriks Hochzeit musste noch trainiert werden.

Heute stehen sich Vater und Söhne nicht nur vor Gericht, sondern auch auf der Laufbahn als Konkurrenten gegenüber. Gjert trainiert inzwischen Narve Nordås, einen erbitterten Rivalen von Jakob. Zwischen den beiden Läufern herrscht eine offene Abneigung, die weit über den sportlichen Wettstreit hinausgeht.

Typische Pose: Jakob Ingebrigtsen reckt den Zeigefinger nach oben.

© IMAGO/Belga

Jakob Ingebrigtsen ist ohne Zweifel ein herausragender Athlet, vielleicht der beste Mittelstreckenläufer seiner Generation. Doch sein Auftreten polarisiert: Mit arroganter Attitüde vor und nach den Rennen sorgt er immer wieder für Kritik. Manche Beobachter sehen darin Unsicherheit, andere pure Überheblichkeit. Und so bleibt der Eindruck, dass seine Persönlichkeit nicht mit seinem sportlichen Talent mithalten kann.

Doch vielleicht kann Jakob Ingebrigtsen im kommenden Jahr mehr erreichen als jede Goldmedaille zuvor. Sollte das Gericht die Vorwürfe gegen Gjert bestätigen, könnte er dazu beitragen, den Blick auf innerfamiliäre Gewalt zu schärfen – und zeigen, dass hinter der Fassade von Erfolg und Disziplin oft eine andere Wahrheit steckt. Dann wäre der einstige Familienpatriarch nicht der schrullige Drillmeister, sondern ein Peiniger. Ein bitterer Sieg, aber vielleicht ein wichtiger.

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