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Nicht so schüchtern, Junge! Herthas Trainer Markus Babbel glaubt, dass Christian Lell noch mehr aus sich herausholen könnte – wenn er sich nur traut. Foto: dapd

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Sport: Oben ist leichter

Christian Lell ist nach Startschwierigkeiten inzwischen ein stabiler Faktor bei Hertha BSC – trotzdem sieht Trainer Babbel noch Steigerungspotenzial

Berlin - An diesem Samstag wird Christian Lell vermutlich wieder das erleben, was sich am besten als „Oliver-Kahn-Syndrom“ umschreiben lässt. Ein Stadion voller Menschen, die Stimmung brodelt – und „die Vielzahl der Fans wird gegen uns sein“, sagt Lell, der rechte Außenverteidiger von Hertha BSC. Seine Mannschaft tritt heute (15.30 Uhr) bei Borussia Dortmund an, das Stadion des Deutschen Meisters ist das größte in Deutschland, und allein auf die Südtribüne mit den fanatischsten BVB-Anhängern passen mehr Menschen als, sagen wir, in die Energieteam- Arena des SC Paderborn. Aber das ist für Lell noch lange kein Grund, in Ehrfurcht zu erstarren. Im Gegenteil. Wenn die Atmosphäre so richtig feindlich wird, „beflügelt mich das immer“, sagt Christian Lell.

Die Bundesliga hat sich ohnehin als extrem leistungsfördernd für den 27-Jährigen erwiesen, der im vorigen Sommer von Bayern München zu Hertha BSC gewechselt ist. Lell hatte damals eine schwierige Zeit hinter sich und wegen privater Probleme sogar eine Auszeit vom Sport genommen. In der kompletten Saison 2009/10, als die Münchner Europa eroberten, spielte Lell ganze 38 Minuten – in Bayerns zweiter Mannschaft. „Uns war klar, dass er seine Zeit brauchen würde, weil er in München lange nicht gespielt hatte“, sagt Herthas Trainer Markus Babbel. Inzwischen macht Lell einen sehr viel stabileren Eindruck als noch in der vergangenen Zweitligasaison, wobei das nicht nur an den vollen Stadien in der Bundesliga liegen dürfte. „Jetzt hat er seinen Rhythmus“, sagt Babbel, „außerdem ist er lernwillig, fleißig und wissbegierig, ein 1-a-Profi.“

Es sind ein paar Faktoren, die bei Lell zusammenkommen, neben der größeren Spielpraxis zählt auch das bessere Verständnis mit seinem Vordermann auf der rechten Seite dazu. Anfangs spielte Nikita Rukavytsya vor Lell im rechten Mittelfeld, ein Linksfuß, der naturgemäß oft mit dem Ball nach innen zog, um mit seinem starken Fuß den Abschluss zu suchen. Richtig aufeinander abgestimmt wirkte das Duo nie; mit Patrick Ebert, der nach seiner Kreuzbandverletzung in die Startelf zurückkehrte, funktionierte das Zusammenspiel wesentlich besser, defensiv genauso wie offensiv. „Wir harmonieren immer besser“, sagt Lell. „Er macht für mich Laufwege frei, in die ich gehen kann.“

Auch Herthas Trainer hat Lells erfreuliche Entwicklung registriert. „Seitdem wir in der Bundesliga spielen, sind die Schwankungen in seinen Leistungen nicht mehr so groß“, sagt Markus Babbel. „In der Zweiten Liga hat er auch gut gespielt, aber da gab es nach zwei guten Spielen wieder eins, wo er nicht so war, wie wir uns das vorgestellt haben.“ Lell hat schon drüber nachgedacht, ob sein ganz persönlicher Aufschwung an der neuen Liga liegen könnte: daran, dass es für ihn eine Klasse höher tatsächlich leichter ist. In der Zweiten Liga trafen die Berliner verstärkt auf Gegner, die sich vor dem eigenen Strafraum verbarrikadierten; der Raum für Flankenläufe in die Tiefe war dadurch naturgemäß nur selten vorhanden. In der Bundesliga gibt es auch für Lell mehr Platz. Er muss ihn nur nutzen. „Manchmal habe ich das Gefühl, Christian weiß gar nicht, wie viel Potenzial er hat“, sagt Babbel. „Vielleicht könnte er sich noch mehr zutrauen, noch überzeugter von sich sein: Er ist ein dynamischer Spielertyp, der auf dem Flügel marschieren kann und gute Flanken schlägt.“

Aber Lell ist auch ein bisschen Opfer der Verhältnisse. Das Spiel seiner Mannschaft ist generell nicht besonders flügellastig. Es geht viel durch die Mitte. Von den sechs Spielern, die in dieser Saison bei Hertha jede Minute auf dem Platz gestanden haben, kommt nur einer auf weniger Ballkontakte als Lell (213): Torhüter Thomas Kraft (171). Selbst Stürmer Adrian Ramos hatte einen mehr. Das ist ungewöhnlich, weil die Außenverteidiger in der Regel am häufigsten am Ball sind. Philipp Lahm zum Beispiel hatte am ersten Spieltag mit den Bayern 117 Ballkontakte. „Ich habe das Gefühl, dass er sich etwas zurücknimmt“, sagt Babbel über Christian Lell. „Das braucht er nicht zu tun. Im Gegenteil.“ Vielleicht macht ihm die Dortmunder Südtribüne ja heute Beine.

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